Schweizer Schiesssport ist weiblich
Das gängige Schützen-Image ist veraltet

Mit Olympiasiegerin Chiara Leone und Bronze-Gewinnerin Audrey Gogniat prägen zwei Schützinnen die erste Olympiawoche. Ein Besuch im Schützenhaus von Kloten ZH zeigt: Frauen prägen die grosse Familie des Schiesssports auch im Breitensport.
Publiziert: 03.08.2024 um 15:49 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2024 um 22:21 Uhr
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Juna Stauffer ist bereit, um ihre Schüsse abzugeben. Nur die Schussjacke fehlt noch.
Foto: Sven Thomann
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Nele BachmannRedaktionelle Mitarbeiterin Sport

Es riecht nach Schiesspulver und Rauch. Die Schüsse hallen trotz der Lärmschutzkopfhörer ohrenbetäubend wider und machen Konversationen unmöglich. Rund 60'000 Schützen sind in der Schweiz lizenziert. Youna Stauffer (16) ist eine von ihnen. Sie zwängt sich gerade in eine Schussjacke und macht ihr Gewehr bereit für das 1. Augustschiessen im Schützenhaus Bettensee in Kloten ZH.

Die junge Schützin kam über ihren Götti zum Schiessen. «Er hat mich einmal mitgenommen, und das hat mir richtig gut gefallen. Seit da bin ich immer öfter ins Training gekommen und werde hier sehr grosszügig unterstützt», sagt die 16-Jährige, während sie Trudi Hegi anlächelt.

Erfahrene Frauen coachen Jüngere

Trudi Hegi (55) ist über ihren Mann zum Schiessen gekommen. Dieser macht den Sport schon, seit er 16 Jahre alt ist und so fand auch Hegi zum Schiessen. Jetzt ist sie die 1. Schützenmeisterin im SV Oberrieden. «Was ich nicht ertragen kann, ist, wenn mich jemand fragt, ob ich wieder rumballern gehe. Ich bin Präzisionsschützin und schiesse für gute Resultate. Da bin ich auch stolz darauf.» Hegi hilft oft jungen oder neuen Schützen und Schützinnen wie Stauffer.

Auch Johanna Schwager (38) betont die Unterstützung und die zweite Familie, die sie im Schützenverein gefunden hat. Auch ihr hat Hegi anfangs geholfen, als Schwager auf der Suche nach einem neuen Hobby für sich und ihren Mann war. Das Vereinsleben scheint hier an vorderster Stelle zu stehen. Überall sitzen Alt und Jung, Männer und Frauen an aufgestellten Holztischen und trinken einen Kaffee oder ein Bier – natürlich erst, nachdem sie schon geschossen haben.

Auch ganz alte Hasen sind dabei

Auch Hans Ruedi Leinsmer, der schon seit 60 Jahren im Schiesssport ist, sitzt mit Michael Suter an einem dieser Tische. Die Begeisterung für den Sport ist den beiden langjährigen Schützen deutlich anzumerken. «Beim Schiessen kann ich abschalten. Wenn man sich nicht vollständig auf sich selbst konzentriert, trifft man nichts», sagt Suter und fügt an: «Wenn ich samstagmorgens schiessen war, dann kann ich das Wochenende geniessen. Ansonsten bin ich die ganze Zeit mit dem Kopf noch im Büro.»

Doch noch ein Klischee, das sich bestätigt

Am anderen Ende der Altersspanne stehen die drei Jugendlichen Marco Monti (15), Pela Hsein (16) und Nina Velten (15). Und zumindest in einem von ihnen bestätigt sich doch noch ein kleines Klischee: «Kennst du das Spiel ‹Call of Duty› (Ego-Shooter-Videospiel, A. d. Red.) ?» – «Darum habe ich eigentlich angefangen», erzählt Monti lachend und fügt aber sofort an: «Jetzt mache ich den Sport aber aus ganz anderen Gründen.» Die zwei jungen Frauen hingegen bekamen einen Brief nach Hause, der das Schiessen anpries. Sie probierten es aus und blieben dabei.

Das Image des Schützensports von alten Männern in Pulverdampf gehüllt, straft sowohl das Schützenhaus in Kloten als auch Olympia Lügen. Zwei Medaillen hat die Schweiz dank Frauen mit Gewehren in Paris schon eingesackt. Auch die Fahnenträgerin für die Schweiz kam aus dem Schiesssport. Nina Christen hatte dieses Jahr die Ehre, die Schweizer Flagge an der Eröffnungszeremonie zu präsentieren. Allesamt Frauen. Und auch am 1. Augustschiessen sind viele junge, stolze Frauen zugegen. Das Bild, das man vom Schiesssport hat, scheint veraltet.

