Mysteriöse Quittung im Zürcher Datenskandal
Schon 2013 wurden Landmann Disketten angeboten

Gemäss einem Beleg wurden dem Milieu-Anwalt 2013 Datenträger angeboten. Ein Staatsanwalt wurde hellhörig. Landmann beteuert, nie solche Datenträger besessen zu haben.
Publiziert: 11.12.2022 um 08:52 Uhr
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Aktualisiert: 11.12.2022 um 16:25 Uhr
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SVP-Kantonsrat Valentin Landmann hat den Fall aufgedeckt.
Foto: Keystone
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Ein Lebemann hält die Zürcher Politik in Atem. Bei Roland Gisler (58), Wirt des Milieulokals Neugasshof im Zürcher Kreis 5, landeten höchst vertrauliche Daten der Justizdirektion. Sie waren über Jahre stümperhaft entsorgt worden – und zwar über die Firma von Gislers Bruder A.*

Seither machen Gisler-Geschichten in allen Varianten die Runde in der Stadt: Gisler, der leitende Behördenmitglieder des Sicherheitsapparats privat belästigt, Gisler, der mit Schmähplakaten gegen unliebsame Juristen vor den Gerichten auffährt, Gisler, der auf der Strasse böse Flyer gegen seine Widersacher verteilt, Gisler, der sich mit dem Teleobjektiv vor dem Gerichtsgebäude in Stellung bringt. Im November hat ihn das Obergericht – noch nicht rechtskräftig – wegen Drogenhandel und anderer Vorwürfe zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Eine der unterhaltsameren Legenden handelt von Gislers Jugend:Da hatte er beim Industriekonzern Bührle eine Lehre als Maschinenmechaniker absolviert; statt einer herkömmlichen Abschlussarbeit fertigte er eine funktionierende Maschinenpistole. Die Waffe soll heute im Zürcher Kriminalmuseum liegen.

Wer wusste was?

Der Mann, der den Skandal mit einer parlamentarischen Anfrage aufgedeckt hat, ist eine nicht minder schillernde Persönlichkeit: Valentin Landmann (72), SVP-Kantonsrat und Strafverteidiger. In der Betäubungsmittelsache ist er Gislers Anwalt, so ist er auch auf die Sache mit den verschwundenen Festplatten gestossen. Landmann zeigt sich entsetzt über den Umfang der sensiblen Sammlung. Zwischen 2000 und 2014 seien Abertausende Daten irgendwo im Milieu gelandet: «Darunter sind wohl auch geheime Untersuchungen der Staatsanwaltschaft und Besprechungen zwischen dem damaligen Justizdirektor und der Oberstaatsanwaltschaft», so Landmann. Die Forderung der SVP nach einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) unterstützt auch Gislers Anwalt: «Die Sache muss à fonds aufgeklärt werden.»

Nicht restlos geklärt ist, wer wann was wusste. Die angeschossene Justizdirektorin Jacqueline Fehr (59), allerdings erst seit 2015 im Amt, hat nach eigenen Angaben seit zwei Jahren Kenntnis von der Affäre, sie aber gegenüber der Öffentlichkeit bis vor wenigen Tagen verschwiegen. Die GPK des Parlaments wurde 2021 informiert. Landmann wiederum gibt an, dass er erst seit etwa einem Jahr davon wisse.

Dies steht jedoch im Gegensatz zu einer Quittung vom 18. Oktober 2013, die schon länger kursiert und SonntagsBlick vorliegt. Auf dem Briefpapier von Landmanns Kanzlei heisst es darin: «Das Anwaltsbüro Landmann bestätigt Herrn J. W., zwei Harddisks entgegengenommen zu haben.» Bei J. W.* handelt es sich um den Geschäftspartner von Roland Gislers Bruder, der damals die Daten der Behörden vernichten sollte.

Weiss Landmann also seit neun Jahren davon? Und ist er selber im Besitz solcher Datenträger? Auf Anfrage sagt der Jurist, er sei an das Anwaltsgeheimnis gebunden – und betont zugleich: «Ich habe und hatte keinerlei solche Disketten bei mir.» Er habe immer wieder andeutungsmässig von der Sache erfahren. Die wirkliche Dimension des Falls jedoch sei ihm erst in den letzten Wochen klar geworden.

Ein ungünstiger Zeitpunkt

Wie es im Umfeld des Juristen heisst, ist J. W. seinerzeit in Landmanns Kanzlei aufgetaucht und wollte die beiden Harddisks verkaufen, was Landmann abgelehnt habe. Der Mann sei mit dem Material wieder von dannen gezogen. Auf Fragen nach Landmanns Wissensstand kam jedenfalls auch Staatsanwalt Daniel Kloiber: Am 4. Dezember 2020 erkundigte er sich persönlich in dessen Kanzlei, ob dort etwas aus diesen Daten vorhanden sei.

Fest steht, dass die ganze Sache noch lange nicht ausgestanden ist. Zu viele Fragen stehen noch im Raum. Sollte sich dereinst eine PUK an die Arbeit machen, also das Legislativen-Gremium mit den schärfsten Instrumenten, könnte noch mehr ans Tageslicht kommen.

Für die SP-Politikerin Jacqueline Fehr ist dies ein ungünstiger Zeitpunkt, zumal im Februar in Zürich Regierungsratswahlen stattfinden. Und dass – ausser dem Gesundheitswesen – kein Bereich der öffentlichen Verwaltung sensibler ist, wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht, wird auch Fehr bewusst sein.

In der Zwischenzeit soll Roland Gisler auf bergeweise weitere Informationen aus den Datensätzen gestossen sein.

* Namen bekannt

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