«I broke my ass.» Vier Worte, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie einmal meinem Trainer sagen muss. Doch nachdem ich in meiner Dusche vor Schmerzen in Ohnmacht gefallen bin, ist es nun Zeit, mich bei meinem Trainer zu melden. Ich muss ihm erklären, warum ich in den letzten zwei Wochen nicht mehr im Training war. In einem sehr knapp gehaltenen Anruf erkläre ich auf Englisch, ohne Fachjargon, dass ich mir wohl eine Verletzung am Hinterteil zugezogen habe. Kein Plan, warum ich solche Schmerzen habe. Ist einfach passiert.
Als ich vor sieben Monaten mit vier vollgepackten Koffern und drei Hockeystöcken am Bahnhof in Malmö ankam, hätte ich nie gedacht, dass ich dereinst hier zum Notarzt muss, weil ich nicht mehr ohne Schmerzen aufs WC gehen kann. Nein, ich kam mit der Hoffnung auf eine grosse Zukunft und mit der Zuversicht, dass alles möglich ist. Ich hatte es schliesslich mit neunzehn Jahren geschafft, auszuziehen in das Land meiner Kindheitsträume. Was sollte denn schon schiefgehen?
Ich wollte immer nur Eishockey spielen. Hockey ist mein Leben. Seit ich denken kann, will ich nach Schweden, weil man hier als Frau professionell spielen kann. Pure Leidenschaft hatte mich also aus meiner behüteten Heimatstadt Zürich in die Welt getrieben. Und nun stand ich im Regen an einem fremden Bahnhof und wartete darauf, dass mich jemand von meinem neuen Verein abholte.
Schwedisch-Kurs und das Projekt Bankkonto
Die ersten Monate waren geprägt von Höhen und Tiefen: Schwedische Bürokratie, Personennummern, Sprachkurse, das Steueramt, verzweifelte Versuche, ein Bankkonto zu eröffnen, und die Suche nach einem Job. Es begann mit gescheiterten Bewerbungen in süssen Cafés und endete beinahe, als ich sogar bei McDonalds nicht eingestellt wurde, weil ich kein Schwedisch sprach. Im Kurs, in dem sie mir Schwedisch beibringen sollten, ging es in der ersten Lektion darum, wie man die Vergangenheitsform bildet. Dabei konnte ich mir nicht einmal vorstellen, wie man Verben im Präsens konjugiert. Als ich zum fünften Mal in einer Bankfiliale stand, um ein Konto zu eröffnen, und die Frau am Schalter meinte, dass immer noch irgendwelche Papiere fehlten, gab ich das Projekt kurzerhand auf.
Schlimmer noch: Auch auf dem Eis fuhr ich einen Frust nach dem anderen ein. Nichts funktionierte, wie ich es wollte. Warum war die eine Sache, die ich sonst immer konnte, plötzlich so schwierig? Ich verbrachte die Abende weinend im Bett und fragte mich, warum Heimweh immer in Wellen kommt. Ich war doch hergezogen, um mein Leben in die Hand zu nehmen. Warum schien es mir immer mehr zu entgleiten?
Die Suche nach mir selbst
Nach ein paar Tagen fasste ich neuen Mut. Ich beschloss, mir selbst Schwedisch beizubringen. «Kann ja nicht so schwer sein», habe ich mir gesagt. Fluchen konnte ich ziemlich schnell. Vokabeln lernte ich mit Duolingo und Grammatik-Tutorials auf Youtube – wie man das eben macht in meiner Generation. Als dann endlich der Brief des Steueramts mit meiner Arbeitsbewilligung kam, sah ich endlich Licht am Ende des Tunnels.
Meinen ersten Job bekam ich in einer Reifenfabrik, in der ich vier Stunden am Stück Staub wischte. Erstaunlicherweise half das, ich fand mein Selbstbewusstsein wieder. Irgendwo unter dem Berg von Absagen und Enttäuschungen lagen die Überbleibsel meines alten Ich. Ich realisierte, dass ich in diesem fremden Land sein konnte, wer ich wollte. Mich kannte niemand. Ich merkte, dass, egal wie verknotet die Situation auch wirkt, sich alle Knoten mit etwas Mühe und Durchhaltevermögen lösen lassen. Gleichzeitig übernahmen wir mit meinem Team die Tabellenführung. Ich lernte, Hockey neu zu lieben. Ausserdem bekam ich endlich den Job, den ich wirklich wollte. Ich wurde zur Social-Media-Managerin der Malmö-Redhawks-Frauenmannschaft.
Und dann das. Aus dem Nichts. Schmerzen, wie ich sie noch nie gespürt habe. Verzweifelt rufe ich beim fünften Krankenhaus an. Nein, ich bin nicht im Gesundheitssystem vermerkt, und ich war auch noch nie bei einem Arzt in Schweden. Ich brauche nur einen Termin. Heute am besten. Ja, ich zahle den Besuch, ist mir egal. Die Frau am anderen Ende der Leitung muss gehört haben, dass ich den Tränen nahe bin, und beruhigt mich. Sie hätte zwar keinen Termin für mich, ich soll es doch um Punkt fünf Uhr im Notfall versuchen. Gesagt, getan. Ich sitze in einem fast leeren Wartezimmer und hoffe, bald aufgerufen zu werden. Kurz darauf werden mir von einer Ärztin die richtigen Medikamente verschrieben und siehe da, wenige Tage später stehe ich wieder auf dem Eis. Bald werde ich eine Vertragsverlängerung unterschreiben. Mein Abenteuer in Schweden kann weitergehen. Der Weg liegt vor mir, und ich werde ihm folgen. Wohin er auch führen mag.