Auf einen Blick
- Syrer Talal Aldroubi kämpft seit sieben Jahren um Schweizer Pass, Entscheidung steht bevor
- Bundesgericht erklärte Ablehnung für willkürlich, Justizkommission empfiehlt erneute Ablehnung
- Aldroubi lebt seit neunzehn Jahren in der Schweiz
«Ich bin am Ende meiner Kräfte», sagt Talal Aldroubi (47). «Das lange Hin und Her macht einen kaputt.» Der gebürtige Syrer sitzt am Küchentisch und schaut seinen Kindern beim Spielen zu. Feuerwehrautos und Pferdefiguren liegen auf dem Wohnzimmerboden. Seit 19 Jahren lebt Aldroubi in der Schweiz – und seit sieben Jahren kämpft er um den roten Pass. «Ich fühle mich hier zu Hause. Syrien kenne ich nicht mehr.»
Am Mittwoch geht es für Aldroubi um alles oder nichts. Dann entscheidet das Parlament des Kantons Thurgau über sein Einbürgerungsgesuch. Sein Spiessrutenlauf könnte damit endlich ein Ende finden. Doch er muss zittern: Die zuständige Justizkommission empfahl sein Gesuch zur Ablehnung – obwohl das Bundesgericht die Begründung für willkürlich erklärt hat.
«Willkürlich» und «haltlos»
Aldroubi erzählt energisch. Vor ihm liegt ein Stapel Dokumente – es sind Entscheide, Rekurse und Gerichtsurteile seines langen Einbürgerungsprozesses.
2018 beantragte er bei der Gemeinde Romanshorn TG für sich und seine Tochter die Einbürgerung. Die Einbürgerungskommission lehnte sein Gesuch mehrmals ab. Es mangle ihm an geordneten finanziellen Verhältnissen, so die Begründung. Aldroubi ist ausgebildeter Dolmetscher und arbeitete damals Teilzeit als Kochkursleiter. Der Kommission erzählte er von verschiedenen weiteren beruflichen Plänen. Diese wertete die Kommission als realitätsfremd. Und bei der Gemeinde Weinfelden habe er Schuldscheine über rund 11’500 Franken. Dabei geht es um die Bevorschussung von Alimenten.
Aldroubi wollte es nicht dabei belassen – er fühlte sich ungerecht behandelt. Mit der Gemeinde hatte er sich geeinigt, dass er das Geld zurückzahlen wird. Daraufhin wurden die Schuldscheine aus dem Betreibungsregister gelöscht.
Er zog den Einbürgerungsentscheid durch alle gerichtlichen Instanzen bis vors Bundesgericht. Und bekam recht. Das Bundesgericht beurteilte die Ablehnung seines Gesuchs als «willkürlich» und «haltlos». Die «leichten Defizite» bei Aldroubis wirtschaftlicher Integration seien stark übergewichtet worden. Von einer ausgewogenen Gesamtbetrachtung könne keine Rede mehr sein.
Justizkommission stellt sich quer
Damit hielt Aldroubi die Sache eigentlich für erledigt. Die Gemeinde Romanshorn wurde höchstrichterlich angewiesen, Aldroubi das Gemeindebürgerrecht zu geben. Auch das Staatssekretariat für Migration (SEM) bewilligte die eidgenössische Einbürgerung. Nur das Kantonsbürgerrecht fehlte noch – das letzte Glied in der Kette.
Und genau dort kam es zu Aldroubis grosser Niederlage: Die Justizkommission empfahl dem Parlament des Kantons Thurgau mit sechs zu fünf Stimmen, seine Einbürgerung abzulehnen.
In einem Bericht vom 5. Februar 2025 argumentiert die Mehrheit der Justizkommission exakt mit dem gleichen Argument, das vor Bundesgericht für haltlos befunden wurde: Es bestehe eine Schuld gegenüber der Gemeinde. Die Verpflichtung, die kantonalen Einbürgerungsbestimmungen einzuhalten, sei grösser, als dem Urteil des Bundesgerichts nachzukommen.
Nach einem Bundesgerichtsurteil sei die Rechtslage eigentlich klar, so Aldroubis Anwalt. Ein Kanton dürfe die Einbürgerung nur noch ablehnen, wenn nach der Bewilligung des Bundes neue Tatsachen bekannt werden, die eine Erteilung des Bürgerrechts nicht rechtfertigen. Auch die Kommissionsminderheit wies darauf hin, dass die Gewaltentrennung nicht umgangen werden könne. Der Kanton habe sich an den klaren Bundesgerichtsentscheid zu halten.
Auf Anfrage erklärte Michèle Strähl-Obrist, die Präsidentin der Justizkommission, zum laufenden Verfahren nicht Stellung zu nehmen.
Aldroubi will nicht aufgeben
Am 19. Februar kommt es nun zum Showdown. Folgt die Mehrheit des Thurgauer Parlaments dem Antrag der Justizkommission? Oder hält sie sich an das Bundesgerichtsurteil?
Aldroubi wird nicht selbst anreisen – er ist mittlerweile aus Romanshorn weggezogen. Der Ort sei für ihn mit einer grossen Last verbunden, sagt er. «Ich war engagiert und kannte viele Leute. Im Laufe der Einbürgerungsgeschichte habe ich mich zurückgezogen. Ich fühle mich dort nicht mehr wohl.»
Den Entscheid wird er via Livestream verfolgen. «Ich hoffe, dass am Mittwoch endlich alles zu Ende ist. Damit ich abschliessen kann.» Drei Flaschen Appenzeller stehen schon bereit. Falls er endlich den roten Pass erhält, will er mit seinen Freunden anstossen.
Und wenn nicht? Die Einbürgerungsbewilligung des Bundesgerichts läuft im Mai aus. Aldroubi müsste den Entscheid also erneut vor das höchste Gericht ziehen. «Aufgeben ist keine Option», sagt er. Das sei wie bei der Ersteigung von Mount Everest. Wenn man 8000 Höhenmeter erreicht hat, kehre man nicht mehr um. «Dann geht man weiter, bis man ganz oben ist.»