Seit gut 100 Tagen ist Regula Rytz (60) Präsidentin von Helvetas, der grössten privaten Entwicklungsorganisation der Schweiz. Jetzt tritt die frühere Nationalrätin und Präsidentin der Grünen Partei mit einem Appell an die Öffentlichkeit: Die Schweiz soll 100 Millionen Franken gegen den weltweiten Hunger bereitstellen – das wäre eine Verdoppelung des bisherigen Budgets.
Die Weltlage verschlechtert sich. So endet kein Stammtischgespräch, sondern der Human Development Index der Uno. Gemäss dem Bericht sinkt der Wohlstand in neun von zehn Ländern. Die Schweiz steht im internationalen Vergleich hervorragend da. Sie rangiert auf Platz eins des Uno-Index und soll dementsprechend mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. «800 Millionen Menschen leiden chronisch an Hunger. Das Welternährungsprogramm der Uno braucht immer mehr Mittel – wegen den steigenden Preisen und den steigenden Transportkosten», sagt Rytz im Gespräch mit SonntagsBlick. Offiziell lanciert werden soll der Appell morgen Montag. Damit will Helvetas die Menschen in der Schweiz dafür gewinnen, sich in dieser schwierigen Krisenzeit für nachhaltige Entwicklung und globale Gerechtigkeit einzusetzen – und Politik und Wirtschaft dafür zu sensibilisieren.
Schon während der Corona-Pandemie haben Armut und Ungleichheit weltweit zugenommen. Aufgrund der Klimakrise kommt es häufiger zu Dürren oder Überschwemmungen; das jüngste Beispiel sind die Fluten in Pakistan, die über 1400 Menschenleben kosteten. Hinzu kommt der Krieg in der Ukraine. «Die Auswirkungen sind weltweit spürbar», sagt Rytz. «Lebensmittel, Rohstoffe und Energie werden teurer und verschärfen die bestehenden Versorgungskrisen zusätzlich. Länder im Osten Afrikas und im Nahen Osten, die auf den Weizen aus der Ukraine angewiesen sind, wurden von den Preissteigerungen regelrecht überrumpelt.»
Immerhin: Die Helvetas-Präsidentin rechnet nicht mit einer Abnahme privater Spenden. Diese Unterstützung der Ärmsten dieser Welt sei in der Schweizer Bevölkerung stark verankert. Um dem Hunger entschlossen entgegenzuwirken, brauche es aber mehr öffentliche Mittel für Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit, sagt Rytz. «Die Schweiz kann mit der Förderung der klimaangepassten Landwirtschaft und der Berufsbildung viel bewirken», ist sie überzeugt. Ob es so weit kommt, entscheidet das Parlament. Es wird im Dezember über das Budget für die Entwicklungszusammenarbeit debattieren.