In den USA in Frankreich und auch in Deutschland gibt es Gegenden, wo sich die Polizei nur noch mit Sondereinheiten hin traut. Ganze Quartiere sind in der Hand von Clans. Wer dort aufwächst, kennt nichts anderes als das Gesetz der Strasse. Kriminalität und soziale Unruhen sind die Folge dieser Ghettoisierung.
So schlimm sind die Zustände in der Schweiz noch lange nicht. Auch wenn die Jugendkriminalität seit 2015 steigt und es immer mehr Jugendbanden gibt, wie Kriminologe Dirk Baier erklärt. Er gibt zu bedenken: Die Umgebung macht es aus, ob Jugendliche in kriminellen Cliquen verkehren – wer weit weg von den Hochhäusern lebe, gerät weniger ins Abseits.
Für richtige Ghettos sei die Schweiz zu kleingliedrig, sagt Doris Sfar vom Bundesamt für Wohnungswesen. Und: «Die Quartiere sind zu durchlässig.» Auch das duale Bildungssystem und die soziale Integration bieten Sicherheit.
Siedlungen und Bewohner früher modern, heute alt
Hat die Schweiz trotzdem Problemquartiere? Ja, sagt Eva Gerber (56), Spezialistin für Quartierentwicklung. Sie arbeitete mit Doris Sfar im nationalen Programm «Projets urbains». 16 Gemeinden und Städte führten in solchen Quartieren Aufwertungsprojekte durch.
Gerber: «Viele Siedlungen galten früher als modern und waren bei Familien begehrt. Doch mit der Zeit wurden die Gebäude und die Bewohner älter, und zugezogen sind sozial schwächere Personen und Migranten.» So seien teilweise belastete Quartiere entstanden, wo niemand anderes wohnen will.
Allgemein lobt Gerber aber: «Die Schweizer Städte und Gemeinden tun viel für die soziale Integration und die Quartierentwicklung – auch deshalb haben wir hier wohl keine richtige Ghettoisierung.»
Kriminalität lässt sich mit Städtebau allein nicht verhindern
Es sei wichtig, eine gute Durchmischung von Bevölkerungsgruppen zu erreichen und Quartiere mit anderen zu verbinden. «Sonst entstehen abgeschottete Quartiere, und der Ruf der Gemeinde leidet.» Grundsätzlich lasse sich Kriminalität aber mit Städtebau allein nicht verhindern. «Das hat zuallererst mit persönlichen Perspektiven zu tun.»
Wie Soziologe Ueli Mäder (69) ergänzt, habe die Schweiz viele Erfolgskonzepte vorzuweisen. «Zum Beispiel Sport- und andere Vereine sind Gold wert. Sie vermitteln Halt und Anerkennung. Auch die grössere Durchlässigkeit bei den Ausbildungen fördert die berufliche Integration. Und die Wohnpolitik integriert benachteiligte Haushalte vermehrt in mittelständischen Quartieren. Das wirkt der Ghettobildung entgegen. Und die offene Jugendarbeit kommt gerade in der kleinräumigen Schweiz gut an.»