Massive «soziale Schäden» – vor nichts Geringerem warnt der Kanton Luzern Bürgerinnen und Bürger mehrerer Gemeinden, wenn keine Massnahmen ergriffen würden. Sorge bereitet dabei nicht etwa eine neue Pandemie oder eine Wirtschaftskrise, sondern der Asiatische Laubholzbockkäfer. Kurz: ALB.
Das Insekt vermiest auch Steve Schwab (40) aus Zell LU seit gut einem Jahr die Laune. Im Sommer 2022 entdeckte das kantonale Waldamt das Krabbelmonster erstmals im Dorf. Im Juni dieses Jahres habe man herausgefunden, dass das Viech es sich bei Schwabs Nachbar gemütlich gemacht hatte, wie der Kanton Blick mitteilt. Auch Schwabs Parzelle war betroffen.
Nachdem der Kanton den Käfer erstmals aufgespürt hatte, sagte er ihm den Kampf an. Denn beim ALB handle es sich um einen der gefährlichsten Laubholzschädlinge weltweit. «Mehrfacher und starker Befall kann zum Absterben von Kronenteilen und letztendlich zum Absterben des Baumes führen», schreibt der Kanton in seiner Verfügung. Und eben: Der Käfer könne sich ausbreiten und habe das «Potenzial, nicht hinnehmbare wirtschaftliche, soziale und/oder ökologische Schäden anzurichten».
Finden die kantonalen Käfer-Detektive einen ungebetenen Gast auf einem Baum oder Strauch, werden im Radius von 100 Metern Laubbäume wie Ahorn, Weide, Buche, Birke, Erle, Linde und Esche abgeholzt. Auch gesunde Bäume. Bis heute fielen auf dem Zeller Gemeindegebiet rund 1800 Bäume und Sträucher den Sägen der Bekämpfer zum Opfer. Bei 86 Bäumen sei ein Befall durch den ALB nachgewiesen worden, sagt Bruno Röösli, der Abteilungsleiter Wald beim Kanton, auf Blick-Anfrage.
«Ich war den Tränen nahe»
Dass der Kanton gegen den Käfer in den Kampf ziehe, könne er nachvollziehen, sagt Steve Schwab. Aber: «Hier herrscht totale Baumfäll-Panik! Das radikale Vorgehen stört mich.»
Vor allem in seinem eigenen Garten. Im Juni war es so weit, als ein Abholztrupp auf Schwabs Grundstück kam. «An diesem Tag, als sie bei mir die Bäume fällten, war ich den Tränen nahe», erinnert sich Schwab.
Nicht nur, weil er ein Naturfreund ist. Sondern weil einer der gefällten Bäume, eine Weide, für den Luzerner einen emotionalen Wert hatte. Er erklärt: «Die kleine Trauerweide schenkten uns Schulkinder zum letztjährigen Tod meines Vaters.» Dass das Bäumchen plötzlich weg war, habe er erst am Tag nach der Abholzung auf seinem Grundstück festgestellt. «Ich war traurig und schockiert.»
Noch ist der Baum-Klau nicht zu Ende. Denn: «Sie wollen mir auch meine geliebte Buche wegnehmen.» Der über 30 Jahre alte Baum sei durch Käferbefall gefährdet. Die Buche hat für Schwab aber eine wichtige und lange Geschichte: «Mein Vater und ich setzten sie, als ich noch ein Bub war.»
Erinnerungsbaum an verstorbenen Vater
Schwab wehrt sich dagegen, dass sein Lieblingsbaum abgeholzt wird: «Ich bitte den Kanton inständig darum, mir meine Buche stehenzulassen. Sie ist so ein wichtiges Erinnerungsstück an meinen Vater.»
Doch der Kanton bleibe stur, sagt Schwab. Heisst: Er wird seine Buche verlieren. Und auch da wird dasselbe gelten, wie bei den anderen abgeholzten Bäumen und Sträuchern – der Kanton entschädigt Schwab mit keinem Rappen. Heisst: «Sie fällen die Bäume und sacken das Holz ein – also stehlen es mir», klagt der Schreiner. «Wenn sie mir wenigstens das gesunde Holz hierlassen könnten. Ich könnte es als Brennmaterial oder für Schreinerarbeiten verwenden.»
Kantonsförster sagt: Käfer tilgen!
Das gehe jedoch nicht, sagt Kantonsförster Bruno Röösli: «Der Käfer braucht keinen lebenden Baum, um sich weiterzuentwickeln. Er kann seinen Entwicklungszyklus auch in Holzprodukten wie Paletten oder in Brennholz beenden und als erwachsener Käfer schlüpfen.» Darum werden gefällte Bäume umgehend verbrannt.
Röösli betont, dass das Gesetz nicht vorsieht, die Bürger, deren Bäume gefällt werden, finanziell zu entschädigen. Und: «Die Kosten, um den Schädling zu überwachen und zu bekämpfen, tragen der Bund und der Kanton Luzern.»
Allgemein hält Röösli fest, dass der Kanton in Zell nicht einfach aus Lust und in Eigenregie abholze: «Der Käfer zählt zu den besonders gefährlichen Schadorganismen und gilt daher gemäss Pflanzengesundheitsverordnung des Bundes als melde- und bekämpfungspflichtig.» Und: «Der Kanton Luzern setzt die national geltenden Bekämpfungsmassnahmen um und arbeitet mit dem Bundesamt für Umwelt, der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft und der Gemeinde zusammen.»
Auch wenn er Verständnis habe für Steve Schwabs Trauer, gehe es um ein übergeordnetes Ziel: «Den Asiatischen Laubholzbockkäfer zu tilgen.»