Winterthurer Podcaster gewinnen Award mit ihrem Format «Kurds & Bündig»
«Hör doch zu, wenn ich etwas Herziges sage!»

Sie sprechen einer ganzen Generation aus dem Herzen: Yoldaş Gündoğdu (28) und Serhat Koca (29). Die beiden Winterthurer Podcaster reden mit uns über ihren Erfolg, Männer-Freundschaft und darüber, warum die Schweizer Comedy-Szene an vielen vorbei performt.
Publiziert: 06.04.2024 um 14:37 Uhr
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Die beiden Erfolgs-Podcaster: Serhat Koca (l.) und Yoldaş Gündoğdu im Merdan-Market im Winterthurer Quartier Töss.
Foto: Thomas Meier
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft

Sind Yoldaş Gündoğdu und Serhat Koca im Einkaufszentrum Winterthur Töss unterwegs, halten sie immer wieder an und grüssen jemanden. Unter Kurden kennt man sich. Besonders im Merdan-Market, wo man Datteln, Gemüse oder Ajvar aus der Türkei für fast kein Geld findet. Gündoğdu sagt: «Für mich schmeckt es hier nach Heimat.» Wir sind mit den beiden hier, weil sie gerade an den Suisse Podcast Awards 2024 mit ihrem Format «Kurds & Bündig» den Hauptpreis abgeräumt haben. Im Döner-Imbiss daneben setzen wir uns zum Gespräch an einen Tisch und trinken Tee.

Ihr Podcast gehört zu den erfolgreichsten in der Schweiz. Wie haben Sie das geschafft?
Yoldaş Gündoğdu: Wir haben von Anfang an professionell gearbeitet, wir wollten ernst genommen werden. Und wir haben Tiktok oder Youtube genutzt.
Serhat Koca: Wir sind einfach authentisch. Wir nehmen kein Blatt vor den Mund. Wir haben kein Skript. Die Sachen, über die wir Witze machen, haben wir so erlebt. Der Podcast gibt uns den Raum für Geschichten, wie sie ganz viele im Land erlebt haben.

Sie sprechen darüber, wie es ist, als Detailhandelsangestellter in einem Einkaufszentrum zu arbeiten, oder wie es war, als kurdischstämmiger Jugendlicher in Winterthur aufzuwachsen.
Koca: Genau. Yoldaş wollte als Teenager mal bei einer Schweizer Kollegin übernachten. Ihre Eltern verboten ihm, im Haus zu übernachten, er hätte im Zelt draussen schlafen müssen. Wir sprechen vielen aus dem Herzen, sie fühlen sich mit uns verbunden.
Gündoğdu: Und wenn wir die Leute schon bei uns haben, wollen wir auch über ernste Themen sprechen, die in unserem Kulturkreis unter den Teppich gekehrt werden. Mentale Gesundheit zum Beispiel.
Koca: In unserem Kulturkreis denken immer noch viele bei dem Thema: Was ist das Problem? Steh einfach auf und mach!

Serhat Koca arbeitet als Informatiker.
Foto: Thomas Meier

Warum ist es Ihnen so wichtig, einen Podcast für «Menschen, deren Name im Word rot unterstrichen ist», wie Ihr Slogan heisst, zu machen?
Gündoğdu: Viele Jugendliche konsumieren keine Schweizer Medien, weil sie sich nicht abgeholt fühlen. Auch mir ging es so. Ich mag «4 Blocks», die deutsche Serie um eine libanesische Grossfamilie, die in Berlin-Neukölln die Strassen beherrscht. Sie hat viele Preise bekommen. Nur, weil der Fokus auf der Migranten-Community liegt und nicht auf weissen deutschen Bürgern. Sero, wie viele gute Shows aus der Schweiz kommen dir in den Sinn?
Koca: Nur der Film «Breakout» von Stress und «Being Azem», ein Winterthur-Classic über unseren Thaibox-Weltmeister. In Deutschland investieren sie viel mehr in die migrantische Filmindustrie. Die haben gemerkt, dass diese Bevölkerungsgruppe eine grosse Kaufkraft hat. Ich hoffe, dass die Schweiz bald mitzieht. Wir sind eines der modernsten Länder der Welt, trotzdem hinken wir in so vielen Dingen hinterher.

Wo steht die Schweizer Comedy-Szene?
Gündoğdu: Die bisherigen Comedy-Formate aus der Schweiz finde ich nicht witzig. Die Schweiz besteht zur Hälfte aus Frauen, aus 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Wer bildet sie ab? Diese Lücke wollen wir füllen.

Yoldaş Gündoğdu ist Filmstudent.
Foto: Thomas Meier

Sie werden mit vielen migrantischen Comedians aus der Schweiz nicht warm, wie man hören konnte. Was passt Ihnen nicht?
Gündoğdu: Comedians mit Migrationshintergrund machen Spässchen, die die Bier trinkenden Stammbeiz-Uelis geil finden: Haha, ich spreche ein lustiges Deutsch. Was ist daran witzig? Sie machen sich zum Hofnarren dieser Leute. 

