Dieser Mann ist ein Phänomen. Mit wenig Talent, aber umso mehr Fleiss, hat sich DJ Bobo (56) zum Superstar hochgekämpft. Seit über 30 Jahren tourt der gebürtige Aargauer um die Welt, performt zwischen Buddhastatuen und im Piratenkostüm.
Trotz Superstar-Status ist er stets der nette René von nebenan geblieben, ein Saubermann. Da sind keine Affären, keine Skandale. Bobo trinkt nicht. Gemäss Autobiografie nicht einmal Hustensirup mit Alkohol, Weisswein im Fondue muss gut eingekocht sein. Und natürlich raucht er nicht.
So anständig. So normal. So harmlos.
Mit diesen helvetischen Tugenden ist der Sänger so beliebt wie kaum ein anderer. Gemäss einer Studie ist Bobo einer der attraktivsten Werbeträger für Schweizer Unternehmen. Mit ihm können wir uns am stärksten identifizieren. 85 Prozent kennen sein Gesicht, bekannter ist nur Roger Federer.
Wie sehr sein Saubermann-Image täuscht, wird den Schweizern mit dem Musical «Last Night a DJ Took My Life» im Schauspielhaus Zürich gerade öffentlich vorgeführt. Das Stück erzählt Lori Gloris (64) Geschichte. Die schwarze Sängerin singt 1994 Bobo-Hits wie «Pray» oder «Respect Yourself» ein, erhält im Studio 10’000 deutsche Mark (damals rund 8000 Franken) und unterschreibt eine vermeintliche Quittung. Tatsächlich tritt sie damit ihr Urheberrecht ab. Während die Sängerin auf der Strasse landet, macht Bobo mit ihrer Stimme Millionen. Auf deren Anrufe reagiert er nie. Ein Gericht weist Gloris Klage später ab. Bis heute ist es Bobos Frau Nancy, die Loris Stimme an Konzerten lipsynct.
DJ Bobo schweigt zur Geschichte. Über den Manager richtet er aus, dass er keinen Kommentar abgebe, ein Gespräch will er nicht. Warum auch? Sämtliche Vorwürfe prallen an ihm ab.
Mittelmässigkeit und Bodenständigkeit sei Dank. Ein Image, das der Popstar nur allzu gerne reproduziert. «Ich bin ein mittelmässiger Komponist, ein mittelmässiger Tänzer, Rapper, Sänger – alles mittelmässig.» Bobo, Goldstandard der heiligen Schweizer Mittelmässigkeit.
Auf den ersten Blick stimmt es: Warum zur Hölle wird einer, der in so vielem so durchschnittlich ist, so erfolgreich?
Weil Bobo kein mittelmässiger, bodenständiger Normalo ist. Er hat früh zwei Dinge begriffen: In der Schweiz darf erstens niemand zu hoch hinaus. «Der Schweizer will nicht hören, dass ich der Tollste bin», sagte er in einem Interview. Zweitens: Fleiss – und die nötige Gerissenheit – sind wichtiger als Talent.
Nachts als DJ, morgens als Bäcker
Dabei sind der Tanz und das Auflegen als DJ Baumanns Ausweg aus der Agglotristesse. Peter René Baumann kommt 1968 zur Welt, wächst in Kölliken AG als Sohn einer Floristin und eines italienischen Gastarbeiters auf. Vater Luigi verlässt die Familie noch vor Renés Geburt.
Zu Hause übt René vor dem Spiegel die Bewegungen des Electric Boogie, tanzt im Jugendhaus. Versucht sich kurz als Sprayer (Tag «Bobo»), wird aber erwischt und muss SBB-Wagen putzen. Mutter Ruth zuliebe lässt er sich zum Bäcker-Konditor ausbilden. Nachts legt er als DJ auf, immer aber erscheint er morgens um vier Uhr pünktlich in der Backstube.
