Es sind bedrückende Szenen, die ein Blick-Leserreporter nach der Bluttat im Zürcher Kreis 11 auf Video eingefangen hat. Entstanden, nur wenige Augenblicke, nachdem der chinesische Student Han L.* (23) am Dienstagmittag mit einer Stichwaffe auf drei Hortkinder eingestochen hat. Einen Buben verletzt der Angreifer schwer, zwei mittelschwer. «Ich habe Kindergeschrei gehört», erklärt der Leserreporter. «So richtig mit Angst.»
Sein Video beginnt, noch bevor die Polizei eintrifft. Der mutmassliche Messerstecher sitzt am Boden, mehrere Helfer halten ihn in Schach. Immer wieder sind auch Kinderstimmen zu hören.
Die beiden männlichen Helfer unterhalten sich mit Han L. – es ist jedoch schwer zu verstehen, was gesprochen wird. «Hast du eine Waffe?», fragt jemand auf Englisch. «No, no», ist die Antwort, die vom Täter zu kommen scheint. «Ich bin keine Gefahr mehr», sagt er mit ruhiger, fast unterwürfiger Stimme. «Relax», sagt ein Helfer, während er dem Messer-Mann die Arme auf den Rücken dreht. Und: «What are you doing – was machst du?», ruft der empörte Helfer und zeigt auf eine Stelle, wo Kindergarten-Kinder am Warten sind. Die Antwort des Täters bleibt unverständlich.
Völlig unverständlich bleibt auch das Motiv der sinnlosen Tat.
Am Tatort wird am Mittwoch jedoch klar, wie stark der Angriff auf die Schwächsten unserer Gesellschaft die Anwohner beschäftigt: Viele Eltern begleiten ihre Kinder, die Stimmung wirkt gedrückt. Niemand kann oder will etwas über den schrecklichen Vorfall erzählen. Den Kinderhort schirmen mehrere Polizisten ab.
Speziell: Der Festgenommene wohnt in der unmittelbaren Umgebung des Hortes in einem Studentenwohnheim. Die Bewohner beschreiben ihn als «zurückgezogen». Eine der Nachbarinnen sagt zu Blick: «Er war sehr ruhig, und man hat nie etwas von ihm gehört. Ich habe auch nie mitgekriegt, dass er Besuch bekommen hat. Normalerweise hört man, wenn jemand bei den Nachbarn ein und aus geht.» Viele andere Bewohner des Hauses können kaum etwas oder nichts über den jungen Chinesen sagen.
«Schüchterner Mann»
Über den jungen Chinesen ist weiter bekannt, dass er seinen Master in Computerlinguistik und Sprachtechnologie an der Universität Zürich macht. Blick konnte am Mittwoch mit Mitstudentinnen sprechen. Dort heisst es, es seien bereits Gerüchte herumgegangen, dass Han L. der mutmassliche Täter sein könnte. Eine Mitstudentin, die mehrere Kurse mit ihm belegte, erklärt: «Wir stehen alle unter Schock. Er war so ein freundlicher und schüchterner Mann.» Weiter sagt die junge Frau: «Wir sollen jetzt wie gewöhnlich weiterstudieren. Doch das fällt schwer.»
Eine andere Mitstudentin von L. aus dem ersten Semester sagt zu Blick: «Wir sind alle schockiert, sogar traumatisiert.» Den mutmasslichen Täter Han L. beschreibt sie so: «Er war offensichtlich schüchtern und introvertiert. Er sprach nicht viel.»
Er ist seit Sommer 2023 in der Schweiz
Auch die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich bestätigt am frühen Mittwochnachmittag, dass es sich beim Angreifer um einen chinesischen Studenten handelt. Er halte sich seit Sommer 2023 zu Studienzwecken in der Schweiz auf. Auf seinem Facebook-Profil gibt der junge Mann nicht viel preis. Nur, dass er aus der Millionenstadt Chengdu stamme.
Viel aktiver war Han L. jedoch auf Instagram unterwegs: Unmittelbar vor seiner Tat postete er unter einem Beitrag 15 Bilder. Darunter etwa einen wirren Text, der an eine verflossene Liebe gerichtet zu sein scheint. Gleich darauf folgen Bilder, die die Grossmacht China feiern. Unterlegt sind diese mit dem Song «Coeurs de l'Armée Rouge Chinoise». Seine Tat verübte der junge Mann ausgerechnet am chinesischen Nationalfeiertag, dem 1. Oktober.
Han L. zeigte sich patriotisch
Auch sonst zeigt sich Han L. patriotisch. Vor wenigen Tagen postete er einen Mail-Screenshot über eine Veranstaltung zur Souveränität von Taiwan an der Uni Zürich. Er schreibt: «Schande über die Unabhängigkeit von Taiwan. Die Provinz Taiwan gehört zu China.»
Laut der Oberstaatsanwaltschaft zeigte sich der Beschuldigte bei der Einvernahme geständig. Hinweise auf Mit- oder Nebentäter gebe es keine. Die Staatsanwaltschaft stellte einen Antrag auf Anordnung einer U-Haft. Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet nun über den Antrag.
Trotz dieses beklemmenden Vorfalls gibt es ein Aufatmen: Alle drei verletzten Buben sind am Mittwoch ausser Lebensgefahr.
* Name geändert