Gerichtsreporter Viktor Dammann geht in Pension und lässt alte Fälle Revue passieren
Bücher-Messie (70) erwürgt Nachbarn (79)

Ein Rentner (70) meldet der Zürcher Stadtpolizei, dass im Keller seines Wohnhauses ein Toter liege. Dass er selber für das Ableben seines Nachbarn verantwortlich ist, behält er zunächst für sich.
Publiziert: 22.08.2023 um 00:11 Uhr
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So berichtete Blick im August 1991 über das Tötungsdelikt.
Foto: Philippe Rossier
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Viktor DammannReporter

Der Tipp eines Justizinsiders im August 1991 tönte aussergewöhnlich: In Zürich-Seebach seien sich zwei Rentner in die Haare geraten. Nun liege der eine tot im Keller. Glücklicherweise konnte er auch die Örtlichkeit, eine ruhige Quartierstrasse in Zürich-Seebach, benennen. Da das Strässchen nur kurz verlief, war ich rasch am Ziel, einem einfachen Mehrfamilienhaus. 

Das Opfer Wisel S.* (79) und der Täter Turi M.* (70) kannten sich laut der Familie des Getöteten nur vom Sehen. Obwohl die beiden im 7. Stock, Tür an Tür, wohnten. Von einem schwelenden Streit war nichts bekannt. 

Der Tote trug 2000 Franken auf sich

Ein Verwandter – die geschockte Ehefrau des Getöteten wollte und konnte selber nicht reden – erzählte mir das Vorgefallene. Wisel habe am Nachmittag bei seiner Bank 2000 Franken abgehoben. Auf dem Weg nach Hause habe er zufällig seinen Nachbarn Turi im Bus getroffen.

Das Geld, das Wisel dabei hatte, war jedoch nicht das Motiv des Verbrechens. Dies habe ein Polizist der Witwe berichtet. Die Banknoten habe der Tote noch auf sich getragen. Weshalb er sich zusammen mit seinem Nachbar in den Keller begab, blieb unklar.

Der frühere Bezirksanwalt Christoph Winkler wurde vom Bücher-Messie bedroht

Fakt war, dass es zwischen den Rentnern zu einer Auseinandersetzung kam, in deren Verlauf Turi M. seinen Nachbarn erwürgte. Als dieser realisierte, dass Wisel sich nicht mehr rührte, rief er die Polizei an. «Bei uns im Keller liegt ein Toter», meldete er. Praktisch zur selben Zeit, wählte auch Frau S., die ihren Mann vermisste, die Nummer 117.

Der Würger bezichtigte sein Opfer des Diebstahls

Als die Kripobeamten Turi befragen, gab er zu, mit Wisel gestritten zu haben. Dieser habe ihm aus seiner Wohnung Bücher und Gegenstände geklaut. Das bestätigte mir Bezirksanwalt Christoph Winkler. «Der mutmassliche Täter sagte, er habe seinen Nachbarn nicht töten wollen. Er bleibt aber dabei, dass ihm dieser Sachen gestohlen hat.» Dies sei eher unwahrscheinlich, werde natürlich abgeklärt.

Für eine Hausbewohnerin war das Ganze ein Rätsel: Turi M. habe alleine und zurückgezogen gelebt sowie viel gelesen.

Einige Zeit nach der Tat erfuhr ich, dass Bücherwurm Turi sogar einen Privatdetektiv angeheuert hatte, um seinen Nachbarn zu überführen. Dieser sollte beweisen, dass Wisel in seiner Abwesenheit in die Wohnung eingedrungen war und jeweils Bücher mitgenommen hatte.

Die Wohnung des Täters war mit Büchern vollgestopft

«Meiner Meinung nach trifft dies nicht zu. Seine ganze Wohnung war mit Büchern und Zeitungen vollgestopft», sagte mir der Detektiv und zeigte mir einige Fotos. «Von der Wohnungstür bis zu seinem Bett gab es zwischen der Bücherflut nur einen schmalen freien Gang, der in das Schlafzimmer und zu seinem Bett führte. Sogar die Küche war mit Büchern voll gestellt. Gekocht wurde dort wohl seit Jahren nicht mehr», so der Privatermittler. «Ich hatte bald einmal den Eindruck, dass mit dem alten Mann etwas nicht stimmt und er sich alles nur eingebildet hatte.»

Der Bücher-Messie litt an Verfolgungswahn

Diese Einschätzung bestätigte das psychiatrische Gutachten. Turi M. sei wegen seines Verfolgungswahns zur Tatzeit nicht schuldfähig gewesen.

Kurz vor dem Prozess hatte mich die Witwe des Opfers angerufen. Der Mörder ihres Mannes wohne wieder im Haus. «Ich höre ihn jede Nacht schnarchen. Unsere Schlafzimmer liegen nämlich Wand an Wand.»

Das Zürcher Bezirksgericht löste das Problem: Es verfügte, dass der schuldunfähige Rentner in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde.

*Namen geändert

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