Darum gehts
Wenn in der Wohnung eines Ausländers ein Lavabo verstopft ist, eine neue Lampe aufgehängt werden muss oder das Klubauto nicht anspringen will, weil das Kind eines Teammitglieds unbemerkt die Innenbeleuchtung aktiviert hat und dadurch die Batterie versagt: Dann rückt jeweils André Reinhard (60) aus, schraubt, montiert oder überbrückt. «Zum Glück habe ich handwerkliches Geschick und kann die einfacheren Dinge selbst erledigen», sagt er.
Reinhard ist Teamleiter der ZSC Lions und ihr Mann für alle Fälle. «Ich bin für alles Organisatorische und dafür zuständig, allen den Rücken freizuhalten, sodass sich die Spieler und Trainer auf das Wesentliche konzentrieren können», beschreibt er seine Tätigkeit. Das Aufgabenfeld des in Bremgarten AG wohnhaften Zürchers ist umfangreich. Es umfasst das Erfüllen von Spieler- und Trainer-Wünschen jeglicher Art, das Mitwirken bei der Organisation von Trainingslagern und Auslandsreisen bis zu Chauffeur- und Beistands-Tätigkeiten und noch so vieles mehr – es geht bis ins Unerschöpfliche.
Für Baltisberger ist er das Mami des Teams
Während der Spiele bedient Reinhard in der Regel die Bandentüre. Einmal sorgte er früher im Hallenstadion auch für einen Assist, indem er die Bandentüre rechtzeitig eine Spur öffnete, sodass der Puck ideal an ihr abprallte und daraus eine Vorlage für den Torschützen wurde. Vor allem aber gibt Reinhard alles dafür, dass es in der ZSC-Kabine menschelt, sich alle daheim fühlen. «André ist wie das Mami der Mannschaft, er sorgt sich um uns und schaut, dass es allen gut geht. Es ist schwer in Worten auszudrücken, wie wichtig er für uns ist», sagt ZSC-Stürmer Chris Baltisberger (33).
«Geht nicht, gibts nicht», pflegt Reinhard zu sagen. Und entsprechend lang sind seine Tage, während den Playoffs sowieso. An Spieltagen kommt er als einer der Ersten und geht als einer der Letzten. Erreichbar ist er 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Richtige Freitage gibt es während der Saison kaum. Und seine Ferien bezieht er alle im Sommer. Aber nie zu viel am Stück: «Es gibt immer etwas, das gemacht werden muss.» Denn Reinhard ist Anlaufstelle für die Spieler, Trainer, den Staff, Sportchef, CEO, die Administration, die Gastronomie, den Spielbetrieb – eigentlich jeden im Verein.
Kein beziehungstauglicher Job
Geheiratet hat Reinhard nie, Kinder hat er keine. Obschon er selbst das anders sieht. «Ich habe 27 Kinder», sagt die gute ZSC-Seele und zeigt mit einem Schmunzeln auf die Spielerkabine. Wirklich beziehungstauglich ist sein Job aber nicht. «Mit eigenen kleinen Kindern wäre das sehr schwierig. Oft habe ich gehört, ich sei ja sowieso mit dem ZSC verheiratet.» Was Reinhard nicht abstreitet, denn nach 14 Jahren in dieser Funktion ist er noch immer Feuer und Flamme. Für seinen Verein und für die Menschen, die er durch seine Tätigkeit immer wieder kennenlernen darf: «Ich habe einen Traumjob.»
Zu den Auswärtsspielen fährt Reinhard jeweils allein, mit etwas Vorlaufzeit gegenüber dem Mannschaftscar. «Das Notfallfahrzeug» nennen sie das beim ZSC. Da schaut er, ob auf der Anreisestrecke allenfalls ein Problem besteht und eine Umfahrung für die Mannschaft sinnvoll wäre. Nicht immer läuft alles nach Plan. In Lugano fuhr er diese Saison beispielsweise den während der Anreise im Car fiebrig gewordenen Yannick Weber (36) noch vor Spielbeginn nach Zürich zurück.
