Schiedsrichter Daniel Stricker führt ein Spiele-Tagebuch und erzählt von besonderen Partien
Er fürchtete schon um sein Leben

Der aktuelle Stand: 1709 Spiele in der NL als Headschiedsrichter und Linesman, 2500 ligen- und länderübergreifend. Daniel Stricker (49) ist der langjährigste Schweizer Ref. Kein Wunder, könnte der Herisauer stundenlang Anekdoten erzählen. Er führt ein Tagebuch.
Publiziert: 15.03.2025 um 14:58 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2025 um 15:12 Uhr
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Daniel Stricker leitet seit 28 Jahren Spiele in der National League und ist schon bei über 1700 Einsätzen angelangt.
Foto: Marusca Rezzonico/freshfocus

Darum gehts

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Nicole VandenbrouckReporterin Eishockey

Datum, Begegnung, Schiedsrichter-Trio oder -Quartett. Und einige Notizen zu Geschehnissen und Szenen. Seit 1991 und seinem ersten Einsatz bei einem Nachwuchs-Spiel in Herisau führt Daniel Stricker ein digitales Match-Tagebuch. «Da war ich 16, konnte kaum Schlittschuh laufen und hatte keine eigenen Schlittschuhe», erinnert er sich mit einem Grinsen.

Ein Nachbar im Heimatort, der Vater eines langjährigen NL-Profis, überredet ihn dazu, weil ihnen Refs fehlen. Es soll der Beginn einer anhaltenden Leidenschaft sein. Stricker ist – Stand heute – bei 1709 Partien in der National League und einem Total von 2500 Spielen mit anderen Ligen und Ländern angelangt. Darunter vier WM-Finals und Olympische Spiele, was einer besonderen Ehre gleichkommt. Seit 28 Jahren leitet der Einkaufsleiter in der Privatwirtschaft regelmässig Spiele in der National League. Von 2011 bis 2024 als Profi, aktuell als Amateur. Kürzlich ist der Herisauer von den Spielern in der exklusiven Umfrage von Blick zum besten Schiri gewählt worden.

Doch was hat den 49-Jährigen damals überhaupt auf die Idee gebracht, mit einem Tagebuch zu beginnen? «Weil ich es vermeiden möchte, zweimal den gleichen Fehler zu machen. Aus den Notizen kann ich meine Learnings ziehen.» Stricker und seine Berufskollegen sind mit viel und teils heftiger Kritik konfrontiert. Deshalb schreibt er nicht nur Negatives nieder. «So finde ich positive Gedanken, und der Prozess hilft mir, mit den Spielen abzuschliessen.» Er dokumentiere alles Verrückte, was er erlebt hat.

Hier einige zusammengefasste Einträge der Notizen aus seinem Tagebuch von Spielen, die Stricker in besonderer Erinnerung bleiben werden.

Kloten – ZSC Lions, Playoff-Halbfinal | 10. März 2001

«Ich war da noch Linesman. ZSC-Trainer Larry Huras machte während des Spiels eine verfängliche Geste, tat so, als würde er seine Hose öffnen wollen, um seine Kronjuwelen zu zeigen. Kurz vor Drittelsende bekam er vom Headschiedsrichter eine Strafe aufgebrummt. In der Pause kam Huras zu uns in die Kabine (ja, das durften Trainer damals noch), um sich zu rechtfertigen. Er erklärte uns, dass er lange Unterhosen trage, zu heiss hatte und nur etwas lüften wollte. Die Diskussion wurde hitziger, bis sich Huras und der Ref, der aus Ärger noch das Visier an seinem Helm zertrümmert hat, auf der Garderobenbank gegenüberstanden. Ich versuchte zu schlichten, holte Huras von der Bank und führte ihn aus der Garderobe.»

