Darum gehts
- Prepper bereiten sich auf Katastrophen vor, nicht wenige auf einen Weltuntergang
- Angesichts der Weltlage fühlt sich heute wohl mancher überrumpelt und ohnmächtig gegenüber dem aktuellen Weltgeschehen.
- Preppen ist eine Antwort darauf, wenn auch eine radikale
- Kurzfristig erzeugt es ein Gefühl der Kontrolle – doch langfristig verstärkt es die Ohnmacht
Das Wesen gräbt und gräbt. Es baut an einem Labyrinth aus Tunneln und Kammern – hier einen Vorratsraum, da einen Schlafplatz, tief im Inneren eine befestigte Zuflucht. Moos bedeckt den Eingang, von aussen ist nichts zu erkennen. Doch das Wesen in Franz Kafkas Erzählung «Der Bau» hört nicht auf. Unermüdlich, nahezu besessen, gräbt und schaufelt es weiter. Weshalb, ist unklar. Offen bleibt, worin die Gefahr besteht. Aber auch, wer oder was dieses Wesen ist.
Lukas von Wartburg (37) hat keinen unterirdischen Bau gegraben, er hat Rucksäcke gepackt – für sich, für seine Frau, für die Kinder: «Jeder sollte einen zu Hause haben», sagt er in einem verlotterten Haus, irgendwo im Kanton Thurgau. Die Wände sind aus grobem Mauerwerk, verstaubte Holzbalken stützen die Decke. Es könnte ein Zufluchtsort sein, doch von Wartburg hat andere Pläne.
Vor ihm auf dem Stahltisch liegen ein Kompass und eine Karte: «Jeder sollte das benutzen können», meint von Wartburg. Daneben ein grosses Stück Seife: «Kann man für vieles gebrauchen.» Ein Messer, «das gehört rein». Zahnpasta, Hygieneartikel. Ein Regenmantel, der sich als Zelt nutzen lässt, «ist sicherlich wichtig». Und der Rucksack kann zum Schlafsack werden, «damit man nicht wegen der Kälte stirbt».
Wer hat WC-Papier gehortet?
Der da spricht, ist ein Prepper, auch wenn er sich lieber als «Survival-Experten» bezeichnet. Das Wort Prepper kommt aus dem Englischen: «Preparation» bedeutet Vorbereitung. Menschen wie Lukas von Wartburg trainieren nicht für den nächsten Wanderausflug – sie bereiten sich auf ein Desaster vor, eine Katastrophe, nicht wenige rechnen mit dem Weltuntergang.
Wie viele Prepper es gibt, weiss niemand so genau. Sie organisieren sich nicht in Vereinen, sondern in Facebook-Gruppen, Telegram-Kanälen oder leben völlig abgeschottet. Beobachter schätzen, dass allein 20 bis 25 Millionen US-Amerikaner preppen – doch das Phänomen hat sich längst weltweit ausgebreitet. Bis tief in den beschaulichen Thurgau.
Es wäre leicht, diese Menschen als Spinner abzutun. Aber hatte sich während der Pandemie nicht jeder zweite Haushalt mit WC-Papier eingedeckt, ohne genau zu wissen, weshalb? Titelte die «NZZ» nicht kürzlich auf der ersten Seite: «Die Zeichen stehen auf Krieg»? Leben wir nicht in einer Zeit, in der die EU-Kommission eine massive Aufrüstung vorantreibt, «um sich auf die Möglichkeit eines gross angelegten Kriegs mit Russland vorzubereiten»?
Preppen ist eine Antwort auf das gesellschaftliche Klima. Eine ziemlich radikale zwar, doch angesichts der Weltlage fühlt sich heute mancher überfordert, überrumpelt und ohnmächtig gegenüber dem aktuellen Geschehen. Da lohnt sich ein etwas genauerer Blick auf Menschen, die in ihrer Unsicherheit bis zum Äussersten gehen.
Ein Zufluchtsort in den Bergen
Kein Zweifel, von Wartburg stellt sich auf härtere Zeiten ein. In den Bergen besitzt er einen Rückzugsort, über den er allerdings nicht sprechen mag. Einen Bunker? Etwas Vergleichbares? Er schweigt, schliesslich wäre im Ernstfall nicht genügend Platz für alle. So wie der Prepper es darstellt, würde sich – wenn «es» so weit ist – eine Gemeinschaft aus Zimmermännern, Schreinern, Automechanikern und Landwirten dorthin zurückziehen.
