Herr Hollenstein, im Oktober 1986 erschien im Blick der erste Artikel über Sie. Können Sie sich noch erinnern, um was es ging?
Felix Hollenstein: 1986? Ich bitte Sie, das ist ja schon bald 40 Jahre her.
Der Titel damals lautete: «Vier Hunde machen Hollenstein bissig».
Jetzt kann ich mich wieder daran erinnern. Ich war relativ neu mit meiner damaligen Freundin und heutigen Frau Barbara zusammen. Sie brachte einen Schäferhund in die Beziehung mit, der in jener Zeit elf Welpen geworfen hatte. Für vier davon fanden wir zuerst keine Abnehmer.
Wir veröffentlichten damals sogar Ihre Telefonnummer, damit sich Interessenten bei Ihnen melden konnten.
War das so? Ich weiss nur noch, dass wir danach für alle vier Welpen ein neues Zuhause fanden.
Während wir hier reden, liegen Ihnen drei Hunde zu Füssen. Mochten Sie schon als Kind Tiere?
Ja, es gab eine Phase, in der ich unbedingt Tierarzt werden wollte.
Träumten Sie damals auch von einer Karriere als Hockeyspieler?
Nein, in meiner Kindheit hatte ich zwei Helden: meinen Vater und Schalke-Spieler Klaus Fischer, der vor allem durch seine Fallrückzieher-Tore bekannt war.
Der Zürcher zählt zu den grössten Schweizer Hockey-Legenden. Mit Kloten wurde er viermal Meister, schoss in 650 NLA-Spielen 282 Tore und war zweimal der beste hiesige NLA-Skorer. Für die Nati lief er insgesamt 132 Mal auf. Das Highlight? Der vierte WM-Rang 1992. Nach seiner Karriere als Spieler 2002 wurde er Trainer. Er coachte Kloten und war 2015 zeitweise gar Interimstrainer der Nati. Seine Söhne Denis (ZSC Lions) und Marc (Embrach) spielen ebenfalls Hockey. Hollenstein lebt mit seiner Frau Barbara und den Hunden in Bülach.
Der Zürcher zählt zu den grössten Schweizer Hockey-Legenden. Mit Kloten wurde er viermal Meister, schoss in 650 NLA-Spielen 282 Tore und war zweimal der beste hiesige NLA-Skorer. Für die Nati lief er insgesamt 132 Mal auf. Das Highlight? Der vierte WM-Rang 1992. Nach seiner Karriere als Spieler 2002 wurde er Trainer. Er coachte Kloten und war 2015 zeitweise gar Interimstrainer der Nati. Seine Söhne Denis (ZSC Lions) und Marc (Embrach) spielen ebenfalls Hockey. Hollenstein lebt mit seiner Frau Barbara und den Hunden in Bülach.
Wie kamen Sie überhaupt zum Hockey?
Durch meinen älteren Bruder Albert, dem ich unbedingt nacheifern wollte. Als ich 17 war, bot mich der damalige Nati-Trainer Bengt Ohlson für ein Trainingslager auf. Nach dem ersten Tag rief ich voller Stolz meinen Vater an und erzählte ihm, dass ich noch bleiben dürfe. Er meinte aber nur: «Du kommst jetzt heim, morgen geht deine Lehre als Feinmechaniker weiter.»
Hörten Sie auf ihn?
Natürlich, er war ja wie gesagt mein Held. Für ihn war immer klar: zuerst die Lehre, dann das Hockey.
1985 war es endlich so weit: Sie wechselten nach Abschluss Ihrer Lehre von Ihrem Stammklub, dem Erstligisten EHC Bülach, zum grossen EHC Kloten.
Auch andere Klubs wollten mich damals verpflichten, doch ich dachte mir, Kloten sei perfekt, weil es in der Nähe liegt.
Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag in Kloten erinnern?
(Lacht.) Und wie. Als ich bei der Eishalle ankam, stand dort Roman Wäger vor der verschlossenen Garderobentür. Er sagte nur: «Oh nein, jetzt kommt auch noch der aus Bülach.» Doch eine Woche später gingen wir schon gemeinsam etwas trinken. Roman ist bis heute mein bester Freund, auf den ich mich immer verlassen konnte.
Was haben Sie damals verdient?
2500 Franken. Wir erhielten in Kloten aber nur während acht Monaten den Lohn. Zwischen den Saisons gab es keinen Rappen. Doch Geld spielte damals keine Rolle, Hauptsache, ich konnte in der Nati A spielen.
Und Sie arbeiteten in der Zeit ja auch noch halbtags als Feinmechaniker.