Lugano – ZSC Lions, Finalissima | 7. April 2001

«Das alles entscheidende Final-Spiel. Mir bleibt das Zürcher Meistertor von Morgan Samuelsson in widersprüchlicher Erinnerung. Es war ein packendes und anspruchsvolles Spiel, das erst in der Verlängerung entschieden wurde. Der Zürcher Meistertreffer löste aber gleichzeitig Krawalle aus. Die Lugano-Fans stürmten das Eis. Die Katakomben und Gänge füllten sich mit pöbelnden Menschen, die das Sicherheitspersonal in Schach zu halten versuchte. Da war ich schon vier Jahre als Linesman in der NLA unterwegs, aber zum ersten Mal machte ich mir Sorgen um die eigene Sicherheit und wurde mit einer Gewaltbereitschaft konfrontiert. Kommen wir hier lebend raus? Wir harrten in der Garderobe aus. Ich bekam unzählige Nachrichten mit der Frage, ob ich okay sei.»

Lausanne – Bern | 12. November 2001

«Vor seinem Engagement am Spengler Cup wurde der langjährige NHL-Ref Lance Roberts zwecks Erfahrungssammlung in der Meisterschaft noch für einige Spiele eingesetzt. Im damaligen Stadion in Lausanne herrschte eine elektrisierende Stimmung. Ich habe noch nie einen so nervösen Headschiedsrichter erlebt. Die aussergewöhnliche Atmosphäre sowie der hohe Erwartungsdruck setzten ihm so zu, dass er vor dem Spiel einen kleinen Nervenzusammenbruch erlitt.»

U20-WM in Halifax, Kanada – Finnland | 31. Dezember 2002

«Am Turnier grassierte die Magen-Darm-Grippe und legte spätere Stars wie Marc-André Fleury, Valtteri Filppula oder Alexander Owetschkin flach. Im umkämpften Spiel merkte ich, dass ich mich wohl bald übergeben muss. Ich informierte den verdutzten Schweizer Headschiri Danny Kurmann kurz darüber, als er an mir vorbeifuhr. Nach einem Tor der Kanadier übermannte mich der Brechreiz, und ich eilte vom Eis. Ich schaffte es aber nur bis zur Interview-Zone der Medien und übergab mich hinter den Trennvorhang. Weil ich plötzlich weg war, ging Kurmann zu den Zeitnehmern und erfand in der Not ein Timeout für Offizielle. Ich spülte mir in der Kabine kurz den Mund und kehrte zurück. Die TV-Kommentatoren sahen mich genau in dem Moment, als ich mir die Pfeife an die Hand steckte, und mutmassten bei der Live-Übertragung, dass ich wohl ein Materialproblem hatte.»

Göteborg, SHL, Frölunda – Södertälje | 30. November 2009

«Das Ref-Austauschprogramm führte mich nach Schweden. In Göteborg kam meine Tasche mit der Ausrüstung nicht an. So musste ich in Anzug und mit Lackschuhen drei Kilometer durch die Stadt joggen, bis ich einen Optiker fand, der mir auf die Schnelle die passenden Linsen verkaufen konnte. Das Spiel leitete ich in der nicht ganz passenden Ausrüstung eines schwedischen Kollegen. Bereits in der ersten Drittelspause waren meine Füsse in den Schlittschuhen wundgescheuert und die Socken voller Blut. Aber ich musste das Spiel irgendwie zu Ende bringen.»

U20-WM in Toronto, USA – Kanada | 31. Dezember 2016

«Ein verrücktes Spiel und wie jedes Jahr das TV-Highlight der U20-WM. Dabei erlebte ich etwas, das ich noch nie zuvor gesehen hatte: Beide Teams hatten im selben Einsatz zu viele Spieler auf dem Eis. Kanada ersetzte in den Schlussminuten den Goalie durch einen sechsten Feldspieler, doch statt mit sechs spielten sie mit sieben. Ich zeigte die Strafe an. Kurz darauf sprang ein Amerikaner zu früh über die Bande und spielte den Puck – auch das war eine Strafe. Die Kanadier verstanden die Welt nicht mehr. Sie und auch meine Schiri-Kollegen glaubten, ich hätte übersehen, dass sie den Goalie durch einen Feldspieler ersetzt hatten – doch tatsächlich waren sie zu siebt. Ich blieb bei meiner Entscheidung, trotz aller Proteste. Das Stadion tobte. Erst die TV-Bilder bestätigten meinen Call, und ich bekam von den Verantwortlichen Lob für meinen Mut und Entscheid. Ein paar Tage später leitete ich das Spiel um die Goldmedaille. Hätte ich mich geirrt, wäre das mein Heimflug-Ticket gewesen.»

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