Es ist ein verregneter Sonntagmorgen, gegen neun Uhr, als Jürgen T.* (33) dem Leben seiner Frau Verena K.* (†24) ein Ende setzt. Er tötet sie. Dann stellt er sich der Polizei. Sie hätten Streit gehabt, erklärt K. den Beamten. Ihr gehe es jetzt «nicht so gut», sagt er. Nun sitzt er in Haft. Aus seinem Umfeld hiess es, dass er eifersüchtig war.
Das gemeinsame Kind, ein elfmonatiger Bub, kommt vorerst ins Spital. Eine Familie ist zerstört. Eine weitere. Eine von vielen. Denn in der Schweiz tötet alle 15 Tage ein Mann seine Partnerin. Die Verbrechen fallen unter den Begriff «Femizid» – Frauenmord.
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Vier Fälle in zwei Monaten
Allein in den vergangenen zwei Monaten kam es hierzulande zu vier Femiziden. Knapp zwei Wochen ist es her, dass IT-Forensiker Harald B.* (†53) seine Frau Gisela* (†51) und die beiden Söhne (†7 und †9) erschiesst. Danach richtet er sich selbst. Motiv? Unklar.
Mitte Juni findet die Waadtländer Polizei die Leichen von Familie J.* in deren Wohnung in Apples VD. Und einen Abschiedsbrief des Vaters. Das Leben «sei für ihn nicht mehr möglich», schrieb er darin. Die Ermittler gehen davon aus, dass er den Doppelmord begangen hat.
In Zürich-Wiedikon verliert Leonora F.* (†34) am 31. Mai ihr Leben. Ihr Ex-Freund Ante S.* (†60) nimmt sie und ihre Mitbewohnerin (†38) an jenem Freitag als Geiseln. Nach mehrmaligem Kontakt mit der Polizei tötet er die beiden Frauen und sich selbst. Zuvor hat er seine Ex monatelang bedroht und gestalkt.
Opfer erhalten Mitschuld
Warum töten Männer ihre Frauen? Im Jahr 2018 hat der Bund insgesamt 24 Frauenmorde registriert. In 51 weiteren Fällen überlebte die Frau die versuchte Tötung durch ihren Partner. Seit Jahren verändert sich diese Zahl kaum, steigt tendenziell sogar. Anna-Béatrice Schmaltz (27) von der feministischen Friedensorganisation CFD warnt: «Wir haben in der Schweiz ein Problem mit strukturellen Machtunterschieden. Femizide sind die wohl schlimmste Folge davon.»
Im Volksmund werden Femizide meist als «Beziehungsdramen» oder «Familientragödien» abgetan. Nicht als das, was sie sind: Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Schmaltz kritisiert: «Das ist eine Verharmlosung und impliziert, dass die Frauen eine Mitschuld tragen.»
So würde den Opfern teils zugeschrieben, provoziert zu haben. Die Tötung wird als Eskalation eines Streits beider Parteien, Opfer und Täter, gesehen. «Dabei gibt es nichts, keine Provokation, kein Vorwurf, der einen Mord rechtfertigt», sagt Schmaltz.
Im eigenen Haus ist die Bedrohung am grössten
In der Schweiz sind Frauen nirgendwo so gefährdet wie im häuslichen Umfeld. Mord ist nur die Spitze des Eisbergs. Letztes Jahr wurden 18'522 Fälle von häuslicher Gewalt registriert.
Eifersucht, Minderwertigkeitskomplexe, Trennungsangst – die Motive variieren. Der Hintergrund ist gemäss der Expertin aber meist derselbe: eine «toxische männliche Kultur», die keine Schwäche zeigen könne, und eine «Abwertung der Weiblichkeit». Schmaltz erklärt: «Von klein auf lernen Männer, dass sie die Kontrolle um jeden Preis behalten und durchgreifen müssen. Frauen hingegen wird beigebracht, sich zu fügen.»
Diese Stereotype haben sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Obwohl der Feminismus zunehmend ins Zentrum von Politik und Gesellschaft gerückt ist. Hinzu komme, dass Frauen in manchen Beziehungen noch immer als Besitz des Mannes angesehen werden. Schmaltz: «So lange diese ungleichen Machtverhältnisse in der Gesellschaft verankert sind, wird es weiterhin zu Femiziden kommen.»
