Ein sonniger Sonntag in der Prager Altstadt. Roman Cervenka sitzt im Frühstückscafé La Bottega vor einem Teller mit Rührei und Avocado und trinkt Tee. Es ist zwar schon fast Mittag, doch der Captain der tschechischen Nationalmannschaft ist erst mitten in der Nacht von einem WM-Vorbereitungsspiel aus Linz (Ö) zurückgekehrt und hat etwas länger geschlafen als sonst.
Obwohl mitten im Zentrum und nahe der weltbekannten Karlsbrücke gelegen, wuseln keine Touristenströme am Restaurant vorbei. So mag es der zurückhaltende Cervenka, «sonntags meiden viele Prager die Altstadt tagsüber lieber», doch er kennt die ruhigen Ecken von Prag – seiner Heimatstadt, seiner Herzensstadt. «Ich bin ein stolzer Prager.»
1985 wird Cervenka in der tschechischen Metropole geboren. Er wächst rund 15 Minuten ausserhalb des Zentrums im Stadtviertel Vršovice auf, der heutigen Nummer 10 der Bezirke, die 2002 neu aufgeteilt worden sind. Touristen bewegen sich hauptsächlich im Bezirk Nummer 1, der Altstadt. Für WM-Besucher und Hockeyfans wird die Nummer 9, genannt Libén, ab dem 10. Mai zum Hotspot rund um die Spielstätte, die O2-Arena.
Der WM-Spielplan der Schweiz in Prag:
Freitag, 10. Mai: Schweiz – Norwegen, 5:2
Sonntag, 12. Mai: Österreich – Schweiz, 5:6
Montag, 13. Mai: Schweiz – Tschechien, 2:1 n.P.
Mittwoch, 15. Mai: Schweiz – Grossbritannien, 3:0
Samstag, 18. Mai: Dänemark – Schweiz, 8:0
Sonntag, 19. Mai: Schweiz – Kanada, 20.20 Uhr
Dienstag, 21. Mai: Finnland – Schweiz, 20.20 Uhr
Viertelfinal: Donnerstag, 23. Mai
Der WM-Spielplan der Schweiz in Prag:
Freitag, 10. Mai: Schweiz – Norwegen, 5:2
Sonntag, 12. Mai: Österreich – Schweiz, 5:6
Montag, 13. Mai: Schweiz – Tschechien, 2:1 n.P.
Mittwoch, 15. Mai: Schweiz – Grossbritannien, 3:0
Samstag, 18. Mai: Dänemark – Schweiz, 8:0
Sonntag, 19. Mai: Schweiz – Kanada, 20.20 Uhr
Dienstag, 21. Mai: Finnland – Schweiz, 20.20 Uhr
Viertelfinal: Donnerstag, 23. Mai
Als Kind nur selten in der Altstadt
Die Schönheit der Prager Altstadt mit den mondänen Jugendstilbauten und den kopfsteingepflasterten Gassen bekommt Cervenka als Kind nicht oft zu sehen. «Für meine Eltern war es zu teuer hier», erzählt der Starstürmer, «sie kamen damals mit meinem Bruder und mir nur selten hierher.» Beim Spaziergang über den Altstädter Ring, den ältesten Platz Prags vor der Teynkirche, erinnert er sich. «Wenn wir mal als Familie hier waren, war ich fasziniert von dieser Uhr.» Er zeigt auf die astronomische Uhr am Rathausturm. Vor dem Kulturdenkmal aus dem Jahre 1410 versammeln sich zur vollen Stunde jeweils Scharen von Menschen, weil in zwei kleinen Fenstern die Figuren der zwölf Apostel erscheinen.
Auch als Teenager bleibt Cervenka mehrheitlich in seinem Viertel. Vielleicht wächst im Tschechen deshalb der Wunsch, eines Tages im berühmtesten Stadtteil zu wohnen. Doch damals hat er nur Eishockey im Kopf. In Vršovice ist auch der HC Slavia Prag zu Hause. Jener Klub, bei dem Cervenkas Karriere ihren Anfang nimmt.
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Als er weiter von seiner Jugend erzählt, wird der 38-Jährige plötzlich sentimental, bekommt wässrige Augen. Es geht um die Zeit bei seinen Grosseltern, bei denen er vor allem im Sommer die meisten Wochenenden verbracht hat. Er hat es geliebt. Oma Anna lebt noch immer dort in Ricany. Der Ort im Südwesten von Prag gilt heute als lebenswerteste Stadt Tschechiens.
In seiner Kindheit ist Ricany noch ein kleines Städtchen. «Das Haus meiner Grosseltern liegt direkt am Waldrand. Ich fahre auch heute noch gerne dorthin. Die Natur, der Wald dort bedeuten mir viel.» Als sportlicher Bub verbringt er, mit Fussball und Tennisschläger bewaffnet, den ganzen Tag draussen und kommt erst zum Abendessen heim.