Es ist ein Präzisionssport, das Schiessen. Es geht, um Fokus und darum, die eigene Mitte zu finden. Äussere Einflüsse auszublenden, das Gewehr auszurichten und die Zielscheibe zu fixieren. Den brutalen Aspekt, das «Ballern», das nach Unvorsichtigkeit und nach Spass, andere zu verletzen, klingt, sucht man hier vergebens. Man unterstützt einander, man ist füreinander da. Hier und da sieht man Freunde und Familie, die lachend ihre Punkte miteinander vergleichen und einander Tipps geben. Von Gewalt keine Spur.

Schiessen ist ein Schweizer Frauen-Sport

Das Bild vom Schiesssport ist männerdominiert. Man verbindet ein Gewehr mit dem Militär, mit Gewalt und Krieg. Ein absolutes Missverständnis, wie Daniel Burger, Leiter im Bereich Spitzensport und Nachwuchsförderung beim Schweizer Schiesssportverband, zu Blick sagt.

«Das Luftgewehr hat absolut nichts mit dem Militär zu tun. Man versucht, uns ständig in eine Ecke zu drängen, in die wir nicht gehören.» Damit erklärt Burger auch, warum so viele Schweizer Frauen an der Weltspitze mitschiessen. Nina Christen war in Paris die Fahnenträgerin für die Schweiz, Audrey Gogniat gewann eine Bronzemedaille und Chiara Leone sicherte sich sogar den Sieg. «Es ist keine Männersportart», sagt Burger. «Weltweit gesehen hat es bestimmt gleich viele Frauen wie Männer, die Schiessen als Spitzensport betreiben.»

Und noch ein weiteres Lob spricht Burger aus: «Frauen bringen einfach dieses Mindset mit. Die wissen, was es braucht, um zu gewinnen. Sie scheuen keine Mühen, um an ihr Ziel zu kommen.» Deshalb seien die Schweizer Frauen auch international so erfolgreich. Dazu kommt noch das Leistungszentrum in Biel BE, das die Athleten enorm unterstützt.

Burger: «Wir schaffen mit unserem Leistungszentrum in Magglingen das, wovon andere Nationen nur träumen können.» Die WG-Zimmer für die Athleten sind in der Nähe der Schiessanlage in Biel, die Sportler sparen sich Wegzeiten und Energie. Sie werden sportpsychologisch betreut und haben ein komplettes Team, das sich vor Ort um sie sorgt.

«Der Erfolg, den wir jetzt spüren, kommt nicht aus dem Nichts.» Der Schiesssport in der Schweiz hat lange dafür gearbeitet, an den Punkt zu kommen, an dem er jetzt ist. Es ist an der Zeit, diesem Sport Tribut zu zollen und anzuerkennen, dass diese Disziplin genauso wenig oder viel mit dem Militär zu tun hat wie jeder andere Sport auch. (nba)

Das Bild vom Schiesssport ist männerdominiert. Man verbindet ein Gewehr mit dem Militär, mit Gewalt und Krieg. Ein absolutes Missverständnis, wie Daniel Burger, Leiter im Bereich Spitzensport und Nachwuchsförderung beim Schweizer Schiesssportverband, zu Blick sagt.

«Das Luftgewehr hat absolut nichts mit dem Militär zu tun. Man versucht, uns ständig in eine Ecke zu drängen, in die wir nicht gehören.» Damit erklärt Burger auch, warum so viele Schweizer Frauen an der Weltspitze mitschiessen. Nina Christen war in Paris die Fahnenträgerin für die Schweiz, Audrey Gogniat gewann eine Bronzemedaille und Chiara Leone sicherte sich sogar den Sieg. «Es ist keine Männersportart», sagt Burger. «Weltweit gesehen hat es bestimmt gleich viele Frauen wie Männer, die Schiessen als Spitzensport betreiben.»

Und noch ein weiteres Lob spricht Burger aus: «Frauen bringen einfach dieses Mindset mit. Die wissen, was es braucht, um zu gewinnen. Sie scheuen keine Mühen, um an ihr Ziel zu kommen.» Deshalb seien die Schweizer Frauen auch international so erfolgreich. Dazu kommt noch das Leistungszentrum in Biel BE, das die Athleten enorm unterstützt.

Burger: «Wir schaffen mit unserem Leistungszentrum in Magglingen das, wovon andere Nationen nur träumen können.» Die WG-Zimmer für die Athleten sind in der Nähe der Schiessanlage in Biel, die Sportler sparen sich Wegzeiten und Energie. Sie werden sportpsychologisch betreut und haben ein komplettes Team, das sich vor Ort um sie sorgt.

«Der Erfolg, den wir jetzt spüren, kommt nicht aus dem Nichts.» Der Schiesssport in der Schweiz hat lange dafür gearbeitet, an den Punkt zu kommen, an dem er jetzt ist. Es ist an der Zeit, diesem Sport Tribut zu zollen und anzuerkennen, dass diese Disziplin genauso wenig oder viel mit dem Militär zu tun hat wie jeder andere Sport auch. (nba)

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