Vielleicht überleben sie als Komiker in der kleinen Schweiz nur so.
Gündoğdu: So klein kann der Markt nicht sein. Wir verkaufen unsere Shows restlos aus, unser Podcast gehört zu den Top fünf der meistgehörten in der Schweiz.
Koca: Früher war diese Art von Humor okay. Heute ist das out und langweilig. Es sind immer die gleichen Stereotypen, die sie wiedergeben. Yoldaş und ich machen unter uns auch Kurden-Witze, aber wir gehen damit nicht auf die Bühne.

Trotzdem: Sie nehmen die eigene Community auch aufs Korn, was ist anders?
Gündoğdu: In unserer ersten Folge machten wir uns darüber lustig, wie kurdische Hochzeiten ablaufen. Wir machen aber keine Witze à la: Jedes Mal, wenn ich an eine unserer Hochzeiten gehe, wird immer ein Cousin mit einer Cousine verheiratet.
Koca: Wir versuchen zu zeigen, wie es für uns ist, die den Kulturspagat machen. In unserem Kulturkreis ist es normal, dass du an die Hochzeit von jedem Verwandten gehst. Bis ich 18 war, musste ich jeden Sommer eine Europa-Hochzeitstournee machen. Bei uns hiess es: «Es gehört sich so, zeige Respekt.» Als ich älter wurde, sagte ich meinen Eltern: «Ich kenne den nicht, ich habe keinen Bock mehr.» Wir merkten, wir Männer können das easy sagen. Die Frauen nicht, von ihnen wird mehr erwartet.

Die zwei «Kurds»

Yoldaş Gündoğdu ist 1995 in Österreich geboren, während der Flucht seiner Eltern aus der Türkei. Seine Mutter wurde politisch verfolgt. Serhat Koca kam 1994 in Kreuzlingen TG zur Welt. Beide haben kurdische Wurzeln und wuchsen in Winterthur ZH auf. Beide machten eine Lehre, Gündoğdu als Detailhandelsfachmann, Koca als Informatiker.

Gündoğdu drehte schon als Teenager Kurzfilme, die unter anderem an den Jugendfilmtagen in Winterthur ausgezeichnet wurden. 2022 fingen sie mit dem Podcast «Kurds & Bündig» in der Garage von Gündoğdus Mutter an. Vergangenes Jahr kamen zwölf Liveshows des Podcasts hinzu. Ende März gewannen sie den Suisse Podcast Award 2024. Gündoğdu ist mittlerweile Filmstudent, arbeitet als Produzent bei SRF und wohnt in Zürich. Koca arbeitet als Informatiker und lebt in Winterthur.

Yoldaş Gündoğdu ist 1995 in Österreich geboren, während der Flucht seiner Eltern aus der Türkei. Seine Mutter wurde politisch verfolgt. Serhat Koca kam 1994 in Kreuzlingen TG zur Welt. Beide haben kurdische Wurzeln und wuchsen in Winterthur ZH auf. Beide machten eine Lehre, Gündoğdu als Detailhandelsfachmann, Koca als Informatiker.

Gündoğdu drehte schon als Teenager Kurzfilme, die unter anderem an den Jugendfilmtagen in Winterthur ausgezeichnet wurden. 2022 fingen sie mit dem Podcast «Kurds & Bündig» in der Garage von Gündoğdus Mutter an. Vergangenes Jahr kamen zwölf Liveshows des Podcasts hinzu. Ende März gewannen sie den Suisse Podcast Award 2024. Gündoğdu ist mittlerweile Filmstudent, arbeitet als Produzent bei SRF und wohnt in Zürich. Koca arbeitet als Informatiker und lebt in Winterthur.

Yoldaş Gündoğdus Vater betritt den Imbiss. Er lächelt, als er die beiden Männer sieht, umarmt und küsst sie zur Begrüssung. Am Ende lädt er uns auf unsere Tees ein. 

Ihre Eltern sind sicher stolz auf Sie.
Koca: Für unsere Eltern zählt, dass wir eine Lehre gemacht und gearbeitet haben. Dafür haben sie geschuftet.

Sie sind als Kurden in die Schweiz geflüchtet. Ist der gemeinsame Background der Grund, warum Sie beide zusammengefunden haben?
Koca: Irgendwie schon. Aber das dauerte. Als ich 15 war, nervte Yoldaş mich krass. Ich kannte ihn nicht, aber er liess alle wissen, dass es ihn gab. Ich sah ständig in den sozialen Medien, wie er sich selbst promotete: Yoldaş von Töss macht einen Kurzfilm. Yoldaş von Töss lädt ein Foto auf Facebook von sich in einem Club hoch, um damit anzugeben. Er hats übertrieben.
Gündoğdu: Ich wusste damals nichts von seiner Existenz.
Koca: Als wir einem gemeinsamen Freund halfen, eine Ü16-Party zu organisieren, änderte sich das. Wir trafen uns alle in Winti an einem Dönerstand. Ich ignorierte ihn ein bisschen. Wahrscheinlich hat er das gar nicht gecheckt. Er tippte mir plötzlich von hinten auf die Schulter und sagte: «Du bist doch Kurde, komm lass uns ein bisschen reden.» Da dachte ich: Du bist doch nicht so ein Arschloch, wie ich dachte.
Gündoğdu: Er war nicht der Erste und nicht der Letzte, der mich verprügeln wollte. Ich war von mir selbst überzeugt. Es half auch nicht, dass ich und einige Freunde mit einem Kurzfilm an den Jugendfilmtagen und am Zurich Film Festival Preise gewannen.