Ganze Nächte im Spital verbracht
An anderen Auswärtsdestinationen lernte Reinhard die Spitäler kennen, weil sich Spieler im Match verletzten und von ihm dorthin gebracht werden mussten, er ihnen in dieser Zeit beistand und den Papierkram für sie erledigte. «Ich habe schon ganze Nächte in Spitälern verbracht», so Reinhard. Sein «Notfallfahrzeug» wird aber auch benötigt, wenn ein Spieler nach einem Match bei der Dopingprobe länger braucht, weil er sich beim Wasserlassen schwertut. Damit nicht die ganze Mannschaft ewig warten muss, wird dieser dann von Reinhard persönlich zurück nach Zürich chauffiert.
Reinhard ist eigentlich gelernter Grafiker und Drucker, wurde später Prüfungsexperte von Lehrlingen und hat für eine Druckerei als Verkäufer im Aussendienst gearbeitet. Im Umfeld des ZSC war er schon unterwegs, bevor dieser zu seinem Arbeitgeber wurde. Geholt hat ihn der damalige Sportchef Edgar Salis (54). Seine Einstandssaison 2011/12 wurde sogleich zur Belastungsprobe, denn Trainer war damals Bob Hartley (64), der wohl härteste und sturste ZSC-Coach aller Zeiten. «Edgar hat damals zu mir gesagt: ‹Wenn du den überlebst, überlebst du jeden.›» Salis sollte recht behalten.
Hartleys Telefonate am Sonntag um 6 Uhr
Hartley rief Reinhard jeweils regelmässig am Sonntag um 6 Uhr in der Früh an, um Dinge mit ihm zu besprechen, die man eigentlich auch locker am Montagvormittag hätte anschauen können: «Er brachte mich an meine Grenzen. Aber so war Bob, er forderte jeden, um ihn auf ein höheres Niveau zu bringen. Heute bin ich dankbar, dass er mein erster Trainer war.» Reinhard lernte Bandengeneral Hartley aber auch als herzlichen Menschen kennen. Etwa als Reinhards Vater während jener Saison verstarb und Reinhard dadurch bei einem Sieg in Lugano nicht dabei war. «Nach dem Match rief Bob mich an und sagte: ‹André, heute haben wir für dich gewonnen.›»
Die Wertschätzung, die Reinhard tagtäglich von Spielern und Trainern erfährt, bedeutet ihm viel: «Es gibt Spieler, bei denen bin ich ein Teil ihrer Familie geworden.» Am meisten hat er jeweils mit den Ausländern zu tun, da ihnen der Verein Wohnung, Auto und Handy zur Verfügung stellt und sie bei Alltagsfragen mehr Unterstützung benötigen als die Einheimischen. Mit manchen Ex-ZSC-Söldnern wie Domenico Pittis (50), Ryan Shannon (42) oder Kevin Klein (40) pflegt Reinhard durch die entstandene enge Verbindung bis heute Kontakt.
Bei erster Meisterfeier drei Tage unterwegs
«Viele haben mich eingeladen und mir gesagt, dass ich dann weder ein Hotel noch ein Auto benötige.» Und so hat Reinhard auch noch einen grossen Lebenstraum: «Wenn ich pensioniert bin, möchte ich nach Nordamerika fliegen und sie alle besuchen.» Bevor es so weit ist, soll aber noch der eine oder andere Meistertitel mit den ZSC Lions Tatsache werden.
Aktuell erlebt Reinhard seinen siebten Playoff-Final, viermal wurde bislang daraus auch eine Meisterfeier. Bei der ersten 2012 war er drei Tage in der Stadt unterwegs und wusste danach nicht mehr, wo er sein Auto abgestellt hatte. Es war im Urania-Parkhaus, und der Spass kostete ihn 178 Franken. So heftig würde es bei einem fünften Titel nicht mehr werden, versichert André Reinhard, «dafür bin ich mittlerweile zu alt».