Marc Crawford (63) ist bereits zum zweiten Mal Trainer der ZSC Lions. Im Interview wird er auch auf die TV-Serie «Ted Lasso» angesprochen. Der Serienheld ist ein US-amerikanischer Footballtrainer, der in der englischen Premier League erstmals einen Fussballklub trainiert und der umgeben ist von Paradiesvögeln, Zynikern, Profis und anderen schrillen Figuren. Was ihn auszeichnet? Er meint es stets mit allen gut.
Blick: Marc Crawford, kennen Sie die TV-Show «Ted Lasso»?
Marc Crawford: Oh ja, ich bin ein grosser Fan von Ted. Meine Tochter ist zudem Sportpsychologin, das macht es für mich besonders spannend, weil ich da voll auf meine Kosten komme. In der Serie geht es ja um alles, was das Leben in einer Mannschaft ausmacht, vor allem aber um die Beziehungen zwischen den Menschen. Die mentale Seite im Sport wird von den Figuren wunderbar aufgefangen, das ist wirklich gut gelungen.
Wie viel von Ted Lasso, dem empathischen, meist sanften und nur sehr selten lauten Trainer, steckt in Ihnen?
(Grinst.) Ich wäre gerne etwas mehr wie Ted, aber wahrscheinlich gibt es nicht sehr viel Gemeinsamkeiten. Obwohl: Es gibt ein paar Parallelen zwischen Ted und jedem Trainer der Welt.
Hat Ihr Assistent Rob Cookson etwas gemeinsam mit dem in der TV-Serie auf faszinierende Weise wunderlichen Assistenztrainer Coach Beard?
(Lacht.) Coach Beard ist eine grossartige Figur, und Rob ist eigentlich Coach Beard, oder er wäre es noch etwas mehr, würde er einen Bart tragen.
Würde Cookson in einer Karaoke-Bar vor der ganzen Mannschaft ein Lied von Lady Gaga singen?
Das würde er wohl tun, aber ich glaube, das könnte ganz gut auch ich sein. Ted Lasso hat auch mal bei einer Beerdigung gesungen. Natürlich ist das alles Fiktion, aber die Autoren schaffen es, die Chemie, den Lifestyle und das tägliche Leben innerhalb einer Mannschaft auf den Punkt genau zu beschreiben. Was mich wirklich packt, ist die Zeichnung der Charaktere, die Menschlichkeit, jeder kann sich wohl selbst in einer dieser Figuren wiedererkennen. Sie können sich eine der Doku-Serien anschauen, die schon über diverse grosse Fussballklubs gedreht wurden – ein riesiger Unterschied zwischen Realität und Ted Lasso besteht nicht.
Gibt es aktuell einen Typ bei den Lions, der Roy Kent nahekommt? Diesem Leader von altem Schrot und Korn – aber natürlich nicht wie zu Beginn der Serie so überzeichnet, zynisch, grunzend, fluchend, dass jeder zusammenzuckt, wenn er spricht. Mehr ein humaner Roy Kent, so etwa wie er in der dritten Staffel dargestellt wird.
Denke ich an Leaderfiguren, denke ich an Mathias Seger. Er ist ein brillanter Mensch, die Art und Weise, wie er tickt, was er ausstrahlt. Roy Kent ist in den Strassen von London sozialisiert worden, harte Umgebung und so weiter – und Seger ist in Uzwil aufgewachsen, wow. Er hat oft davon erzählt, wie das so war, wie er erzogen wurde, wie er dann zuerst nach Rapperswil ging und schliesslich hier in Zürich landete und seinen Traum lebte. Seinen Vater sieht man heute noch in den Stadien, der macht immer noch das, was er gerne tut: Hockey schauen. Seger hat im Grund schon etwas von Roy Kent, es ist aber nicht diese Härte, wie sie in der Serie beschrieben wird, sondern die Empathie, die man bei Roy Kent erst tief unter der rauen Schale entdeckt. Segers Härte war seine Wettkampftauglichkeit.