«Die Situation ist nicht länger hinzunehmen»
Eigentlich hatte sich die Schweiz mit der Istanbul-Konvention dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Grünen-Nationalrätin Maya Graf (57) schreibt in einem Postulat an die Landesregierung: «Die aktuelle Situation ist nicht länger hinzunehmen.»
Die Politikerin fordert nun Antworten vom Bundesrat. Denn nur mit konkreten Angaben liesse sich der Missstand bekämpfen. Dem schliesst sich auch Schmaltz an: «Noch ist das Thema ein Tabu. Doch der Bevölkerung muss bewusst werden, dass solche Frauenmorde passieren und was die Gründe dafür sind.»
Im Fall Au ZH untersucht die Polizei, was Jürgen T. zu der Wahnsinnstat getrieben hat. Auch wie es mit dem kleinen Buben weitergeht, muss noch abgeklärt werden. Doch nichts wird die Entscheidung seines Vaters rückgängig machen. Nichts die Mutter zurückbringen. Schmaltz findet dafür klare Worte: «Jeder Frauenmord ist einer zu viel.»
* Namen geändert
Etwa alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau von ihrem Partner getötet. Nirgendwo sind Frauen so sehr mit Gewalt konfrontiert wie im häuslichen Bereich. Anna-Béatrice Schmaltz (27) von der feministischen Friedensorganisation CFD erklärt, wie man sich schützen kann.
BLICK: Gibt es Anzeichen dafür, dass es in einer Beziehung zu Gewalt kommen könnte?
Anna-Béatrice Schmaltz: Ja. Häusliche Gewalt bis hin zum Mord baut sich in der Regel auf. Teilweise beginnt es mit Kontrollsucht. Der Mann möchte immerzu wissen, wo sich seine Frau aufhält und mit wem sie zusammen ist. Das ist bereits alarmierend. Richtig schlimm wird es aber, wenn der Mann ein «Stopp» nicht mehr akzeptiert.
Wie sollte die Frau dann reagieren?
Das Wichtigste ist, dass sie sich jemandem anvertrauen kann. Bestenfalls wendet sie sich an eine Beratungsstelle, die auf häusliche Gewalt spezialisiert ist. Die Fachpersonen dort wissen, wie man mit solchen Situationen umgehen muss und welche Massnahmen zu treffen sind.
Ab wann lohnt es sich, zur Polizei zu gehen?
Grundsätzlich kann die Polizei immer Rat geben. Reagieren kann sie aber erst dann, wenn eine Straftat vorliegt wie beispielsweise eine Drohung. Sollte die Polizei nicht reagieren können, dürfen sich Betroffene aber nicht unterkriegen lassen – und bei einer Fachstelle Unterstützung holen.
Etwa alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau von ihrem Partner getötet. Nirgendwo sind Frauen so sehr mit Gewalt konfrontiert wie im häuslichen Bereich. Anna-Béatrice Schmaltz (27) von der feministischen Friedensorganisation CFD erklärt, wie man sich schützen kann.
BLICK: Gibt es Anzeichen dafür, dass es in einer Beziehung zu Gewalt kommen könnte?
Anna-Béatrice Schmaltz: Ja. Häusliche Gewalt bis hin zum Mord baut sich in der Regel auf. Teilweise beginnt es mit Kontrollsucht. Der Mann möchte immerzu wissen, wo sich seine Frau aufhält und mit wem sie zusammen ist. Das ist bereits alarmierend. Richtig schlimm wird es aber, wenn der Mann ein «Stopp» nicht mehr akzeptiert.
Wie sollte die Frau dann reagieren?
Das Wichtigste ist, dass sie sich jemandem anvertrauen kann. Bestenfalls wendet sie sich an eine Beratungsstelle, die auf häusliche Gewalt spezialisiert ist. Die Fachpersonen dort wissen, wie man mit solchen Situationen umgehen muss und welche Massnahmen zu treffen sind.
Ab wann lohnt es sich, zur Polizei zu gehen?
Grundsätzlich kann die Polizei immer Rat geben. Reagieren kann sie aber erst dann, wenn eine Straftat vorliegt wie beispielsweise eine Drohung. Sollte die Polizei nicht reagieren können, dürfen sich Betroffene aber nicht unterkriegen lassen – und bei einer Fachstelle Unterstützung holen.