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch
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«Es» ist eine Bedrohung, die von Wartburg nicht näher beschreibt. Auf Nachfragen holt er aber aus: «Unsere Gesellschaft hat den Zeitpunkt verpasst, an dem ein Wandel noch möglich gewesen wäre.» Das UN-Klimaziel von 1,5 Grad Temperaturanstieg sei überschritten, «aktuelle Konflikte und ein anstehender dritter Weltkrieg sind direkte Resultate aus diesem Versäumnis», Mitverantwortung trage auch der vom Zusammenbruch bedrohte Kapitalismus – ein System, das auf permanenter Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft beruhe: «Die Welt geht nicht unter – unsere Gesellschaft tut es.»
Der bärtige Mann im schwarzen Fleecepullover und schwarzen Hosen mit grossen Taschen – «alles funktional» – beschreibt sich selbst als «Öko-Nihilist». Der prominenteste Vertreter dieser Weltanschauung ist Tadzio Müller, ein Politologe aus Deutschland, der das «Preppen vor dem Klima-Kollaps» propagiert. In der globalen Prepper-Szene aber sind die Ökos eine Randerscheinung. Die Wurzeln dieser Bewegung reichen auch ins rechte Milieu.
Rüsten für den «Gegenschlag»
Entstanden ist sie in den späten 1960er-Jahren in den USA. Als Gründervater gilt Donald Eugene Cisco (alias Kurt Saxon), ein Mitglied der American Nazi Party und Verfasser diverser Anleitungen zum Bombenbau. Zu jener Zeit fürchteten rechtsextreme Amerikaner eine kommunistische Revolution, also begannen sie, sich für den «Gegenschlag» zu rüsten. Mit der Zeit jedoch entwickelte sich das Preppen zum Selbstzweck, es entstand eine Mischung aus Verschwörungstheoretikern, Libertären und Evangelikalen, die sich auf die Zeit zwischen dem Beginn der Apokalypse und dem Jüngsten Gericht vorbereiten.
Julian Genner (40), ein Kulturwissenschaftler, hat die Geschichte der Prepper genaustens erforscht. Gerade hat er an der Universität Freiburg im Breisgau seine Habilitation «Mit Kafka im Prepperkeller» vorgelegt. Im Kalten Krieg, so Genner, habe die Bewegung in den USA ein Hoch erlebt. Als der von vielen befürchtete Atomkrieg ausblieb, sei die Strömung wieder abgeebbt – bis ins Jahr der Finanzkrise 2008: «Dann ist das Preppen in die Mittelschicht vorgedrungen.» Das Phänomen breitete sich weltweit aus. Wer ein noch grösseres Auto wollte, einen schöneren Rasen vor einem luxuriösen Haus, erlebte persönlichen und gesellschaftlichen Stillstand, ja sogar Verlust oder Absturz.
Der Eindruck verstärkte sich, es sei schwieriger geworden, durch harte Arbeit etwas zu erreichen, so Genner. Zudem mangle es der Politik an plausiblen Erklärungen für eine Welt, die immer komplexer werde – «abgesehen von rechten Parteien, die alle Probleme auf die Migration zurückführen».
Das Geschäft mit der Angst
Es seien Krisen des öffentlichen Selbstbewusstseins, die dem Preppen Aufschub geben, so Genner: die Flüchtlingskrise, die Corona-Pandemie, die Inflation, der Ukraine-Krieg. Angesichts einer fehlenden Fortschrittsperspektive flüchteten «viele ins Private, um dieser Ohnmacht zu entkommen». Und die ultimative Flucht, die extremste Rückzugsfantasie, sei nun mal das Preppen.
Mit der zunehmenden Popularität dieser Geisteshaltung wächst auch die weltweite Nachfrage für Survival-Tools. Das Marktforschungsunternehmen Stellar schätzt ihn auf 1,33 Milliarden US-Dollar. Bis 2030 soll er sich fast verdoppeln – und Lukas von Wartburg möchte sich einen Teil von diesem Kuchen sichern.