Das war damals üblich. Morgens Arbeit, nachmittags Training. Als ich nach ein, zwei Jahren Vollprofi wurde, war das nicht überall gern gesehen. Es gab Leute, die mit den Fingern auf mich zeigten und fanden, ich sei «en fuule Siech», weil ich in deren Augen ja gar nicht mehr richtig arbeitete.
Zwischen 1993 und 1996 wurden Sie mit Kloten viermal in Serie Meister. Wer waren die Baumeister dieser unglaublichen Erfolge?
Da gab es viele. Ohne Präsident Jürg Ochsner wäre das alles nicht möglich gewesen. Dann hatten wir mit Reto Pavoni den besten Goalie der Liga, mit Roman Wäger einen super Knipser und mit Anders Eldebrink und Mikael Johansson überragende Ausländer. Doch ein Erfolgsgeheimnis war auch unser Team-Zusammenhalt und dass wir vier starke Blöcke hatten.
Wie stark der Team-Zusammenhalt war, zeigte sich auch beim ersten Meistertitel …
(Lacht.) Danke, dass Sie mich daran erinnern. Es gab ein Pub in Kloten, das damals unsere Stube war. Auch der Besitzer hatte Freude daran, denn er wusste: Wenn hier die Spieler regelmässig anzutreffen sind, dann kommen auch die Fans. Bei der Meisterfeier 1993 haben wir es dann ein bisschen übertrieben.
Was heisst das?
Naja, beim Feiern ging schon das eine oder andere kaputt. Doch am nächsten Tag ging ich mit rund 10’000 Franken aus der Mannschaftskasse ins Londoner Pub, um die Schäden zu begleichen.
1995 stockte aber plötzlich der Klotener Höhenflug. Warum?
Wir kamen mit Trainer Putte Carlsson und seinem Assistenten Lars Falk nicht zurecht. Als wir nach einem Auswärtsspiel in Biel mit dem Car nach Hause fuhren, rief mich Ochsner an und sagte: «Fige, du musst vorbeikommen.» Zuerst traf sich aber noch der Spielerrat bei mir daheim, meine Frau kochte für alle Spaghetti. Um etwa 2 Uhr fuhren wir zu Ochsner. Dort entschieden wir gemeinsam, dass es so nicht weitergehen kann.
Das Trainer-Duo wurde dann entlassen und als neuer Trainer Alpo Suhonen verpflichtet. Wenige Monate später feierten Sie den dritten Titel in Serie.
Den feierten wir unter anderem an der Zürcher Langstrasse. Als ich dort morgens um 5 Uhr mit dem Meisterpokal stand, hielt ein türkischer Taxifahrer an und sagte: «Du bist doch der Hollenstein. Ich fahre dich überall hin.» Danach fuhr er mich tatsächlich kostenlos nach Bülach heim.
Wenn wir schon in Zürich sind. Für die ZSC-Fans waren Sie immer das Feindbild Nummer 1.
Das gehörte doch dazu und hat mich selten gestört. Nur die nächtlichen Anrufe von ZSC-Fans, die mir dann schnell «Fige, du Arschloch» in den Hörer schrien und dann gleich wieder auflegten, waren gelegentlich ein bisschen nervig.
Wollte Sie der ZSC eigentlich mal verpflichten?
Ja, es gab mal einen Manager, dessen Name mir jetzt grad entfallen ist, der mich unbedingt holen wollte. Ich wohnte damals noch zu Hause, und dieser Manager rief fast täglich um 12.30 Uhr an. Das Dumme dabei: In der Zeit machte mein Vater immer sein Mittagsschläfchen. Irgendwann wurde es ihm zu viel, und er teilte dem ZSC-Manager unmissverständlich mit, er solle gefälligst jeweils um eine andere Uhrzeit anrufen.
Sie hielten bis zu Ihrem Karriereende 2002 Kloten stets die Treue. Bereuen Sie das?
Rückblickend betrachtet hätte ich mal für ein Jahr ins Ausland wechseln sollen, Angebote gabs ja, zum Beispiel von Preussen Berlin oder AIK Stockholm. Doch ich hatte damals schon zwei Kinder und war in Kloten glücklich.
War die NHL damals kein Thema für Sie?
Das war eine völlig andere Zeit. Ich hätte zwar 1989 die Chance gehabt, bei den Philadelphia Flyers ein Trainingscamp zu besuchen, doch für die Schweizer Spieler war damals die NHL unvorstellbar weit weg.
Sie galten während Ihrer Karriere als harter Hund. Sie spielten mit gebrochenen Fingern, brachen sich fünfmal die Nase und erlitten 1998 bei einem schweren Zusammenstoss mit Roberto Triulzi unter anderem eine Gehirnerschütterung und weitere Verletzungen. War es das alles wert?
