Zwölf Zug-Durchsagen pro Stunde an der Haltestelle im Quartier – Anwohner von Adliswil ZH sind genervt
«Es ist wie eine Wassertropfen-Folter»

Quartierbewohner rund um die Haltestelle Sihlau in Adliswil ZH ärgern sich über Lautsprecherdurchsagen. Zwei erzählen von ihrem Kampf für mehr Ruhe.
Publiziert: 23.03.2024 um 12:44 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2024 um 18:34 Uhr
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Die Haltestelle liegt mitten im Wohnquartier.
Foto: Leserreporter
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Sandra MeierJournalistin News

«Es ist eine unerträgliche Situation!» Stephan Trinkler ist genervt. Der 64-Jährige wohnt neben der Haltestelle Sihlau in Adliswil ZH. Mit den quietschenden Bremsen der Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn (SZU) habe man sich ja arrangiert. Seit vergangenem Spätherbst gibt es für die Quartierbewohner ein weit grösseres Ärgernis: Die SZU hat Regeldurchsagen eingeführt, um das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) umzusetzen. Dieses schreibt vor, dass Ankündigungen über einfahrende Züge auch akustisch erklingen müssen. Nun schallen diese Infos aber mehrmals pro Stunde über die zehn Lautsprecher ins Adliswiler Wohnquartier.

Zu Stosszeiten zwischen 6 Uhr und 9 Uhr häufen sie sich gemäss Trinkler auf zwölf Durchsagen in 60 Minuten. «Es ist wie eine Wassertropfen-Folter, es macht dich wahnsinnig!», sagt er zu Blick. Tropfen um Tropfen fällt bei dieser Foltermethode in regelmässigen Abständen auf den Kopf des Opfers. Trinkler fühlt sich in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt. Vor 20 Uhr könne er seinen Garten nicht mehr geniessen. Fenster öffnen im Homeoffice: Fehlanzeige. Nachbarn würden gar auf die Uhr schauen, bevor sie das Haus verliessen. Die Siedlung wurde 1912 gebaut und steht unter Denkmalschutz. Eine Lärmschutzwand kommt deshalb nicht in Frage. «Uns sind die Hände gebunden.»

In ihrem Zuhause nicht mehr wohl fühlt sich auch Neu-Rentnerin Monika Maria Leithner. Blick erreicht die 64-Jährige in Mexiko. Sie habe ihre Ferien wegen der störenden Durchsagen bis Ende April verlängert, sagt sie. «Man wird krank, wenn man sich immer dort aufhält.» Leithner trifft die Lautsprecherbeschallung besonders schwer: Nur sechs Meter trennen ihr Haus von der Haltestelle. In ihrem Garten oder Wintergarten hat sie keine Chance, dem Lärm zu entkommen. Selbst bei geschlossenem Fenster werde sie von den Durchsagen belästigt. «Wir wurden nicht einmal vorinformiert. Plötzlich ging es einfach los», kritisiert sie. 

In der Nacht nun gänzlich abgestellt

«Wir sind natürlich nicht gegen das Behindertengleichstellungsgesetz», betonen die beiden. Aber es gehe um die Verhältnismässigkeit. Wenn über Lautsprecher angekündigt werde, dass die S4 auf Gleis 1 einfährt, sei das sinnbefreit und führe zu Irritationen. «Es fährt hier nur die S4 und es gibt nur dieses eine Gleis – der Zug fährt immer entweder nach Langnau oder Zürich», sagt Trinkler. 

Seit Monaten fordern die Anwohner die SZU auf, die Regeldurchsagen wieder abzuschalten. Zunächst erklangen sie auf Deutsch und Englisch, sowohl bei Tag als auch in der Nacht. Nach Lärmklagen hat die SZU auf die englischen Durchsagen verzichtet. Dann war die Lautstärke nachts reduziert worden. Mittlerweile bleiben die Lautsprecher in der Nacht gänzlich stumm, wie SZU-Mediensprecher Marco Graf gegenüber Blick bestätigt. «Leider ist es herausfordernd, die Durchsagen sowohl mit dem BehiG als auch mit dem Lärmschutzgesetz, das ab 22 Uhr gilt, in Einklang zu bringen», schreibt Graf auf Anfrage. Da in der Nacht weniger Passagiere unterwegs seien und «im Sinne der Verhältnismässigkeit» habe man sich zu diesem Schritt entschieden – «um so den Bedürfnissen der Anwohnenden Rechnung zu tragen», so Graf. 

«20 Jahre geschlafen – und dann diese Hauruckaktion»

Das besänftigt diese aber nur beschränkt. Denn auch tagsüber fühlen sie sich in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. «20 Jahre lang hat es die SZU verschlafen, Massnahmen für das Behindertengleichstellungsgesetz einzuführen, und dann kommen sie mit dieser Hauruckaktion», kritisiert Leithner weiter.

Um das Gleichstellungsgesetz zu erfüllen, das seit Anfang Jahr in Kraft ist, sei eine Zwischenlösung erforderlich, schreibt SZU-Mediensprecher Graf dazu. Frühestens ab Ende 2025 sollen sogenannte Text-to-Speech-Boxen an den Stationen installiert werden. Kleine Boxen, die per Knopfdruck angezeigte Informationen vorlesen. «Das Erstellen des Konzepts und dessen Umsetzung braucht seine Zeit», erklärt Graf.

Über ein weiteres Jahr unter Dauerbeschallung zu leben, darauf haben die Anwohner wenig Lust. «Ich habe mir hier ein Zuhause aufgebaut und weiss nicht, ob ich nach meiner Rückkehr wegziehen muss», sagt Monika Maria Leithner.

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