Mit seinem Bruder Mathis betreibt er seit ein paar Jahren den Prepper-Shop Swiss Owl. «Unsere Umsätze sind heute 50 Prozent höher als noch vor einem Jahr», sagt Lukas von Wartburg. Auch seit Trumps Wiederwahl würden sie «substanzielles Wachstum» verzeichnen. Nur: Ist das nicht ein Widerspruch, das kapitalistische System abzulehnen und dann damit Geld zu verdienen? «Nein», findet von Wartburg. «Wir wollen Menschen mit unseren Produkten helfen, sich in schwierigen Zeiten sicherer zu fühlen.»
Dann zeigt er eine Schutzplatte
Gerade bauen sie einen Laden, in einem über 100 Jahre alten Haus, an einer Hauptstrasse mit ein paar Bauernhöfen, umgeben von Feldern und Wäldern, irgendwo im Thurgau. Von Wartburg führt durch das Gebäude. In einer Ecke steht eine Tischkreissäge, überall liegen Holzspäne, von der Decke hängen gelbe Kabel. «Wir machen alles selber, ausser den Strom», sagt er stolz. «Nicht, um Kosten zu sparen», sondern um «die Fähigkeiten zu verbessern».
Im oberen Stock zieht von Wartburg eine Kiste hervor, nimmt ein Messer heraus und sagt: «Die verkaufen sich gut.» Auch Äxte seien «sehr gefragt», Tarnanzüge ein weiterer «Kassenschlager». Sowieso sei alles beliebt, was mit Militär zu tun hat. Von Wartburg hat auch «Drastischeres» zu bieten und packt eine ballistische Schutzplatte aus, fünf Kilo schwer. «Die beziehen wir über Umwege aus den USA – legal, aber seit dem Ukraine-Krieg schwieriger zu bekommen.»
Sein Bruder steht nun mit uns im Lager, posiert für den Fotografen und macht sich dann wieder ans Renovieren. Er hat keine Zeit zu verschwenden. Man weiss ja nie, wenn es so weit ist.
Ohnmächtige Kontrolle
Der ehemalige Kommunikationsexperte Lukas von Wartburg erklärt das Angebot der beiden: «Wir sind keine Ravioli-Prepper.» Wer nur auf Dosen setzt, überlebe im Ernstfall nicht viel länger: «Wir können reparieren, bauen, pflanzen, navigieren.» Dann reibt er sich den Unterleib und sagt: «Das ist mein Survival-Bauch. Ich überlebe sicher länger als ihr.» Gelächter.
Andere abzuwerten oder zu belehren sei typisch für Prepper, sagt der Kulturwissenschaftler Julian Genner. «Sie denken, sie würden alles verstehen, alles können, alles wissen.» Bezeichnend sei auch, dass Prepper stets auf «Fakten» hinweisen, die das drohende Unheil belegen sollen. «Vor allem Männer neigen dazu, ihre eigene Unsicherheit als objektive Tatsache hinzustellen.» Es sei auch kein Zufall, dass die Szene männlich dominiert sei: Man fühlt nicht – man weiss.
Kurzfristig erzeuge diese Einstellung das Gefühl von Kontrolle, der Selbstermächtigung. «Egal, was passiert, ich bin der König, während alle anderen alt aussehen», beschreibt Genner dieses Phänomen. Doch ein Prepper nimmt sich die Möglichkeit, den Gang der Dinge zu beeinflussen. Er engagiert sich nicht politisch, demonstriert nicht, tritt keinem Verein bei – er verkriecht sich und verstärkt so letztlich seine Ohnmacht. «Ob das ein schönes Leben ist, bezweifle ich», fügt Genner noch hinzu.
In Kafkas Erzählung verliert das Wesen jeglichen Kontakt zur Aussenwelt. Es verirrt sich in seinen eigenen Gängen. Je mehr es sich zurückzieht, desto bedrohter fühlt es sich. Zweifel und Ratlosigkeit werden intensiver. Wäre es nicht besser, die Vorräte zu verlegen? Sind die Wände zu dünn? Was wäre, wenn draussen ein grosses Tier gräbt und alles verschlingt?
Der Bau wird zur Falle.