Medaillen-Feiern auf dem ältesten Platz
Weitere Erinnerungen strömen auf ihn ein. Der Altstädter Ring, auf diesem Platz finden jeweils die grossen Medaillen-Feiern statt. Wie 1998, als die Tschechen in Nagano (Jap) Olympia-Gold gewinnen. Da ist Cervenka 13 Jahre alt und wartet auf die Ankunft der Mannschaft. «Es waren Fanmassen hier, der Bus kam kaum durch.» Der Teenager kommt aus dem Staunen nicht heraus, möchte das als Spieler auch mal erleben. Das kann er zwölf Jahre später. In Köln (De) holt er bei seiner zweiten Teilnahme sogleich WM-Gold, Tschechien gewinnt den Final gegen Russland 2:1.
Die Party in Prag steigt, der Platz ist voll. «Ich war 24 Jahre alt. Ich war zu jung, um alles richtig zu realisieren und geniessen zu können.» Damals habe ihm das Gesamtbild noch gefehlt, der Hockeyprofi denkt, dass das nun jedes Jahr so sein wird. Die Bronze-Medaillen (2022, 2012, 2011) werden nicht gleichermassen gefeiert, «sondern nur wir Spieler unter uns», sagt er grinsend. Auf einen weiteren WM-Triumph warten die Tschechen seither vergeblich – der Gold-Traum soll an dieser Heim-WM in Erfüllung gehen.
«Meine Landsleute sind sehr leidenschaftliche Hockeyfans», beschreibt die Legende. Das führe dazu, dass man einerseits die riesige Unterstützung spüre, «aber auch den grossen Druck». «16’000 von den 17’000 Matchbesuchern haben das Gefühl, sie seien die besseren Trainer und Spieler.» Und einige Millionen TV-Zuschauer ebenso. Cervenka ist sich bewusst, dass es ein besonderes Turnier für ihn wird. Wer wisse schon, wann es seine letzte WM ist. «Deshalb versuche ich, es irgendwie auch zu geniessen.» Doch wer den ehrgeizigen Spieler kennt, weiss: Er will gewinnen. Sein Fokus gilt in den Camps seit einem Monat der WM. Es geht in seinem Kopf nur noch um Vorbereitung, Leistung, Erholung, Essen, Schlafen.
Den Wunsch mit der Wohnung erfüllt
Der ausgedehnte Stadtspaziergang mit Besuch seiner Lieblingsbeizen ist eine Ausnahme. Weil er gerne über seinen Heimatort erzählt, «und weil mein Kühlschrank leer ist». Ein Lacher. Unwichtig, Cervenka liebt es, dass es so viele gute Restaurants für jeden Geschmack in Gehdistanz gibt. Denn ja, er hat sich vor einigen Jahren seinen Wunsch erfüllt und für sich und seine Familie eine Wohnung mitten in der Altstadt gekauft. «Die Lebensqualität hier ist so gut, die Stadt so schön. Noch nie hat mir jemand gesagt, dass ihm Prag nicht gefällt.»
Mit ihr verbindet der Lakers- und Nati-Captain so viel. In Prag hat er seine Frau Veronika (33) kennengelernt, hier wurde sein Sohn Denis (11) geboren. «Eigentlich hätte er ja in Kanada zur Welt kommen sollen», erzählt Cervenka, der in jener Saison 2012/13 bei den Calgary Flames spielte. Doch der Lockout trifft die NHL und er kehrt für dessen Dauer zu Slavia Prag zurück.
«Egal, wo ich gespielt habe», so Cervenka, «ich kehre immer mit einem guten Gefühl nach Prag zurück. Der Stadt gehört mein Herz.» Seine Laufbahn hat den zweifachen Meister (Extraliga, KHL) schon in so manche Metropole geführt. Omsk und St. Petersburg in Russland oder eben Calgary in Kanada. Zudem bereist er mit seiner Familie gerne die Welt. «Reisen zu können, erweitert den Geist.» Er weiss um dieses Privileg, denn seinen Eltern sei dies früher aus finanziellen Gründen und wegen der Sprachbarriere kaum möglich gewesen.
Seit 2016 und seinem Wechsel in die National League – zunächst zu Fribourg, dann zu Zürich und 2019 zu den SCRJ Lakers – verbringt Cervenka die meiste Zeit des Jahres in der Schweiz, weil sein Sohn hier zur Schule geht.
Das schönste Licht zur späten Stunde
Mittlerweile hat die Dämmerung eingesetzt, der Sonnenuntergang davor ist prächtig. Cervenka blickt von der Hoteldachterrasse in die Ferne. Er zeigt aufs Prager Metronom am anderen Ufer der Moldau. Es handelt sich um eine künstlerische Installation von Vratislav Karel Novák, die 1991 auf dem Sockel des 1962 zerstörten Stalin-Denkmals im Letná-Park errichtet wurde. «Im Sommertraining renne ich da mit einigen anderen Spielern die lange Treppe hoch, manchmal bis wir uns übergeben müssen.»
Seine Gedanken schweifen wieder zum Eishockey. Doch der Hunger meldet sich trotz Mittagessen und spätem Kaffee und Kuchen zurück. Es ist Zeit für den Spaziergang zu seinem favorisierten Sushi-Restaurant – zur für Cervenka schönsten Tageszeit. «Wenn ich abends durch Prag laufe, ist es mit den vielen Lichtern noch viel atemberaubender.» Er halte immer mal wieder inne, obwohl er es schon gefühlt eine Million Mal gesehen habe. Der Prager bekommt nicht genug davon.