Und dann hat es einfach so gefunkt?
Gündoğdu: Ja, wir sahen uns irgendwann ständig und wohnten später zusammen. Als ich in der Lehre war, schrieb ich Sero einmal: «Wenn mich jemand fragt, sage ich, du bist mein bester Kollege, du Wichser.» Er schrieb zurück: «Okay, du Arschloch, ich auch.» Weisst du das noch, Sero?
Koca: Was hast du geschrieben?
Gündoğdu: Hör doch zu, wenn ich etwas Herziges sage!
Koca: Ich kann nicht, ich suche auf Facebook gerade alte Fotos von uns!

War immer klar, dass Sie einmal zusammen Comedy machen?
Gündoğdu: Unsere Freunde fanden immer schon, dass man unsere Gespräche aufnehmen sollte. Irgendwann habe ich das angestossen. Ich war nicht sicher, wie es für Sero werden würde. Er ist ein introvertierter Mensch, sehr privat. Sero, wie bist du eigentlich damit umgegangen, als ich unsere Stimmen in die Schweiz hinaustragen wollte?
Koca: Während der ersten sechs Folgen schlief ich nachts schlecht. Ich hatte Schiss, dass ich gecancelt würde. Ich habe damals von zehn Leuten Rat dazu eingeholt, was ich sagen darf. Als ich endlich damit klarkam, fing das mit den Blicken an. Fremde schauten mich an.

Yoldaş Gündoğdu (l.) und Serhat Koca geben Einblick in die kurdische Community in der Schweiz.
Foto: Thomas Meier

Leute auf der Strasse haben Sie erkannt?
Koca: Einmal kamen drei Typen auf mich zu, und ich dachte schon, die wollten mich verprügeln, dann sagten sie: «Du bist doch der mit dem Podcast.» Ich bin froh, dass wir nicht in Amerika sind, wo man von einem Tag auf den anderen über alle Bildschirme der Nation flackert. Ich würde einen Herzinfarkt bekommen. Yoldaş liebt es, im Mittelpunkt zu stehen.
Gündoğdu: Das ist kein Geheimnis. Seit ich zehn bin, habe ich in meinem Zimmer vor dem Spiegel geübt, eine Dankesrede zu halten.

Worin unterscheiden Sie sich bei Ihrer gemeinsamen Arbeit?
Gündoğdu: Ich bin der Medienaffine und achte darauf, wie ich meine Geschichten erzähle, wann ich die Pointe setze. Und Sero sagt dann oft einfach einen Satz, der komplett unpassend ist, aber voll lustig.
Koca: Yoldaş hat einmal zehn Minuten lang erzählt, wie er in der Oberstufe über längere Zeit mit einem Typen Probleme hatte. Dann kam der Peak der Story, der Tag, an dem die beiden die Sache regeln wollten. Die Pointe war, dass der andere mit zwei, drei Leuten mehr kam als erwartet, und Yoldaş sagte nur: «Dann habe ich einfach kassiert.» Wie erwartbar.
Gündoğdu: Er lachte mich aus. Das ist seine ehrliche und harte Reaktion darauf. Genau das macht uns aus.

Sie mussten auch schon Kritik einstecken, weil bei Ihnen Ausdrücke wie «behindert» und «Hurenkind» fallen. Passen Sie sich jetzt an oder sagen Sie: Wir verbiegen uns nicht?
Koca: Das ist unsere Sprache, mit der wir aufgewachsen sind. Nicht nur wir. So sprechen viele andere in der Schweiz. Aber wir wollen uns weiterentwickeln. Wir versuchen, diese Wörter nicht mehr zu brauchen. Manchmal passiert es halt trotzdem noch.
Gündoğdu: Es gibt Menschen, die sich aus Solidarität mit der LGBTQ-Community ihre Fingernägel regenbogenfarbig anmalen und gleichzeitig einen Freund haben, der sexuell übergriffig ist. Dann sage ich lieber mal ein falsches Wort und spreche dafür über Sexualität oder Diskriminierung. Ich finde: Choose your battles. (Anm. d. Redaktion: Konzentriere dich auf das Wesentliche.)

Sie machen sich hoffentlich weiterhin über Schweizerinnen und Schweizer lustig.
Gündoğdu: Bei uns kommt jeder drunter. 

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