Es folgen Auftritte in Provinzdiscos und Einkaufshäusern, zweiter Platz bei den Schweizer DJ-Meisterschaften. Seine ersten drei Singles floppen. Niemand will DJ Bobo und dessen Musik, das Publikum verlässt jeweils die Tanzfläche. Bobo gibt nicht auf.
1993 gelingt der Durchbruch mit «Somebody Dance with Me». Baumann stösst Whitney Houston von Platz 1 der Schweizer Charts, der Song wird zum internationalen Megahit.
Es folgt eine Karriere, die hierzulande ihresgleichen sucht: 150 Gold-, 29 Platin- und 2 Diamantauszeichnungen, 5 Millionen Konzertbesucher, geschätztes Vermögen von 25 Millionen Franken. Bobo tritt mit Michael Jackson auf, die Backstreet Boys und *NSYNC sind seine Vorbands. 21 Mal füllt er das Hallenstadion – mehr als jeder andere Musiker. Noch heute gehört er zu den meistgestreamten Schweizer Künstlern.
Sommervilla mit Privatstrand, Winter in Miami
Der Superstar gibt sich in den Medien als «Bünzli», Familienmensch, Normalo. Dabei hat sein Leben schon lange nur noch wenig damit zu tun: Seit 2008 lebt er mit seiner Frau und den beiden Kindern in einer Villa im luzernischen Kastanienbaum – samt Indoor-Schwimmbad und privater Badewiese am See. Die Winter verbringen sie im Zweitwohnsitz in Miami, Florida. Interviews gibt er selten, Promievents bleibt er fern. In einem Land, in dem man sogar Bundesräte im Zug antrifft, war Baumann, wie er selbst sagt, seit Jahren nicht mehr einkaufen. Bus oder Zug fährt er sowieso nie.
Im Buch «Die vergessenen Jahre», einer kritischen Schrift seines ersten Labels, schreibt sein erster Produzent über Bobos Anfänge: «Er war ein sehr guter DJ, aber er hatte keine Ahnung vom Musikbusiness. Er verfolgte jede unserer Aktivitäten sehr genau, machte Notizen, schrieb alles schön auf.»
Etwas, was sich später auszahlt. Als Plattenverkäufe in den Nullerjahren einbrechen, müssen Musiker umdenken. Heute verdienen Künstlerinnen ihr Geld vor allem mit Shows und Merchandise. Wenige haben das so schnell begriffen und kapitalisiert wie Bobo.
Zuverlässig tourt er im Zweijahresrhythmus in Sportarenen und Freizeitparks, performt vor meterhohen Tigerköpfen und im Vampirkostüm in perfekt aufs Familienpublikum zugeschnittenen, durchkommerzialisierten Shows: Von bedruckten USB-Sticks und Plüschtigern hin zur eigenen Zeitungsbeilage ist die Marke DJ Bobo omnipräsent.
Seine Shows sind zeitlos, schmerzlos, kompatibel für fast alle und alles. Ein Besucher schrieb einst, man erwarte am Ende der Show, dass auf den Zinnen des «Magic Castle» der Gesamtbundesrat erscheine und der Menge zuwinke.
Künstlerisch anspruchslos trifft es auch. Bobo kann weder Noten lesen, noch beherrscht er ein Instrument (abgesehen von Klavierstunden beim Gotti und ein bisschen Blockflöte). Seis drum. In einer SRF-Dok sagt er, ein Hit definiere sich durch das, was das Publikum mag: «Für mich zählt nur, ob die Leute mitsingen oder mittanzen.»
Seine Kernkompetenz sei es, sagt er, Talente von Leuten zu erkennen: «Ich checke das sofort.» In der Show «Die grössten Schweizer Talente» ist er derjenige, der jeweils als Erster zum «Nein» buzzert. Die «Weltwoche» schrieb einst, so locker er wirke, so fest habe er seine Mitarbeiter im Griff.
