Als Oleksandr Usyk (34) den Vertrag für den Schwergewichts-WM-Kampf gegen Anthony Joshua (32) unterschrieb, liess sich sein britischer Gegner eine Rückkampf-Klausel zusichern. Normalerweise finden Herausforderer solche Bedingungen nicht so witzig, schliesslich sind da meistens die finanziellen Konditionen ebenfalls bereits festgeschrieben, und zwar nicht zu ihren Gunsten. Usyks Reaktion darauf? «Ah, cool», sagte er laut seinem Manager Alexander Krassyuk einfach. «Dann verprügle ich Anthony zweimal!»
Am Samstagabend macht der Ukrainer in London beim ersten Aufeinandertreffen ernst, dominiert den grösseren und schwereren Joshua nach allen Regeln der Boxkunst, der Punktsieg ist hochverdient und manch ein Beobachter hat gar das Gefühl, Usyk könnte noch zulegen, wenn es unbedingt sein müsste. Man könnte sagen: Er hat Joshua verprügelt.
Auf der Strasse verkaufte er Glacé
Es ist der Höhepunkt einer Karriere, in der alles erkämpft werden musste: Usyk, 1987 in Simferopol auf der Halbinsel Krim geboren, wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Lange sieht es danach aus, als ob es der Fussball sein könnte, der ihn aus der Armut holt. Bis 15 spielt er im Nachwuchs des damaligen ukrainischen Erstligaklubs Tavriya Simferopol. «Ich war ganz gut, immer in der Startformation.» Das Problem: Fussball ist zu teuer. «200 oder 300 Hrywnja (7 oder 10 Franken) waren für meine Eltern damals viel Geld. Boxen war einfacher, günstiger. Der Trainer hat mir seine Handschuhe gegeben, seine Frau hat sie mir zurecht genäht. Nur die Reisetickets mussten wir selber bezahlen.»
Um das Geld dafür zusammenzubekommen, arbeitet er auf einem Bauernhof. «Auf der Strasse habe ich Glacé verkauft, Aprikosen, Pfirsiche. Dafür schäme ich mich nicht, ich habe das alles gemacht, um zu überleben. Ich wollte meiner Familie helfen, das ist doch normal.»
Usyk heiratete seine Jugendliebe Jekaterina
Das Boxen macht ihn schliesslich zum Riesen: 2012 wird er Olympiasieger, danach wechselt er zu den Profis, haut im Cruisergewicht alles kurz und klein (16 Kämpfe, 16 Siege, alle vier grossen WM-Gürtel geholt), bevor er vor drei Jahren ins Schwergewicht wechselt. Da ist er in der Heimat längst ein Star, seine Ehe mit Jugendliebe Jekaterina beschäftigt die Gazetten. 2018 wird er gar zum Filmstar: Im ukrainischen Animationsfilm «The Stolen Princess» spricht er eine Rolle – der Streifen spielt international immerhin rund 60 Mio. Franken ein.
Gut möglich, dass es nicht der letzte Usyk-Film ist. Schon jetzt ist sein Aufstieg eine ganz grosse Geschichte. Geht es nach ihm, ist sie noch lange nicht vorbei. «Es war der grösste Fight meiner Karriere», sagt er. «Aber nicht der härteste.» Und nun? «Möchte ich leben», gibt sich Usyk philosophisch. «Ich möchte meine Kinder in die Schule bringen, Bäume pflanzen, Apfelbäume giessen. Ich möchte meine Frau öfter sehen. Ich habe gerade drei Monate im Trainingslager verbracht.» Die Pause hat er sich verdient. Im neuen Jahr gehts dann wieder in den Ring. Es gibt ja noch eine zweite Verabredung mit Joshua.