Natürlich, aber wissen Sie, was das Verrückte ist? Als Teenager prophezeite mir einst ein Arzt, ich werde nie mehr Sport treiben können.
Warum?
Als etwa 13-Jähriger war ich bei einem Kumpel von mir. Wir fuhren dann ein bisschen mit einer Trial-Maschine rum. Dabei stürzte ich, und mein ganzes Knie wurde verrissen. Hätte der damalige Arzt recht gehabt, dann würden wir jetzt nicht hier sitzen und über meine Karriere reden.
Vor fünf Jahren ging es bei Ihnen dann richtig um Leben und Tod, als Sie die Diagnose Knochenmarkkrebs erhielten.
Im November 2019 brach ich mir beim Heben einer Hundehütte einen Rückenwirbel. Das alleine war schon gefährlich genug, denn wäre der Bruch ein paar Millimeter näher am Wirbelkanal gewesen, sässe ich heute im Rollstuhl. Bei den Abklärungen wurde dann herausgefunden, dass ich Knochenmarkkrebs habe.
Wie gingen Sie mit dieser Diagnose um?
Natürlich war sie ein Schock, denn noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Diagnose ein Todesurteil gewesen. Ich war mir deshalb bewusst: Ab sofort kämpfe ich um mein Leben. Doch als mir die Ärzte gleich zu Beginn erklärten, meine Heilungschancen sähen gut aus, und sie brächten mich wieder hin, blickte ich optimistisch in die Zukunft und nahm den Kampf an. Deshalb liess ich noch am Tag der Diagnose die erste Chemotherapie über mich ergehen.
Dachten Sie wirklich nie ans Aufgeben?
Nein, ich war immer davon überzeugt, dass ich wieder gesund werde. Doch die Behandlung war natürlich schon heftig. Insgesamt hatte ich unzählige Chemotherapien, alle meine Haare fielen aus, inklusive Augenbrauen, mein Gewicht sank von 93 auf 63 kg, und ich wurde sogar kleiner, weil meine Knochen so weich waren.
Erschwerend kam noch hinzu, dass in jener Zeit Corona über die Welt hereinbrach.
Deshalb lag ich während zweieinhalb Wochen auch auf einer isolierten Station, und als ich nach Hause kam, isolierte ich mich auch dort vom Rest der Familie. Das hatte aber auch Vorteile. Ich hatte meine Ruhe, weil Besuche ja nicht erlaubt waren.
Gelten Sie heute als geheilt?
Diese Frage mag ich nicht, weil man das nie mit 100-prozentiger Sicherheit weiss. Ich muss noch immer alle drei Monate zur Kontrolle, und bislang sahen die Werte immer gut aus.
Wie geht es Ihnen heute gesundheitlich?
Es gibt noch immer Tage, an denen es mir nicht so gut geht, im Vergleich zu den Tagen während den Behandlungen sind die aber harmlos.
Sie haben vorhin Ihr Umfeld angesprochen. Wie sehr hat Ihnen das geholfen?
Sehr, meine Frau, unsere beiden Söhne, die zwei Enkeltöchter und die Hunde haben mir sehr viel Kraft gegeben.
Wie viele Hunde haben Sie zurzeit?
Sechs ausgewachsene und momentan zehn Welpen, die erst zwei Wochen alt sind. Falls ich hier einen kurzen Werbespot platzieren darf: Leute, die Interesse an den Welpen haben, dürfen sich gerne bei uns melden, denn fünf davon suchen noch ein neues Zuhause. Weitere Informationen gibt es unter www.haus-hollenstein.ch.
Stimmt die Legende, dass Sie wegen eines Hundes mal zwei Länderspiele verpasst haben?
Ja, damals biss mich einer in beide Hände, ich hatte danach richtige Löcher. Also rief ich den damaligen Nationaltrainer Simon Schenk an und erklärte ihm das. Er verstand die Welt nicht mehr. Ich bat ihn dann eindringlich, bitte nichts davon dem Blick zu erzählen, woran er sich auch gehalten hatte.
Wann standen Sie eigentlich das letzte Mal auf dem Eis?
Als es mir während der Chemotherapien ein bisschen besser ging, fuhr ich einmal über Mittag zum Klotener Schluefweg. Dort zog ich mir die Schlittschuhe und die Handschuhe an, nahm einen Puck und kurvte rund 15 Minuten übers Eis und schoss aufs Tor. Ein bewegender Moment. Seitdem stand ich nie mehr auf dem Eis.
Am 7. April feiern Sie Ihren 60. Geburtstag. Haben Sie noch Träume?
Nur Albträume (lacht). Nein, im Ernst: Ich bin momentan rundum zufrieden mit meinem Leben.