Erfolg ist wichtiger als Integrität
Das vielleicht Schweizerischste am Superstar ist aber dessen Geschäftssinn. Die Schweiz hat seit jeher das Talent, über moralische Unzulänglichkeiten hinwegzusehen, sofern es der eigenen Kasse dient.
Bobo war der Erfolg mehr als einmal wichtiger als Integrität. Der Refrain seines ersten Hits ist geklaut. Nach einem Vergleich muss er für jede Platte Tantiemen in die USA zahlen. Später gab es Vorwürfe, sein Berater habe für einen Preis bei den Verkaufszahlen geschummelt.
Unzimperlich zeigte sich Bobo auch gegenüber Emel Aykanat (48). Mit 16 singt sie den Refrain von «Somebody Dance with Me». Mit Bobo sei eine Beteiligung vereinbart, wenn der Song erfolgreich werde. Doch dann seien ihr, so erzählt sie es, Quittungen für Auftrittsgagen vorgelegt werden, die nachträglich verändert worden waren – sie soll damit ihre Urheberrechte abgetreten haben. Emel spricht von einer «beträchtlichen kriminellen Energie». Ihr Anwalt droht mit Klage, man einigt sich aussergerichtlich. Emel erhält Tantiemen in der Höhe eines sechsstelligen Betrags.
Gemäss dem Buch «Die vergessenen Jahre» muss auch eine dritte Sängerin – Jennifer – mit einem Anwalt darum kämpfen, am Verkauf beteiligt zu werden. Im Buch steht, Bobos damalige Frau und er hätten trotz seines Erfolgs im Restaurant immer getrennt gezahlt.
Die lange Liste von Hintergangenen
Tanja Geuder (62) war von 1994 bis 1997 Sängerin und Tänzerin bei DJ Bobo. Während einer Show stürzt sie in ein Loch – weil die Bühne kurz zuvor verändert worden war, wie sie sagt. Geuders Schulter ist zertrümmert, die junge Mutter kann nicht mehr auftreten, steht ohne Einkommen da. Eine Entschädigung soll sie nie erhalten haben, sagt sie. Ein Anwalt rät ihr aus finanziellen Gründen von einer Klage ab.
Hintergangen fühlt sich auch Gutze Gautschi (75). Mark Wyss und er nahmen Baumann 1992 unter Vertrag, produzierten dessen erstes Album – verhalfen ihm zum Durchbruch. Dankbarkeit habe Bobo jedoch keine gezeigt (in dessen Biografie kommen die Produzenten nur als «die Jungs von Fresh Music» vor).
Als Bobo das Label wechselt, nimmt er alle Songs neu auf – mit neuen Sängerinnen, oft mit Frau Nancy. So spart er sich die Tantiemen für die früheren Rechteinhaber und die beiden Produzenten. Die Neuaufnahmen soll er nie sauber als solche deklariert haben.
Gautschi sagt, Gloris Fall habe schon in den 90ern als Abzocke gegolten: «Gibt jemand die Stimme für einen Hit, beteiligt man sie oder ihn mit einem Prozentsatz. Das machen seriöse Labels so.» Bobos Umgang mit der Sängerin zeige seinen wahren Charakter.
Kaum jemand kennt Bobo besser als Oliver Imfeld (56). Der Unternehmer und engagierte SVPler ist seit Breakdance-Zeiten mit ihm befreundet, war fast drei Jahrzehnte dessen persönlicher Manager. Bobo zog 2008 sogar zu ihm nach Kastanienbaum. 2019 stieg Imfeld aus – im Streit, wie es heisst. Gehört auch er zu den Hintergangenen? Imfeld will sich dazu nicht äussern.
Im Herbst tourt DJ Bobo durch Südamerika. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht: Die «Krönung» wäre das 40-Jahr-Jubiläum, sagte er zu SRF. Dann wäre er 65 – Pensionsalter. Das passe. Wie ein guter, bodenständiger Schweizer.