Marc Crawford (63) ist seit 14 Monaten wieder Trainer der ZSC Lions. Beim ersten Gastspiel in Zürich (2012–2016) wurde der Kanadier 2014 Meister.
Seinen grössten Erfolg feierte er in der NHL, wo er 1996 mit Colorado den Stanley Cup gewann. Er und seine Frau Helene haben zwei erwachsene Kinder, Kaitlin und Dylan.
Seine Brüder Bob und Lou spielten ebenfalls in der NHL. Sein Vater Floyd wurde 1959 Hockey-Weltmeister und war selbst Trainer.
Marc Crawford (63) ist seit 14 Monaten wieder Trainer der ZSC Lions. Beim ersten Gastspiel in Zürich (2012–2016) wurde der Kanadier 2014 Meister.
Seinen grössten Erfolg feierte er in der NHL, wo er 1996 mit Colorado den Stanley Cup gewann. Er und seine Frau Helene haben zwei erwachsene Kinder, Kaitlin und Dylan.
Seine Brüder Bob und Lou spielten ebenfalls in der NHL. Sein Vater Floyd wurde 1959 Hockey-Weltmeister und war selbst Trainer.
Sie haben viele Leader erlebt in Ihrer Karriere.
Mathias Seger war der grösste Leader, den ich je in einer Mannschaft hatte. Und ich habe viele gute Leader erlebt, in der NHL oder in Europa. Aber bei Seger liefen irgendwie alle Fäden zusammen, er wusste immer, wie es bei den Spielern steht, was gerade bei jedem sonst noch so los ist, was zu tun bleibt, er hat ein Sensorium für die Menschen, die Situation und die Kabine.
Sie haben mal gesagt, selbst leidenschaftliche Trainer könnten nicht 24 Stunden am Tag an den Sport denken. Wie lenken Sie sich ab?
Ich habe nicht mehr so viel Ablenkung wie noch vor ein paar Jahren, irgendwie wird die Zeit immer knapper. Aber ich höre sehr gerne Musik, ich interessiere mich für alle Arten von Musik. Und natürlich liebe ich Filme.
Welchen Film haben Sie zuletzt gesehen?
Das war «Rustin». Darin geht es um den schwarzen Bürgerrechtler Bayard Rustin und den Marsch auf Washington im Jahr 1963, als Martin Luther King seine berühmte «I have a dream»-Rede hielt. Ich denke, der Schauspieler, der Rustin darstellt (Colman Domingo, die Red.), hätte eigentlich einen Oscar verdient.
Zurück zum Sport. Wie hat sich der Schweizer Nachwuchs in der Zeit entwickelt, in der Sie nicht hier beschäftigt waren?
Die Kids sind besser trainiert, und sie sind besser vorbereitet. Das ist die Veränderung, die ich festgestellt habe. Zuvor gab es Individualisten, die herausragten, nun ist die Masse der Spieler insgesamt viel weiter, viel reifer und auch besser. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass heute mehr junge Schweizer ins Ausland gehen, um sich da dem internationalen Top-Level zu nähern.
Vor Ihrem zweiten Stint in Zürich hatten Sie die Möglichkeit, Italiens Nati mit der Vision Olympia 2026 zu übernehmen. Warum haben Sie abgelehnt? Sie mögen doch Italien.
Oh ja, ich mag Italien sehr gerne, und meine Schwester lebt in Rom. Das Angebot des italienischen Verbands war interessant, aber es hat mich auch etwas erschreckt, weil ich mich für eine sehr lange Zeit hätte verpflichten müssen, und das wollte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. 2026 werde ich 65 Jahre alt sein.
Der Vertrag mit Zürich läuft 2025 aus. Werden Sie dann also Schluss machen?
