«Ich verstehe Hochdeutsch, aber Walliserdeutsch ist sehr schwierig»
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Grächens neue Hausärztin:«Ich verstehe Hochdeutsch, aber Walliserdeutsch ist sehr schwierig»

Schweiz leidet akut unter Hausärzte-Mangel
Grächen VS holt seine Doktorin aus El Salvador

An Hausärzten mangelt es überall: Auch im Bergdorf Grächen VS war die Suche nach einer Nachfolge für den bisherigen Doktor fünf Jahre lang erfolglos. Doch man hat eine aussergewöhnliche Lösung gefunden: Eine Ärztin aus El Salvador, die nun intensiv Deutsch lernt.
Publiziert: 07.06.2022 um 11:50 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2022 um 14:49 Uhr
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Jeden Tag steht Dr. Elena Deras Avelar um vier Uhr auf, um Deutsch zu lernen.
Foto: Luisa Ita
Luisa Ita

Ein Foto von einer heruntergekommenen Hütte mit Strohdach in Mittelamerika: Hier ist Dr. Elena Deras Avelar (43) mit ihren Eltern und neun Geschwistern aufgewachsen. «Fliessendes Wasser oder Strom gab es nicht», erzählt sie in einer Mischung aus Englisch und Deutsch. Das Leben, das sie jetzt führt, hätte sie sich nicht einmal zu erträumen gewagt: «Ich sage immer, ich lebe jetzt wie Heidi. Ich liebe die Berge, es ist so schön hier!»

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Die Mutter eines Sohnes (7) wird per September die Hausarztpraxis in Grächen VS übernehmen, die ersten sechs Monate noch begleitet von ihrem Vorgänger – die Erleichterung im Bergdorf darüber ist gross. Fünf lange Jahre hatte die Gemeinde zuvor versucht, eine Nachfolge für den langjährigen Doktor zu finden. Gemeindepräsident Martin Schürch (50) erklärt, warum es so schwierig war: «Ein junger Arzt ist heute nicht mehr bereit, einen Rundumservice zu bieten. Während sich in Städten und grösseren Gemeinden mehrere Ärzte den Pikettdienst teilen können, ist dies in Berggemeinden kaum möglich.»

Glückliche Zufälle

Nichtsahnend von diesen Problemen besuchte Elena Deras Avelar im Juni 2020 Freunde in der Schweiz. Das Ticket hatte die Ärztin von einer spanischen Fluggesellschaft geschenkt bekommen, wie auch viele andere aus Gesundheitsberufen – dies sei ein Dankeschön gewesen für den grossen Einsatz während der ersten Corona-Welle. Sie hoffte, mit dem Aufenthalt in der idyllischen Bergwelt ihren Mann zu einem Umzug in die Schweiz überreden zu können – sie selbst hatte sich schon bei ihrer ersten Reise in die Schweiz im Jahr 2007 in unser Land verliebt. Ihr Mann sei zwar nicht begeistert gewesen, doch weil er wegen der Pandemie keinen Job hatte, zog die Fachkraft mitsamt der Familie im Juli 2021 in die Schweiz.

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Die Gemeinde hatte zu diesem Zeitpunkt ihre Mittel schon fast ausgeschöpft, als letzte Massnahme hatte man den örtlichen Arzt, den Apotheker, den Rettungsdienst sowie den Physiotherapeuten an einen runden Tisch geholt. Und wie es der Zufall wollte, traf sich die Ärztin aus Mittelamerika mit einer befreundeten Lateinamerikanerin aus Grächen eines Tages zum Abendessen. Die Freundin brachte ihren Mann mit – den Physiotherapeuten. Elena Deras Avelar hörte von der Arztsuche und nahm sofort mit der Gemeinde Kontakt auf.

Künftige Bergdoktorin steht früh auf, um Deutsch zu lernen

Die grosse Herausforderung: Sie sprach damals kein Wort Deutsch. Darum hecken die Verantwortlichen einen Plan aus. «Dank persönlicher Beziehungen des Apothekers ins Spital Brig und der grossen Hilfsbereitschaft des Spitals, konnte ihr ein Praktikumsplatz für sechs Monate vermittelt werden», so Schürch. Dort arbeitet die künftige Bergdoktorin derzeit in einem 80-Prozent-Pensum, nebenbei besucht sie dreimal wöchentlich einen von der Gemeinde finanzierten Intensivdeutschkurs.

«Ich stehe jeden Morgen um vier Uhr auf, um Deutsch zu lernen», sagt sie. «In der Schule verstehe ich schon viel, aber die Walliser sprechen ganz anders.» Doch sie ist überzeugt, dass sie es bis im Herbst schaffen kann.

Studium unter härtesten Bedingungen

Aufgewachsen ist die Ärztin in ärmlichen Verhältnissen in El Salvador. Sie begann eine Ausbildung zur Krankenschwester, dank ihrer guten Noten bekam sie ein Stipendium in Kuba. «Mein Vater musste unsere Kuh verkaufen, damit ich dort hinreisen konnte», erzählt sie. Während des Studiums habe sie in einem Wohnheim gelebt: «Auf einem Stock waren 80 Studenten untergebracht.» Die Toiletten seien grässlich gewesen, das Essen eintönig und schlecht. «Es gab jeden Tag Bohnen, Hühnchen und Reis.»

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Elena Deras Avelar ist dankbar für die Chance und zieht das Studium durch. Nach dem Abschluss reist sie mit finanzieller Unterstützung von Bekannten nach Spanien, bildet sich weiter und lernt dort ihren Mann kennen. Sie bleibt in Madrid und arbeitet als sogenannte Familienärztin. «Mir war es dort aber immer zu heiss», meint sie lachend.

Für Grächen ist Elena Deras Avelar ein Glücksgriff. Bei der Wohnungssuche waren laut dem Gemeindepräsidenten die Behörden behilflich und der Kanton Wallis bezahlt während des halben Jahres, in welcher der langjährige Arzt seine Nachfolgerin noch einführen werde, den Lohn.

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