Am 31. Mai 2019 dringt Ante S.* (†60) in den frühen Morgenstunden in die Wohnung seiner Ex-Freundin Leonora F.* (†34) und ihrer Kollegin Dana T.* (†38) in Zürich Wiedikon ein. S. nimmt die beiden Frauen als Geiseln, verhandelt stundenlang mit der Polizei. Am Ende sind alle drei Personen tot.
Wie sich die Geiselnahme genau abspielte, geht nun aus Ermittlungsakten vor, welche der «NZZ» vorliegen. Als Ante S. in der Wohnung am Döltschiweg steht, hat er eine Pistole der Marke «Deutsche Werke», eine Schachtel Munition und gelbes Klebeband im Gepäck.
Ante S. erschiesst Dana T. auf dem Balkon
Um 5.20 Uhr ruft Dana T. die Notzentrale an. Sie sei «überfallen worden» und brauche dringend die Polizei, geht aus den Akten hervor. Der Kontakt zu T. bricht ab, nur noch laute Schreie sind im Hintergrund zu hören. Die Zentrale versucht, T. nochmals zu kontaktieren – ohne Erfolg.
Acht Minuten später trifft die Polizei ein. Was die Einsatzkräfte jedoch nicht wissen: Dana T. ist bereits tot, Ante S. hat sie auf dem Balkon erschossen. Anwohner hören zwar einen Schuss, melden dies aber erst später den Ermittlern.
Die spätere Obduktion wird ergeben, dass T. Stunden vor Ante S. und Leonora F. gestorben ist. «Dies untermauert den Tatablauf, dass Ante S. die um 5.20 Uhr auf dem Balkon Schutz und Rettung kontaktierende Dana T. erschoss», heisst es in den Akten, über die die «NZZ» berichtet.
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Geiselnehmer fordert Polizei zum Rückzug auf
S. erwartet indes die Polizei am Fenster, fordert sie zum Rückzug auf. Er habe zwei Frauen in seiner Gewalt und werde sie erschiessen, falls die Beamten einschreiten. Er brauche Zeit, mit seiner Ex-Freundin zu sprechen, sagt er. Über die nächsten drei Stunden ziehen sich die Verhandlungen hin – obwohl eine der Geiseln schon tot ist. Im Einsatz stehen die Interventionseinheit Skorpion und das Verhandlungsteam.
Im ersten Telefongespräch um 6.10 Uhr stellt sich Ante S. mit vollen Namen vor und wiederholt seine Drohung nochmals. Aus dem Fenster könne er die Einsatzfahrzeuge weiterhin sehen. Zudem fordert S. zwei Stunden fürs Gespräch mit seiner Ex-Freundin.
43 Minuten verstreichen. Erneut telefoniert das Verhandlungsteam mit dem Geiselnehmer. Nun zeigt sich S. aggressiver: Es komme zu einer «Katastrophe», falls die Polizisten «einen Trick versuchen».
Leonora T. war gefesselt und geschlagen
Die Verhandler verlangen gleichzeitig, mit einer der Geiseln zu sprechen. Leonora T. sagt am Hörer, dass sie unverletzt sei. Später stellen Ermittler jedoch fest, dass S. sie am Kopf und an den Armen mit Fäusten geschlagen hat. Zudem ist sie mit dem gelben Klebeband an Händen und Füssen gefesselt.
Um 7.55 Uhr sind die zugesicherten zwei Stunden abgelaufen. Aber Ante S. fordert mehr Zeit. Alles werde gut, sagt S. den Verhandlern, er wolle «keine Scheisse machen». Er werde nach dem Gespräch die Waffe aus dem Fenster werfen und sich der Polizei stellen.
Das Ultimatum der Polizei: Um 8.30 Uhr muss S. die Wohnung verlassen und die Geiseln befreien.
Letzte SMS ging an den Schwiegersohn – dann fallen Schüsse
Als die Zeit verstreicht, bittet S. um weitere paar Minuten. In diesem Moment eskaliert die Situation. Er habe mit Leonora F. «einen Scheiss gemacht», schreibt S. seinem Schwiegersohn um 8.34 Uhr. Er solle die Polizei rufen.
Fünf Minuten später fallen drei Schüsse. Die Polizei stürmt die Wohnung, dringt in den verriegelten Raum ein. Jede Hilfe kommt zu spät: Auf dem Bett liegt Leonora F. mit Schusswunden an der Stirn und am linken Brustkorb. Neben ihr liegt die Leiche des Geiselnehmers – mit einer Schussverletzung an der Schläfe. Schliesslich finden die Beamten die Leiche von Dana T. auf dem Balkon. Weiter schliesst die Staatsanwaltschaft die Beteiligung einer Drittperson gänzlich aus.
Hätte die Polizei die Tat verhindern können?
Schon am Tag der Tat wird die Frage laut, ob die Polizei nicht früher hätte eingreifen müssen. «Wir konnten nicht davon ausgehen, dass es zu dieser Tat kommt», sagte Marco Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei Zürich, damals zu BLICK.
Auch jetzt nach Abschluss der Ermittlungen steht Cortesi hinter der Vorgehensweise: «Das war ein schwieriger Einsatz, nicht nur für die Verhandler und Grenadiere, sondern auch für mich», sagt er der «NZZ». Bei der internen Untersuchung habe man nichts gefunden, was die Polizei bei einem solchen Fall nicht wieder gleich machen würde. Vielleicht hätte man aber anders reagiert, wenn man gewusst hätte, dass eine Frau bereits tot war.
Alle 15 Tage tötet ein Mann seine Partnerin
Dennoch hat die Tat eine lange Vorgeschichte: Ante S. war wegen häuslicher Gewalt aktenkundig – er hatte Leonora F. geschlagen. Deshalb trennte sich die 34-Jährige im März von ihm und suchte bei ihrer Arbeitskollegin Dana T. Unterschlupf. Doch auch dort lauerte er ihr auf.
Bei der anschliessenden Befragung im März habe er sich gar «reuig» gezeigt, so die Staatsanwaltschaft. Sein Umfeld bezeichnet S. aber als aggressiv, als unberechenbar, als einen Tyrannen und einen Stalker. Einzig seine Ex-Frau nahm ihn gegenüber BLICK in Schutz.
Dieses Tötungsdelikt reiht sich in eine Vielzahl an Frauenmorden – sogenannten Femiziden. In der Schweiz tötet alle 15 Tage ein Mann seine Partnerin. Nun beschäftigen sich auch kantonale Regierungen und Bundesbern mit der Problematik. Jegliche Massnahmen kommen aber für die Opfer zu spät. (szm)
*Namen geändert