Die Polizisten in der Schweiz sind sauer. Und zwar auf die Gruppierung «Wir für euch». Es soll sich dabei um abtrünnige Kollegen handeln. In einem kürzlich publizierten Video demonstrieren sie ihre Nähe zu Corona-Skeptiker-Kreisen und zeigen sich Hand in Hand mit den Helvetia-Trychlern. Ihre Botschaft – die vom Bund verhängten Corona-Massnahmen nicht mehr umsetzen zu wollen –, verkünden sie öffentlich. Ihre Gesichter dagegen zeigen die Mitglieder nicht.
Das Video sorgt bei der Polizei für rote Köpfe. «Wir finden es stossend und verwerflich, dass man sich in der Anonymität verstecken muss, um seine Anliegen zu vertreten. Das gehört sich nicht in einem demokratischen Staat und sicher nicht für Angehörige der Polizei», heisst es beim Verband Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB) auf Anfrage von Blick.
«Sie verstossen gegen unsere Werte»
Und auch die einzelnen Polizeikorps wollen keinesfalls mit «Wir für euch» in Verbindung gebracht werden. «Genau wie andere Polizeiorganisationen distanzieren wir uns klar von solchen Gruppierungen und deren Aussagen. Sie widerspiegeln in keiner Art und Weise die Meinung und Haltung unseres Korps und verstossen gegen unsere Werte, die jede Polizistin und jeder Polizist beim Eintritt in unser Korps mit dem Gelübde anerkennt», sagt Adrian Feubli von der Stadtpolizei Winterthur zu Blick.
Deutliche Worte kommen auch aus der Ostschweiz: «Die Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden distanziert sich in aller Form von der erwähnten Gruppierung. Die Polizistinnen und Polizisten haben den Auftrag und die Pflicht, die gesetzlichen Bestimmungen unabhängig von der persönlichen Meinung in der Gesellschaft im Rahmen der Verhältnismässigkeit umzusetzen», so Sprecher Marcel Wehrlin zu Blick.
Polizeien haben keine Kenntnis von weiteren Mitgliedern
Die Nähe zu den Corona-Skeptikern sorgt nicht nur für Wirbel unter den Kollegen, sondern hatte auch schon Konsequenzen. Die Kantonspolizei Zürich hat bereits zwei Polizisten freigestellt, die der Gruppe angehören. Nach Angaben der Gruppierung habe sie jedoch «deutlich mehr als zwei» Polizisten in den eigenen Reihen.
Und genau das überprüft nun die Kantonspolizei St. Gallen. «Die Kantonspolizei St. Gallen prüft, ob Mitarbeitende dieser Organisation angehören. Wenn dem so ist, werden rechtliche Schritte geprüft», erklärt Kapo-Sprecher Florian Schneider. Anders sieht es dagegen bei den übrigen Kapo aus: Sie wollen offiziell nichts von einer Verbindung zu den Corona-Skeptikern wissen. «Die Kantonspolizei Thurgau geht nicht davon aus, dass Polizistinnen und Polizisten aus ihren Reihen dieser Gruppierung angehören; wir können dies aber auch nicht gänzlich ausschliessen», sagt Sprecher Matthias Graf zu Blick.
Ähnlich tönt es in der Zentralschweiz. «Wir haben bisher keine Kenntnis, dass Mitarbeitende der Zuger Polizei nicht hinter den vom Bundesrat erlassenen Corona-Massnahmen stehen», sagt Sprecherin Judith Aklin.
In Basel-Stadt und Basel-Landschaft gibt es nach Angaben der Sprecher «keinerlei Hinweise oder Erkenntnisse, dass sich Mitarbeitende unseres Korps daran beteiligen». Das Gleiche in Graubünden. Kapo-Sprecher Markus Walser: «Die Kapo hat keine Hinweise auf eine Beteiligung von Angehörigen ihres Korps an der fraglichen Bewegung.»
Polizisten riskieren Entlassung
Fürchten sich die Skeptiker möglicherweise vor den Folgen? Grund dazu gibt es auf jeden Fall. Denn die Konsequenzen wären unter Umständen happig. «Mitarbeitende, die sich dem polizeilichen Auftrag widersetzen und entsprechende Aufrufe machen würden, müssten mit personalrechtlichen Konsequenzen rechnen», erklärt Marcel Wehrlin von der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden.
So auch in Graubünden. «Es gilt sodann grundsätzlich, dass die öffentliche Äusserung eines Polizisten oder einer Polizistin, seinen oder ihren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen zu wollen, einen Entlassungsgrund darstellt», erklärt Markus Walser von der Kapo.
Das sieht auch Rechtsanwalt Sandro Rudolf so. Der Experte für Arbeitsrecht zu Blick: «Wenn Polizisten im Dienst sich weigern, die gesetzlich geltenden Corona-Massnahmen durchzusetzen, stellt dies meiner Ansicht nach eine Pflichtverletzung dar, die entsprechende personalrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.»
Es gilt die Treuepflicht – auch privat
Doch wie ist die Lage bezüglich der persönlichen Meinung der Polizisten geregelt? Ein Sprecher der Kantonspolizei Bern dazu: «Grundsätzlich haben die Polizisten und Polizistinnen ein Anrecht auf persönliche Meinung. Diese muss jedoch im Sinne von professioneller Polizeiarbeit zurückgestellt werden können.»
Sandro Rudolf bestätigt dies. «Polizisten sind Beamte und unterstehen daher dem öffentlichen Arbeitsrecht. Dieses ist kantonal und kommunal geregelt. Grundsätzlich sind Beamte in der Gestaltung ihrer Freizeit frei – wie privat Angestellte. Sie haben aber die Pflicht zur Wahrung der Interessen des Kantons in guten Treuen.»
Das heisst: «Sie haben im Dienst alles zu unterlassen, was den Interessen des Kantons zuwiderläuft. Diese letztgenannte Unterlassungspflicht kann sich auch auf Bereiche ausserhalb der dienstlichen Tätigkeit, also auf den Privatbereich erstrecken.»
Mitgliedschaft im Verein allein nicht problematisch
Macht sich denn ein Polizist strafbar, wenn er Mitglied der «Wir für euch»-Gruppe ist? «Eine blosse Zugehörigkeit zu einem Verein, der eine kritische Haltung gegenüber Corona-Massnahmen hat, sehe ich nicht als problematisch an – weder aus strafrechtlicher noch aus personalrechtlicher Sicht. Hier gilt die Vereinsfreiheit», so Rudolf.
Er weist darauf hin, dass «aufgrund der Treuepflicht kritische Äusserungen zu Corona-Massnahmen in der Öffentlichkeit aber problematisch sein können. Entscheidend ist der Einzelfall. Verstösst der Mitarbeiter im Einzelfall gegen die Treuepflicht, können personalrechtliche Konsequenzen ergriffen werden.»
Ist die Freistellung der Zürcher Polizisten gerechtfertigt, die bei den Skeptikern mitmischten? «Kündigungen von Polizisten setzen einen sachlichen Grund voraus – wie zum Beispiel eine Verletzung der Treuepflicht. Bei Kündigungen aufgrund des Verhaltens muss im Normalfall zunächst eine Probezeit angesetzt werden. Nur in Ausnahmefällen kann direkt gekündigt werden», sagt Rudolf.