Auf einen Blick
- Massenkündigungen in Zürcher Wohnblöcken lösen Solidaritäts-Demonstration aus
- Betroffene Mieter fordern Rückzug der Kündigungen und bezahlbaren Wohnraum
- 105 Mietparteien gekündigt, Petition mit über 20'000 Unterschriften lanciert
Es ist 14 Uhr, als sich am Sonntag im Zürcher Kreis 5 in Zürich Hunderte von Menschen zu einer Solidaritäts-Demonstration versammeln. Grund: Drei von neun sogenannten «Sugus»-Wohnblöcken sollen totalsaniert werden. 105 Mietparteien haben anfangs Dezember die Wohnungs-Kündigung erhalten. Die über 200 Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnblöcke an der Neugasse sollen Ende März ausziehen.
«Ich bin immer noch schockiert. Man kann es nicht nachvollziehen», sagt Christian E.* (42). Der Designer wohnt erst seit einem Jahr in einem der betroffenen Blöcke. «Die Wohnungen wurden da sogar neu renoviert. Es ist alles perfekt!» Fünf mal sei er bis dahin temporär gezügelt - mit seinen zwei Kindern (11 und 13), die hier im Quartier aufgewachsen seien. «Wir waren hier eigentlich angekommen. Es ist furchtbar.» Es tue gut, wenn man bei der Demo die Solidarität spüre. Man frage sich: «Wer tut so etwas? Wir möchten, dass unsere Kündigungen zurückgezogen und Lösungen präsentiert werden – vor Weihnachten.»
«Umfassende Kernsanierung»
Die Begründung der Verwaltergesellschaft für die Massenkündigungen: Der Zustand der Liegenschaften erfordere eine «umfassende Kernsanierung». Dagegen wehren sich die betroffenen Menschen nun. Es wurde bereits eine Petition lanciert, die über 20'000 Unterschriften zählt.
Zudem hatte die SP Kreis 5 zusammen mit den Grünen und der AL nun diese Demo organisiert - in Absprache mit den Mietparteien. Das Motto der bewilligten Kundgebung: «Sugus bleibt!»
An der Demo wurden nebst den Massenkündigungen, die zurückgezogen werden sollen, auch die fortschreitende Spekulation auf dem Wohnungsmarkt scharf kritisiert. Es wird zudem der Schutz bezahlbarer Wohnungen gefordert. Zu guter Letzt wehren sich die Menschen auch gegen die «skrupellose Profitgier im Immobilienmarkt, die ganze Nachbarschaften verdrängt». Durch Spekulation werde der soziale Zusammenhalt gefährdet.
Riesiger Zusammenhalt
Doch der Zusammenhalt ist im Röntgenareal riesig. Kurz vor der Demo schickt Andrea Schütz (45), die ebenfalls die Wohnungskündigung erhalten hat, ihrem ebenfalls betroffenen Nachbarn eines anderen Blocks per Liftschnur eine Schnur. «Damit er auch noch ein Banner aufhängen kann», sagt die Sozialarbeiterin - und ergänzt: «Solche Kündigungen gehen gar nicht.» Sie stört vor allem, die Art und Weise, wie man mit ihnen umgehe. «Das ist alles andere als ein Geschenk.» Sie wohne schon dreieinhalb Jahre hier und warte nun ab, was passiere. «Und wir hoffen natürlich auf eine Wende.»
Darauf hoffe auch Martina Thoma (49). Die Pflegeexpertin wohnt in einem der sechs Sugus-Blöcke, die nicht von der Kündigung betroffen sind, aber: «Ich bin natürlich solidarisch, da ich auch einen Kündigungsbrief hätte bekommen können.» So etwas löse Ängste aus, und man müsse in solchen Zeiten zusammenstehen. «Es bleibt ein Unbehagen, dass man so etwas vor Weihnachten mit Menschen macht.» Es seien Familien betroffen, sie könne das nicht nachvollziehen. «Das sind keine schönen Weihnachten. Ich hoffe, dass die Kündigungen zurückgezogen werden. Das wäre der richtige Schritt.»
Kinder und Behinderte auch betroffen
Dass offensichtlich keine Rücksicht darauf genommen wird, was für Menschen und Einzelschicksale in den Wohnungen wohnen, zeigt der Fall von Manuel Gysel (49). Der Architekt ist seit Geburt körperlich behindert und wohnt seit der Erstvermietung in einem der Blöcke, in denen die Mieter die Kündigung erhalten haben. «Seit 1998/1999 bin ich hier wohnhaft», sagt er. «Ich hatte nach dem Studium in Lausanne hier meine grosse Chance. Denn damals waren diese Blöcke mehr oder weniger die einzigen Häuser, die effektiv hindernisfrei sind.» Es sei nun ein riesiger Einschnitt in sein Leben. «Es ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, hier eine andere Wohnung zu finden.» Er ist jedoch überzeugt: «Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.»
Das glaubt auch Vera Marti (63). «Ich lebe seit über 20 Jahren hier. Seine Wohnung zu verlieren, tut sehr weh», sagt die Pflegeassistentin. Sie sei kurz vor der Pensionierung und möchte gerne mehr Zeit, eine neue Wohnung zu finden. «In nur drei Monaten ist das unmöglich.»
*Name geändert