Er kaufte sich nach und nach Arztpraxen in der Schweiz – total 18 Stück. Doch nun ist das Imperium des deutschen Arztes Thomas Haehner (49) futsch. Er ritt die Praxen in die Pleite. Zurück bleiben wütende und enttäuschte Patienten: Tausende sind ohne ihre Akten, Hunderte haben Probleme, ihre Rezepte zu verlängern.
Praxis um Praxis soll liquidiert werden. Doch für jene in Rafz ZH gabs eine spontane Rettung. Arzt Andreas Hablützel (55) und Gemeindeschreiber Manfred Hohl schafften dies in James-Bond-Manier.
Wie das gelang, erklärt Hablützel Blick. Der Doktor steht als Verwaltungsratspräsident der Land-Permanence AG vor, einem Zusammenschluss von 24 Hausärzten aus der Region. Sie leisten seit viereinhalb Jahren erfolgreich den obligatorischen Notfalldienst. Jetzt hat die Land-Permanence auch eine Ex-Haehner-Praxis unter ihren Fittichen.
Vorletzte Woche, es ist ein Freitag, schaut Hablützel bei Haehners Praxis in Rafz vorbei. Haehner ist nicht vor Ort. Hablützel telefoniert aber mit dem Deutschen. «Wir kamen überein, dass wir uns treffen», sagt der Zürcher Hausarzt. Dass das gelingt, ist entscheidend. Denn Haehner muss den Vertrag unterschreiben, damit Hablützel seine Rafzer Praxis kaufen kann.
Samt Drucker nach Bayern gefahren
Hablützel erklärt: «Bei einer feindlichen Übernahme hätten wir den ganzen Rattenschwanz von Schulden geerbt.» Und nur bei einem Kauf kann die Praxis samt Personal ohne Unterbruch weitermachen.
Der Rafzer Gemeindeschreiber Hohl ist an diesem Freitag ebenfalls in Haehners Ärztezentrum anwesend, als Haehner mit Hablützel am Telefon ist. «Ich vereinbarte sogleich ein Treffen mit Haehner», sagt Andreas Hablützel. «Er wollte zuerst, dass wir schon um 15 Uhr kommen. Aber ich konnte den Termin auf 17 Uhr verschieben. Sonst hätten wir es nicht dorthin geschafft.»
Der Arzt und der Gemeindeschreiber wittern die Chance, die Praxis zu retten. Die beiden legen alle anderen Pendenzen zur Seite. «Wir schauten nicht auf unsere Agenden», sagt Hablützel. Zuerst sichern sie mit dem Ärzteverband die rechtlichen Details ab. Dann holt der Gemeindeschreiber einen Drucker, der auch im Akkubetrieb unterwegs funktioniert. Hablützel: «Kurz vor Mittag fuhren wir auf gut Glück los – ohne zu wissen, ob Haehner auch wirklich erscheinen wird.»
Der Land-Permanence-Chef erklärt: «Dank des Druckers hätten wir spontan den Vertrag anpassen können, falls es Unstimmigkeiten gegeben hätte.» Nach einer Stunde Fahrt, etwa auf Höhe St. Gallen, telefonieren Hablützel und Haehner erneut miteinander. «Ich sagte ihm, dass wir auch wirklich unterwegs sind. Ich bestand auf einem Treffen. Er bestätigte es weiterhin.»
Für 15'000 Franken Praxis abgekauft
Kurz vor Memmingen (D) das nächste Telefonat. Hablützel: «Wir verabredeten uns in der Innenstadt in einem Kaffee. Zu dem Zeitpunkt glaubten wir noch nicht, dass er wirklich kommen wird. Als er dann erschien, waren wir positiv überrascht.»
Haehner unterschreibt den Vertrag und stimmt somit dem Verkauf seiner Rafzer Praxis zu. Hablützel: «Das Gespräch war gut.» Er kauft die Praxis für 15'000 Franken zuerst als Privatperson, denn mit dem Verwaltungsrat der Land-Permanence ist die Rettung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgesprochen. Nach der entsprechenden Sitzung übernimmt schliesslich die Firma die Praxis. Sie führt sie samt Angestellten ohne Unterbrechung weiter.
Für die Rettung des Ärztezentrums aber brauchte es noch mehr. «Bereits drei Tage später hatten wir die Praxisbewilligung vom Kanton», sagt Hablützel. «Und das Personal, also eine Ärztin und vier Medizinische Praxisassistentinnen, hielten in der Praxis die Stellung, obwohl sie seit eineinhalb Monaten keinen Lohn erhalten hatten. Nur wenn alles stimmt, ist ein Betrieb ohne Unterbrechung möglich.»
Hablützel sagt, dass er zu den gleichen Bedingungen auch weitere Haehner-Praxen retten würde. «Aber nur, wenn wir das Personal mit übernehmen können. Doch die meisten haben gekündigt», sagt Hablützel. Bei einer weiteren Praxis läuft die Rettung bereits: In Oberuzwil SG kaufte ein 74-jähriger Arzt Haehner die Praxis zurück, wie die «Schweiz am Wochenende» berichtete.
Turbenthal will Chaos verhindern
Ein Rettungskandidat wäre auch das Ärztezentrum Turbenthal ZH. Die Patienten haben aber bloss noch die Hoffnung, ihre Krankenakte retten zu können – mehr nicht. An die Praxis selbst glaubt niemand mehr. Als Blick am letzten Freitag vorbeischaut, hat sich vor dem Ärztezentrum eine lange Schlange gebildet. Patientin Gertrud Kobel (75) sagt: «Ich muss dieses Mal an mein Dossier kommen. Zweimal hatte es nicht geklappt. «Ich lasse mich nicht mehr vertrösten.» Kaum gesagt, geht es vorwärts in der Kolonne. Ein Patient nach dem anderen kommt strahlend aus der Tür. Sogar Rezepte werden prompt ausgestellt. Auch Rentnerin Kobel ist dieses Mal schnell an der Reihe. Sie strahlt: «Jetzt ist das wenigstens erledigt, jetzt brauche ich nur noch einen neuen Hausarzt.» Und Patientin Trudi Würmli (69) freut sich über ihr Rezept für die Schilddrüsen-Tabletten wie über einen Lottogewinn.
Dass in Turbenthal wie an anderen Haehner-Praxisstandorten Chaos ausbricht, will Gemeindepräsident René Gubler (FDP) «mit allen Mitteln verhindern». Eine Ärztin, die bereits bei Haehners Vorgänger gearbeitet hatte, und mehrere Medizinische Praxisassistentinnen sind in der Praxis. Das geht nur, weil der Kanton die Löhne übernimmt. Die Praxis gehört aber noch immer Haehner.
«Wir schaffen es, etwa 200 Patientendossiers pro Woche zusammenzustellen und herauszugeben», sagt Gubler. Wie viele Akten in Haehners Unordnung registriert sind, ist noch unklar. «Es könnten 800 sein, aber auch 1200», so der Gemeindepräsident. Die Rettung der Praxis ist bis jetzt noch nicht gelungen, obwohl die Gemeinde auch das versucht. Auch hier müsste man Haehner zu einer Unterschrift bringen.