Das kann ich nicht sagen. Was ich sagen kann, ist nur, dass ich nicht noch zehn Jahre Trainer sein werde. Mein Vater hat im Eishockey gearbeitet, bis er 85 oder 86 Jahre alt war, und ich habe mitbekommen, was das für meine Mutter bedeutete. Meine Mutter ist an Alzheimer gestorben, eine besonders schwere Form, aber solange sie noch gesund war, hat mein Vater gearbeitet. Meine Mutter hat die Welt schon bereist, hat uns Kinder überall in der Welt besucht, aber halt allein, ohne meinen Vater. Ich liebe meinen Vater, aber das ist etwas, das ich anders machen möchte. Wann, kann ich nicht sagen, aber wenn es so weit ist, werde ich das spüren. Meine Frau mag, dass ich Trainer bin, sie mag es, hier zu sein und Dinge zu unternehmen. Aber ich möchte, dass sie sich auf das freuen kann, was danach kommt: Sie zuerst, nicht der Sport oder ich. Ich bin mir sehr bewusst, was das bedeutet.
Momentan sind Sie aber noch mittendrin.
Ja, und es macht mir Spass. Ich hoffe, dass andere daraus auch Vergnügen ziehen, das ist auch wichtig. Aber das gelingt nicht immer.
Man muss ja auch nicht jedermann gefallen. Vielleicht haben die Schiedsrichter nicht ganz so viel Spass an Ihnen wie andere.
Klar, es ist mir bewusst, was ich zu tun habe. Bei diesem Vorfall (im Februar 2023 beschimpfte Crawford den finnischen Schiedsrichter Kaukokari als Schwanzlutscher, die Red.) waren die Anzeichen da, aber ich habe sie nicht erkannt, das hat mich selbst am meisten geärgert. Was geht und was nicht? Ich weiss es. Aber weiss ich es auch noch in dem Moment, in dem der Ärger hochkocht? Eine wichtige Lektion für mich ist, genau dann gut auf diese Zeichen zu achten. Das gelingt mir immer besser und besser. Der Job ist oft mit Druck verbunden, Stress, Aufregung und Anspannung – aber das zeichnet diesen Beruf ja auch aus, das mögen und schätzen wir. Wir alle lieben den Nervenkitzel des Wettkampfs, da geht es um Gewinnen und Verlieren, aber man ist in einem Schaufenster, und das darf man nicht vergessen.
Apropos Nervenkitzel: Die Playoffs stehen vor der Tür. Wie wichtig ist für Sie dieser erste Platz nach der Qualifikation?
Dafür haben wir das ganze Jahr gearbeitet. Die Playoffs sind ein brillantes Format, zuletzt siegte der Erste der Quali gegen den Zweiten, und das im letzten Heimspiel. Das bedeutet: Der Heimvorteil hat eine Rolle gespielt. Aber der Beste der Qualifikation kann theoretisch auch in der ersten Runde rausfliegen. So was sollte eigentlich nicht möglich sein, müsste man denken, aber es passiert trotzdem immer wieder. Das macht die Sache so spannend.
Ist der Druck in Zürich besonders gross?
Besonders gross nicht. Im Profisport ist der Druck überall präsent, aber das ist auch nur ein Teil des Nervenkitzels, der uns antreibt. Gäbe es keinen Druck im Profisport, wäre es kein Nervenkitzel.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | ZSC Lions | 19 | 19 | 40 | |
2 | HC Davos | 21 | 21 | 40 | |
3 | Lausanne HC | 21 | 8 | 40 | |
4 | SC Bern | 22 | 15 | 36 | |
5 | EHC Kloten | 21 | 2 | 33 | |
6 | EV Zug | 21 | 14 | 33 | |
7 | EHC Biel | 21 | 0 | 32 | |
8 | SC Rapperswil-Jona Lakers | 21 | -4 | 31 | |
9 | HC Fribourg-Gottéron | 21 | -9 | 27 | |
10 | SCL Tigers | 19 | -3 | 25 | |
11 | HC Lugano | 19 | -13 | 25 | |
12 | HC Ambri-Piotta | 19 | -12 | 24 | |
13 | Genève-Servette HC | 17 | -3 | 22 | |
14 | HC Ajoie | 20 | -35 | 15 |