«Ein Millieu-Typ kam nicht aus der Zelle, weil ich berichten sollte!»
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Viktor Dammanns beste Storys:Menschliche Abgründe und schwere Schicksale

Gerichtsreporter Viktor Dammann geht in Pension und lässt alte Fälle Revue passieren
Es geschah vor 30 Jahren: Bodybuilder-Mord erschütterte Zürich

Vor 30 Jahren erschütterte ein ungewöhnlich brutales Verbrechen Zürich. Ein Medizinstudent (24) musste sterben, weil er einen Kollegen nicht an seinem Anabolika-Business teilhaben liess. Die Eltern des Opfers und Blick-Reporter Viktor Dammann erinnern sich.
Publiziert: 29.08.2023 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2023 um 08:37 Uhr
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Der grausam ermordete Medizinstudent Leo D.
Foto: zvg
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Viktor DammannReporter

Es sah aus wie eine Hinrichtung. Der Medizinstudent Leo D.* (†24) lag blutüberströmt im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses beim Bahnhof Zürich-Wiedikon. 

Die Täter hatten ihm kurz vor Mitternacht am 14. September 1993 nicht nur dreimal in den Kopf geschossen, sondern zudem mit einem japanischen Kampfmesser buchstäblich abgeschlachtet.

Der Mörder hatte stundenlang auf sein Opfer gewartet

Anderntags begab ich mich zum Tatort, um mögliche Zeugen ausfindig zu machen. Ein Nachbar hatte zur Tatzeit Sonderbares beobachtet. «Ich sah einen jüngeren Mann stundenlang vor der Haustür sitzen», sagte er zu mir.

Als Leo D. nach Hause gekommen war, so die Ermittlungen, war es besagtem jüngeren Mann gelungen, hinter seinem späteren Opfer ins Haus zu schlüpfen. Daraufhin kam es zur hinterhältigen Bluttat.

Meine Recherchen führten in die Welt der Muskelmänner. Der gut aussehende Student D. hatte Bodybuilding betrieben. Um sein Studium zu finanzieren, jobbte er in einem Fitnesscenter. Sein Chef erschüttert: «Ich kann Leos Tod nicht fassen. Stets hatte er seine Fachbücher dabei.»

Leo und sein Freund Pierre waren im Anabolika-Handel

Später erfuhr ich durch eine verlässliche Quelle, dass drei Männer aus dem Bekannten- und Freundeskreis des Opfers in U-Haft sitzen. Es handelte sich um den englischen Banker Ken L.** (27), dessen Freund Mike E.** (23) sowie um den Medizinstudenten Pierre Z. ** (23). «Ich hörte, dass Leo und sein Freund Pierre im Anabolika-Handel tätig waren», wusste ein Bekannter des Duos.

Schliesslich gelangte ich an eine Fitnesstrainerin, die in grossen Centern in den USA gearbeitet hatte. Auch sie kannte den Ermordeten: «Leo zeigte mir vor einiger Zeit eine Liste mit Anabolika-Mitteln», erinnert sie sich. «Er schlug mir vor, solche Verzeichnisse an Center zu verteilen. Beim Verkauf würde man fifty-fifty machen. In einem Aufwasch liessen sich 12'000 Dollar verdienen.»

Doch die Fitnesstrainerin lehnte ab. «In den USA wird solcher Handel streng bestraft. Leo und Pierre hatten sehr viel Geld verdient, es aber auch mit vollen Händen wieder ausgegeben: für Luxusuhren, Unterwäsche von Calvin Klein oder Jeans von Armani», wusste die Frau.

Am Tatabend hatte Leo den Geburtstag einer Schwester gefeiert

Mir gelang es, zu Leos Mutter ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Von ihr erfuhr ich, dass Leo am Todesabend bei ihr den Geburtstag seiner jüngeren Schwester mitgefeiert hatte. «Später war er mit seiner anderen Schwester, Judith, in die gemeinsame Wohnung nach Wiedikon zurückgekehrt», erzählt die Mutter. «Als Leo nicht oben in der Wohnung ankam und sie aus dem Treppenhaus ein Röcheln hörte, alarmierte sie die Polizei.»

Der Prozess zeigte die ganzen Hintergründe des Verbrechens auf: Banker Ken L. wollte ebenfalls ins Anabolika-Geschäft einsteigen, doch Leo hatte ihn abblitzen lassen. Das liess der Engländer nicht auf sich sitzen. Er stiftete seinen – laut Anklage – «ihm ergebenen» Freund Mike E. an und liess ihn wählen, entweder Leo D. oder Pierre Z. zu töten. Dieser entschied sich für Leo, weil er früher mit Pierre befreundet war.

Zuerst sollte Leo mit Blausäure vergiftet werden, doch die Beschaffung war zu schwierig. Die Pistole besorgte sich Ken L. über seine Ex-Freundin.

Die Täter sind wieder frei

Ken L. schob jede Schuld von sich. Er sei erst an den Tatort gekommen, als Leo schon tot am Boden lag. Mike E. gab die Tat zu, betonte aber, vom Banker angestiftet worden zu sein. Er kam wegen seiner psychischen Abhängigkeit zu Ken L. mit elf Jahren Knast davon. Der Banker kassierte eine lebenslange Zuchthausstrafe. Beide Täter sind bereits wieder auf freiem Fuss. Pierre Z. hatte nichts mit der Tat zu tun.

*Name bekannt 

**Name geändert 

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