Seltsame Serie von Unfällen mit Toten und Schwerverletzten
Behörden ermitteln gegen Zürcher Epilepsie-Wohnheim

In einem Epilepsie-Wohnheim ist es in den vergangenen vier Jahren zu mehreren tragischen Vorfällen gekommen. Während die Heimleitung relativiert, nehmen die Ermittlungen der Behörden Fahrt auf.
Publiziert: 18.11.2023 um 16:09 Uhr
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Aktualisiert: 20.11.2023 um 10:05 Uhr
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Ein Bewohner etwa wurde fälschlicherweise zu lange in heissem Wasser gebadet. Er erlitt grossflächige Verbrühungen an den Beinen. (Symbolbild)
Foto: Shutterstock

Die Betreuung von Erwachsenen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen ist wohl eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die es im Pflegeberuf gibt. Fehler oder Unachtsamkeiten können sowohl für Patienten als auch für Pfleger bitterböse Konsequenzen haben.

Als Paradebeispiel dafür muss derzeit das Epilepsie-Wohnwerk in Zürich herhalten. Das Heim gehört der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung. Dort gab es in den vergangenen vier Jahren laut eines Berichts des «Tages-Anzeigers» eine traurige Serie von schweren Unfällen. Ein Bewohner verletzte sich gleich zweimal schwer, eine Betreuerin wurde verprügelt und zwei Bewohner starben.

Bewohner badet in glühend heissem Wasser

Der letzte Vorfall ereignete sich im vergangenen August. Ein Bewohner (39) sass viel zu lange im heissen Badewasser. Der Patient kann weder sprechen noch um Hilfe schreien, wenn er Schmerzen empfindet. Nach einigen Sekunden unvorstellbarer Qualen bemerkte die Betreuungsperson schliesslich, was Sache ist. Für den Bewohner war es da bereits zu spät. Er hatte grossflächige Verbrühungen an den Beinen. An 28 Prozent der Körperoberfläche waren die Haut und Nervenbahnen zerstört, wie es im Austrittsbericht des Unispitals heisst.

Mehrere Wochen lag der Mann auf der Intensivstation im künstlichen Koma. Zwei Mal transplantierten die Ärzte Haut an den Beinen und Füssen.

Besonders tragisch: Der gleiche Bewohner hatte bereits vier Jahre zuvor einen ernsten Unfall. Im Juni 2019 kletterte er aus einem Fenster, das eine Betreuerin zuvor offengelassen hatte. Dabei stürzte der Mann in die Tiefe, brach sich zwei Wirbel und eine Rippe. 

Betreuerin wegen Angriff arbeitsunfähig

Daneben kam es zu weiteren Vorfällen. Eine Betreuerin wurde von Bewohnern innert kurzer Zeit zwei Mal angegriffen. Die Verletzungen, die sie davontrug, waren schwer. Seit vier Jahren ist die Frau arbeitsunfähig. Den Bewohnern im Heim irgendwelche Vorwürfe zu machen, führt oftmals zu nichts. Zwar würden sie nicht selten ein aggressives Verhalten an den Tag legen und aufeinander losgehen. Verstehen, was um sie herum passiert, tun sie allerdings nicht. 

Aufsehenerregend sind auch zwei Fälle vor rund drei Jahren. Im November 2020 erlitt ein Bewohner in der Nacht einen epileptischen Anfall, an dessen Folgen er starb. Nur zwei Monate später kam es zu einem weiteren Todesfall, bei dem sich ein Bewohner zuerst wegen eines Sturzes den Kiefer brach und nur kurz darauf einer tödlichen Lungenentzündung erlag.

Die Leitung des Epi-Wohnheimes relativiert. Gemäss dem Leiter des Wohnheims, André Thürig, und dem CEO der Epi-Stiftung, Marco Beng, hätten beide Patienten sogenannte Grand-Mal-Anfälle erlitten – also besonders heftige Epilepsie-Anfälle, die bis zur Bewusstlosigkeit führen können. Versäumnisse habe sich das Wohnwerk deswegen keine vorzuwerfen. 

Zwei Strafverfahren hängig

Thürig und Beng weisen darauf hin, dass eine Behinderteninstitution eine lückenlose Überwachung trotz aller Sorgfalt nicht bieten könne. Dasselbe gelte für Gewaltausbrüche der Bewohner gegenüber Mitarbeitern. «Die Mitarbeitenden treten die Stelle im Wissen darum an, dass sie trotz sorgfältiger, professioneller Arbeit von den betreuten Bewohnenden in Ausnahmefällen angegriffen werden könnten», sagt Thürig gegenüber dem «Tages-Anzeiger». 

Die Betreiber des Wohnheims gestehen zwar ein, dass der Fenstersturz «allenfalls vermeidbar gewesen» wäre, da eine Mitarbeiterin interne Richtlinien verletzt habe. Beim Verbrennungsfall des gleichen Bewohners sei hingegen noch nicht klar, «ob ein vermeidbares Vorkommnis vorliegt».

Die Vorfälle im Heim haben mittlerweile auch die Behörden stutzig gemacht. Das kantonale Sozialamt etwa, ist wegen allfälliger aufsichtsrechtlicher Massnahmen bereits im Austausch mit dem Bezirksrat, dem für die Aufsicht zuständigen Gremium. 

Gemäss Staatsanwaltschaft laufen derzeit wegen des Badeunfalls und eines der Todesfälle mindestens zwei Strafverfahren. Eingestellt hingegen wurden die Ermittlungen zum anderen Todesfall. (ced)

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