Die Schweiz bangte schon vor der nächsten Corona-Krawallnacht. Anzeichen dafür, dass sich die wüsten Szenen von St. Gallen auch in anderen Städten wiederholen könnten, gab es zuhauf. In den sozialen Medien kursierten gleich mehrere Aufrufe, denen zufolge sich Jugendliche und junge Erwachsene treffen wollten – Corona-Schutzmassnahmen hin oder her: Trinken, Feiern, Party machen. In einigen Aufrufen hiess es, man wolle sich zur Not auch gegen die Polizei zur Wehr setzen.
90 Wegweisungen in St. Gallen
Die Situation am Freitagabend blieb jedoch mehrheitlich ruhig. Die Polizei war auf eine allfällige Eskalation vorbereitet. Am Bahnhof St. Gallen zeigen die Beamten bis spätabends Präsenz, führen einzelne Personenkontrollen durch. Wie Stadtpolizei-Sprecher Dionys Widmer erklärt, dient dies vor allem zur Überprüfung der Wegweisungen, die am vergangenen Wochenende ausgesprochen wurden. Widmer: «Wenn diese von jemandem missachtet werden, dann ist dies strafbar und wird angezeigt.»
Die Stadtpolizei hat aber auch zahlreiche neue Wegweisungen ausgesprochen. «Betroffen war etwa eine Gruppe, die aus Bern angereist war. Und mehrere Personen, die angaben, Personen treffen zu wollen, aber dann keine Namen nennen konnten», sagt Sprecher Widmer. Insgesamt wurden 90 Personen weggewiesen, die zum Teil auch aus der übrigen Ostschweiz, Luzern, Kriens und Landquart angereist waren.
Festnahmen und zahlreiche Einbringungen
Am späteren Abend nahm die Stadtpolizei am Bahnhof zudem mehrere junge Männer fest. Der genaue Grund für die «Einbringungen» sind nicht bekannt. Mutmasslich haben sich die Betroffenen nicht an Wegweisungen gehalten. Zudem wurden bei den Kontrollen eine Schreckschusswaffe, Vermummungsmaterial und diverse Betäubungsmittel sichergestellt.
Zwischen 18 Uhr und Mitternacht wurden rund 40 Personen eingebracht. Über ein Dutzend der eingebrachten Personen sei minderjährig gewesen, schreibt die Stadtpolizei. Eltern wurden informiert und mussten die Teenager bei der Polizei abholen. Der Stadtpolizei zufolge seien die wenigsten der eingebrachten Personen in der Stadt St. Gallen wohnhaft.
Auch in Winterthur blieb die Situation am Freitag ruhig. Der Mediensprecher der Stadtpolizei Winterthur, Michael Wirz, zeigt ein gewisses Verständnis dafür, dass die gegenwärtige Situation mit der Pandemie schwierig ist für die Jugendlichen. «Wir wollen auf die Jugendlichen zugehen und dort, wo Probleme bestehen, diese ansprechen.» Die Stadtpolizei habe gute Erfahrungen gemacht mit dieser Strategie. Deshalb setze man vor allem auf Dialogteams und die Jugendpolizei.
«Fett abgah», sollten die Teilnehmer der Party im Niederdorf, so der Aufruf, der auf Portalen wie Tiktok oder Snapchat fleissig weitergereicht wurde. «Wir müssen uns unsere Jugend zurückholen», lautete das Motto. Und wenn die Ordnungshüter auftauchen? «Dann fangen wir halt an, uns zu wehren», schrieb der anonyme Verfasser. Der Aufruf wurde mehrere Tausend Mal geteilt.
Zürcher Polizei lässt sich nicht in Karten blicken
Was, wenn die Zürcher Altstadt am Freitag doch zum illegalen Party-Hotspot geworden wäre? Die Stadtpolizei Zürich wollte sich auf Blick-Anfrage betreffend ihrer Strategie nicht in die Karten blicken lassen. «Wir sind an den Wochenenden bereits seit mehreren Wochen verstärkt präsent», sagte Sprecherin Judith Hödl bereits am Dienstag. Wie man konkret auf die angekündigte Versammlung im Niederdorf reagiert, wollte sie nicht kommentieren – «aus polizeitaktischen Gründen».
Johanna Bundi Ryser (58), Präsidentin des Schweizerischen Polizeibeamtenverbands, spricht von einem deutlichen Anstieg von Gewalt gegen die Polizei. Dies zeige der Anstieg der neuen Kriminalstatistik. Die Krawalle würden ein Frustventil für die «coronamüden» Jungendlichen bieten. Für die Lösung dieser Situation müssten alle zusammenarbeiten: «Die Beamten sind auch auf die Hilfe von Jugendverbänden, Schulen und Präventionsstellen angewiesen», sagt Bundi Ryser zu Blick TV.
Einen ähnlichen Party-Aufruf wie für Zürich gibt es seit einigen Tagen ebenfalls in Winterthur. Und auch in St. Gallen, wo es Ende März und am Osterwochenende zu heftigen Ausschreitungen und mehreren Grosseinsätzen der Polizei gekommen war, brodelt es weiter.
«Den Jugendlichen Zukunftsperspektiven geben»
Langfristig gesehen seien Überwachungskameras und mehr Polizei keine Lösung für die Eindämmung der Jugendgewalt, sagt Gewaltforscher Dirk Baier zu Blick. «Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, den Jugendlichen Zukunftsperspektiven zu geben, sodass sie sich angenommen fühlen und sich auch integrieren wollen.»
«In der jetzigen Situation ist es wichtig, den Jugendlichen ein Stück weit entgegenzukommen, indem man ihnen diejenigen Orte öffnet, die ihnen wichtig sind – sofern dies möglich ist», meint Baier. Würden soziale Kontakte wieder möglich, so könnten die zu Gewalt führenden «Frustmomente» zurückgehen.
Für das Wochenende wurde in St. Gallen auch zu einer Demonstration gegen die geltenden Corona-Massnahmen aufgerufen. Diese ist von der Stadt nicht bewilligt worden. «Allerdings nicht aus inhaltlichen Gründen», wie Stapo-Sprecher Dionys Widmer auf Anfrage von Blick sagt. «Es finden bereits zwei andere Demonstrationen in St. Gallen statt, daher hat es nicht Platz für noch einen Umzug.»
Die Polizei kündigte an, wie schon am Sonntag ausgedehnte Personenkontrollen durchzuführen. Dabei sollen auch erneut Wegweisungen ausgesprochen werden für Personen, die «auf Krawall aus sind oder als Schaulustige den Gewaltaufrufen folgen». Wie sie diese Personen von denjenigen, die aus anderem Grund in St. Gallen sein werden, unterscheiden wollen, wird nicht gesagt. (cat/mla/dca/auf/noo)