In Zürich ist der Sexualkundeunterricht seit sechs Jahren Pflicht – so hatte ein 40-jähriger Mann, der seit 2019 an der Primarschule Obermatt in Pfäffikon ZH unterrichtete, diesen auch in seinen Lehrplan eingebaut. Vergangenen Sommer bereitete er den Unterricht für seine Fünftklässler zusammen mit einer anderen Lehrerin vor. Die beiden hielten sich dabei an den exakt selben Plan, dieselben Methoden und Inhalte, wie vor drei Jahren. Damals hatte der Sexualkundeunterricht gut funktioniert.
Der Lehrer ist schwul und lebt seit 20 Jahren mit seinem Freund zusammen – ein Thema, womit er immer offen umgegangen war. Dass es bei einigen Eltern nicht gerne gesehen war, war ihm bewusst, er machte sich jedoch nichts daraus, wie er gegenüber «Züriost» erklärte.
Zweistündiges Gespräch mit Eltern
Mit seinem Unterricht wollte er sicherstellen, dass die Kinder wissen, dass sie sich in einem sicheren Umfeld befinden. Niemand durfte ausgegrenzt oder ausgelacht werden, sie sollten Fragen stellen können und auf dem Pausenplatz sollten die Unterrichtsinhalte kein Gesprächsthema sein.
Das erste, stark freikirchlich und konservativ geprägten Elternpaar sass kurz darauf in seinem Büro – nach einem zweistündigen Gespräch glaubte der Lehrer, es sei alles gut. Kaum hatte er jedoch Mitte November die Lernziele zu der Sexualkundeprüfung verteilt, wurden gleich mehrere empörte Stimmen laut.
Unterricht «altersgerecht umgesetzt»
Drei konservative, christlich-gläubige Mütter standen vor seinem Klassenzimmer und verlangten, dass ihre Kinder aus dem Unterricht genommen werden. Es folgt ein Gespräch mit der Schulleitung. Nicht nur der Unterricht, sondern auch die Sexualität des Mannes wird dabei thematisiert.
Der Lehrer zeigt daraufhin seine Materialien für den Sexualkundeunterricht vor. Und die Schulleitung lenkt ein. Sie schickt daraufhin einen Brief an alle Eltern und stellt klar, dass der Unterricht «altersgerecht umgesetzt» und die pädagogische Aufgabe «voll und ganz» erfüllt sei. Die Eltern bleiben aber stur und verfassen wiederum einen Brief an die Schulpflege und den Leiter Bildung. 13 Seiten lang. Sie schimpfen über den 40-Jährigen und behaupten, dass er die Schüler aufgefordert habe, zu Hause zu masturbieren.
Diskriminierung wegen seiner Homosexualität
Der Lehrer wehrt sich erneut. Die Gespräche nützen nichts. Die Schulleitung teilt ihm mit, dass er von den Eltern als Gefahr für ihr Weltbild gesehen wird. Zu viel für ihn.
Er liess sich für zwei Wochen krankschreiben und holte sich Hilfe beim Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV). Dieser teilte ihm einen Anwalt zu. In der Zwischenzeit reichten seine Lehrerkollegen, bei denen er beliebt war, einen Brief ein, in dem sie sich hinter ihn stellen. In diesem hiess es klar: Diskriminierung aufgrund von Homosexualität dürfe keinen Platz haben.
Per Mail gefeuert
Auch einige Eltern stellten sich hinter den Mann, schliesslich war er auch bei den Schülern beliebt. Ohne Erfolg. Am Ende wird er im Februar gefeuert – und zwar per Mail. Darin heisst es: «Wir stellen fest, dass du den Dialog mit den Eltern und auch mit uns verweigerst. Damit ist das Suchen nach einer tragfähigen Lösung für uns nicht mehr möglich.»
Sein Anwalt reagierte und wies darauf hin, dass durch Rufschädigung, Verweigerung des rechtlichen Gehörs und Verletzung des Personalrechts einige rechtsverletzende Dinge vorliegen. Der ehemalige Lehrer verzichtete jedoch auf eine Klage.
Sexualkundeunterricht hat keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben
Ende Februar werden schliesslich die Eltern und Schüler informiert. Und plötzlich klingt es so, als ob er aus freien Stücken gegangen sei. «Züriost» zitiert aus dem Schreiben. Demnach habe der Lehrer «beschlossen, nicht mehr an unserer Schule zu unterrichten und die Schule per sofort zu verlassen». Und weiter: «Wir bedauern diesen Entscheid, denn wir verlieren mit ihm einen sehr engagierten Lehrer. (…) Er hat sich auch während seiner krankheitsbedingten Abwesenheit stets dialogbereit gezeigt.»
Die Schule will sich auf Anfrage vom «Züriost» nicht konkret äussern. «Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes können wir dazu keine Stellung nehmen», erklärt der Schulpräsident Hanspeter Hugentobler. Nur so viel: Der Sexualkundeunterricht habe keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben. Es sei traurig, dass ein engagierter Lehrer die Schule verlassen habe. (zun)