«Ich habe stundenlang gewartet, niemanden hats interessiert»
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Patientin genervt wegen Chaos:«Ich habe stundenlang gewartet, niemanden hats interessiert»

In Freidorf TG kämpfen Patienten seit Monaten um ihre Krankenakten – jetzt kam es zum Eklat
«Hilfe, unser Hausarzt ist verschwunden!»

Seit Monaten warten die Patienten eines umstrittenen Arztes im Kanton Thurgau auf ihre Akten. Ohne die können sie nur schwer weiter behandelt werden. Am Mittwoch dann der Eklat: Das Gesundheitsamt hat die Akten abtransportiert.
Publiziert: 01.06.2023 um 19:00 Uhr
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Aktualisiert: 02.06.2023 um 07:34 Uhr
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Seit Monaten warten die Patienten des umstrittenen Arztes Thomas Haehner (im Bild) im Kanton Thurgau auf ihre Akten. Ohne die können sie nur schwer weiter behandelt werden.
Foto: Zvg
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Beat MichelReporter

Es ist heiss, die Sonne brennt auf die gut 20 Wartenden vor der Arztpraxis Drei Birken in Freidorf TG. Sie warten am Mittwoch seit Stunden, um an ihre Krankenakten zu kommen. Mehrere Menschen in der Schlange sind über 80 Jahre alt. Sie haben nichts zu trinken dabei, es hat keine Sitzgelegenheiten. Kurz vor Mittag haben erst wenige ihre Akten erhalten. «Und die sind nicht einmal vollständig!», sagt einer der Betroffenen, Rentner Peter Hürlimann (65).

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Der Freidorfer wollte für die ganze Familie die Krankenakten holen. Sie sind seit 1996 in der Arztpraxis; er, seine Frau und die drei Söhne. Gefunden hat die freiwillig und gratis arbeitende Medizinische Praxisassistentin schliesslich nur die Akte von einem der Söhne. Für die restlichen vier Familienmitglieder hat sie eine CD gebrannt. «Da drauf sind aber nur die Daten seit 2019», sagt Hürlimann. Es fehlen Röntgenbilder, Allergie-Sensibilisierungen, dokumentierte Kinderkrankheiten.

Wie konnte es nur zu dem Chaos kommen? «Alles hat mit der Pension von unserem Hausarzt Bernhard Wälti vor über zwei Jahren begonnen», sagt Rentner Hürlimann. «Seither gehts drunter und drüber.» Der umstrittene Arzt Thomas Haehner (49) habe die Praxis gekauft. «Die angestellten Ärzte waren so gut wie nie da. Sie liessen sich immer entschuldigen. Sie waren entweder krank oder hatten eine Panne mit dem Auto», erzählt Peter Hürlimann. «Wenn ein Arzt da war, waren wir bereits wieder gesund.»

Verschlossene Türen

Kurz vor Ostern sei es eskaliert. Hürlimann: «Wir wollten unsere Patientenakten. Aber wir hatten keine Chance. Wir standen vor verschlossenen Türen.» Zweimal pro Woche hätten es die Hürlimanns versucht. «Sie versprachen uns immer wieder, dass sie die Akten richten und uns dann anrufen. Wir erhielten nie einen Anruf», sagt Peter Hürlimann.

Auch beim Gesundheitsamt half man den verzweifelten Patienten nicht weiter: «Man vertröstete uns. Man sei dran», sagt der Rentner. Das gleiche Spiel bei der Polizei: «Es laufe etwas, jetzt könne man noch nichts sagen», habe es geheissen. Wie die Familie zu den noch fehlenden Akten kommt, bleibt vorerst ein Rätsel.

Vor der Eingangstüre erscheint am Mittwoch alle halbe Stunde eine Person mit einem erleichterten Ausdruck auf dem Gesicht und einer Mappe unter dem Arm. So auch Fabienne Bartelt (33), die stundenlang wartete. Zwei Monate habe sie versucht, an die Akten ihrer Familie zu kommen. Erhalten hat sie aber nur die eigene. «Die restlichen konnten sie nicht finden», sagt sie genervt.

Vergebliche Mühe

Andere warten den ganzen Tag und gehen leer aus. Wie etwa Paul Hungerbühler (81). Er sagt: «Wir wollen unsere Akten! Wie sollen wir sonst an unsere Medikamente kommen?» Seit zwei Monaten versucht auch er vergeblich, an sein Dossier zu kommen.

Kurz vor 16 Uhr drängeln sich drei Frauen vom Gesundheitsamt an der Kolonne vor der Praxis vorbei. Dann fährt der Lastwagen einer Umzugsfirma vor, die Akten werden in Kisten gepackt und verladen. Den wartenden Patienten sagen die Frauen, dass sie das weitere Vorgehen auf der Homepage des Gesundheitsamtes erfahren.

Auf Anfrage von Blick erklärt Nathanael Huwiler, Generalsekretär für Finanzen und Soziales, dass für die Patientendossiers der praktizierende Arzt zuständig sei – und nicht der Besitzer der Praxis. Der habe aber sein Anstellungsverhältnis vergangene Woche per Ende Mai gekündigt. Daraufhin habe das Amt für Gesundheit mit ihm Kontakt aufgenommen und ihn dazu bewegt, zu organisieren, dass Patientinnen und Patienten am 30. und 31. Mai ihre Dossiers vor Ort abholen können.

Blick war bei der Übergabe dabei. Die beiden Frauen, die das freiwillig übernommen hatten, waren komplett überfordert. Weder der verantwortliche praktizierende Arzt, noch der Besitzer der Praxis liessen sich blicken. Ausserdem haben die Patienten erst am 30. Mai am Abend per E-Mail erfahren, dass sie die Akten abholen sollen. Wie die Freidorfer Patienten jetzt an ihre Dossiers kommen, sagt das Gesundheitsamt am Donnerstag noch nicht.

Skandalarzt Thomas Haehner besitzt in sechs Kantonen 14 Praxen. Laut dem Schweizer Fernsehen bezahlt der Deutsche seit Monaten die Löhne nicht mehr und ist untergetaucht. Er war auch für Blick nicht erreichbar.

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