«Schauen Sie nur, was mein Land mit mir gemacht hat», sagt der kriegsversehrte Afghane und zeigt auf seine Beinstümpfe im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger». Er war gerade einmal 19 Jahre alt, als ihm im Kampf gegen die Taliban eine Mine beide Beine vom Körper riss. Doch er gab nicht auf, arbeitete zuerst als Mechaniker, dann verlieh er Videos.
Und landete prompt im Fokus der Taliban. Sie demolierten seinen Laden, verprügelten ihn. Der Afghane flüchtete, liess Frau und Kinder zurück. Er landete 2004 letztlich in der Schweiz, wo sein Asylgesuch sogleich abgelehnt wurde.
Keine Arbeit, keine Bewilligung
Eine vorläufige Aufnahme wurde ihm jedoch gestattet, da das Zürcher Migrationsamt seine Rückkehr als unzumutbar erachtete. «Seither fühle ich mich wie ein Gefangener», so der Afghane zum «Tages-Anzeiger». Er lebe in ständiger Angst, zurückgeschickt zu werden. Fünf Gesuche sind bereits abgelehnt worden.
Der Hauptgrund für die vielen Ablehnungen: Mindestens zwei Jahre muss ein Bewerber in einem «festen Arbeitsverhältnis stehen». Dass der mittlerweile 51-jährige Afghane in einer Werkstatt der Asylorganisation Zürich (AOZ) arbeitet, reicht nicht, da Beschäftigungs- und Integrationsprogramme nicht als Erwerbstätigkeit zählen.
«Wo soll er denn arbeiten?»
Nun bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als Sozialleistungen zu beziehen. «Ich habe immer wieder versucht, einen Job zu bekommen», so der verzweifelte Mann. «Aber ich habe keine Chance.» Neben seiner körperlichen Behinderung kommen noch weitere Diagnosen dazu: Schmerzen im ganzen Körper, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Depressionen.
Für seinen Anwalt Torsten Kahlhöfer ist der Fall absurd. Das Gesuch könne nur abgelehnt werden, wenn jemand selbst verschuldet von der Sozialhilfe abhängig sei. «Es ist völlig klar, dass mein Mandant unverschuldet Sozialhilfe bezieht. Wo soll er denn arbeiten?»
Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich (SVA) sieht das jedoch anders. Laut Behörde gelte der kriegsversehrte Afghane als 60 Prozent arbeitsfähig, solange er einer Tätigkeit nachgehe, in der er sitzen könne und die seiner psychischen Leistungsfähigkeit entspreche. Deshalb lehnte die SVA auch sein Gesuch auf eine Invalidenrente 2015 ab.
Nach 19 Jahren endlich die Wende
Auch seine weitere Familiensituation erschwert dem 51-Jährigen das Leben. Seine Familie kam nach neun Jahren ebenfalls in die Schweiz, doch seine Frau hielt es nicht lange aus und ging, ohne jemandem etwas zu sagen, mit ihrer jüngsten Tochter (damals 9) wieder zurück nach Afghanistan. Doch seit die Taliban wieder an der Macht sind, gehe es den beiden nicht gut. Eine erneute Flucht in die Schweiz endete im Iran. «Meine Tochter weint immer, wenn wir telefonieren.»
Vergangenen Herbst stellte er deshalb erneut ein Gesuch auf eine Invalidenrente und einen Antrag auf eine Aufenthaltsbewilligung. Nachdem sich die «Tages-Anzeiger»-Redaktion sowie der Sicherheitsdirektor persönlich eingeschaltet haben, kommt der Durchbruch: Aufgrund seines immer schlechter werdenden Gesundheitszustandes gibt das Migrationsamt nach 19 Jahren grünes Licht für die Aufenthaltsbewilligung. Wie es nun aber weitergeht und ob er seine Invalidenrente ebenfalls bekommt, ist noch ungewiss. (mgf)