Es ist der 19. Januar 2024. In Fiesch VS ist gerade Schulskiwoche, als die Polizei bei der Seilbahnstation auffährt. Ein Polizist stellt sich vor dem völlig verdutzten Michel* (12) auf und nimmt ihn dann im Streifenwagen mit auf den Polizeiposten. Die Szene, die später als «Die Verhaftung von Michel» im Dorf für Gesprächstoff sorgen wird, spielt sich vor den Augen mehrerer Mitschüler ab. Grund dafür, dass Michel mit auf den Polizeiposten muss: Der Junge hat in einer privaten Whatsapp-Gruppe, in der er und ein paar Kollegen Mitglied sind, Pornobilder gepostet.
Dabei handelt es sich um Bilder und animierte GIFs – insgesamt vier Dateien. Zu sehen sind darauf erwachsene Personen, die miteinander Sex haben. Und eine Gewaltdarstellung in Form einer Selbstverstümmelung im Genitalbereich – wahrscheinlich ein Fake.
«Keinerlei Fingerspitzengefühl bewiesen»
Auf dem Posten muss sich Michel den knallharten Fragen des Polizisten stellen. Alleine, denn auf einen Rechtsbeistand verzichtet der Junge! Er gibt alles direkt zu. Das zeigen die Verhörprotokolle, die Blick vorliegen. Rund eine halbe Stunde später kommt sein Vater auf den Posten, händigt das zuvor eingezogene Handy des Sohnes der Polizei aus.
Über einen Monat später beschäftigen die Vorgänge von jenem 19. Januar die Eltern Margrit (38) und Yves Strauss (42) immer noch stark. Und sorgen für Wut. «Die Polizei hat bei unserem Sohn keinerlei Fingerspitzengefühl bewiesen. An unserem Sohn wurde auf brutale Art ein Exempel statuiert», ärgert sich Vater Yves Strauss. Er stört sich daran, dass sein Sohn in aller Öffentlichkeit mitgenommen wurde. Mutter Margrit ergänzt: «Gerade bei Kindern sollte man doch darauf schauen, dass am Schluss nicht jeder im Dorf Bescheid weiss.»
Die Eltern sind überzeugt, dass die Polizei ihren Sohn auf den Posten hätte bringen können, ohne dass es das ganze Dorf mitbekommt. Auch wenn das Abholen an der Seilbahn legal war. Das wurde von einem Anwalt überprüft. «Unser Junge wird nun aber geächtet», so Yves Strauss. Die Walliser Kantonspolizei schreibt dazu auf Anfrage: «Der angesprochene Einsatz wurde, nach Ermessen des Polizisten, in Uniform durchgeführt.»
Vom Schuldirektor gemeldet
Dabei sah es zunächst danach aus, als ob die Sache ohne die Polizei geregelt werden kann. Alles begann damit, dass die Eltern eines der anderen Gruppenmitglieder die Bilder auf dem Handy ihres Sohnes entdeckten. Und damit gar nicht einverstanden waren. Sie kontaktierten die Eltern von Michel, verlangten, dass diese sich darum kümmern.
Das taten Yves und Margrit Strauss auch. «Wir haben sofort reagiert, unserem Sohn erklärt, dass so etwas nicht geht und ihn auch bestraft.» Die Strafe bestand darin, dass der Junge sein Handy abgeben musste. «Wir dachten, damit ist die Sache erledigt, doch das war ein Irrtum», sagt Mutter Margrit.
Warum sich dann aber später plötzlich die Polizei um die Pornobilder kümmerte, ist nicht ganz klar. Michels Eltern vermuten die Mutter dahinter, die sich anfangs direkt bei ihnen beschwert hatte. Die Frau soll die Bilder dem Schuldirektor der Region, Martin Fux, gezeigt haben.
Denn der Schuldirektor war es, der die Polizei informiert hat. Dazu sei er verpflichtet, ab dem Moment, wo er von Eltern auf einen solchen Tatbestand aufmerksam gemacht werde, so Fux zu Blick. Grund: Das Teilen der Bilder ist ein Offizialdelikt.
Die Mutter, die den Schuldirektor mutmasslich auf die Bilder und Videos im Chat der Kinder aufmerksam gemacht hat, liess eine Anfrage von Blick unbeantwortet.
Weite Kreise?
Unterdessen stellt sich die Frage, wie viele Jugendliche der Region neben Michel von der Porno-Affäre betroffen sind. Michel hatte während seiner Befragung erklärt, dass er die Bilder und Videos nicht in die Gruppe geladen, sondern nur erneut gepostet hat.
Ein anderer Junge habe diese zuvor aus einem Klassenchat der 9H an der Schule Fiesch heruntergeladen und dann in die Freizeitgruppe gestellt. Für Michels Eltern ist daher klar: «Wir hoffen schwer, dass man nun alle Betroffenen gleichbehandelt.» Was den Chat der 9H aus Fiesch betrifft, so sagen die Behörden und Schulleitung nicht viel. Schuldirektor Fux erklärt: «Bei den betreffenden Chats handelt es sich um private Chats und die Schule hat keine Einsicht in die privaten Chats. Aus diesem Grund liegen der Schule auch keine Zahlen zu Involvierten vor.» Das Jugendgericht teilt mit, es könne sich in der Angelegenheit nicht äussern.
Es sei klar, dass ihr Sohn sich falsch verhalten habe, sagen derweil Michels Eltern. Den Strafbefehl wegen Pornografie und Gewaltdarstellungen müssten sie akzeptieren. Das Posten der Bilder war verboten. Dennoch sind die beiden überzeugt, dass man die Sache bilateral besser hätte lösen können. «So ist es zu einer riesigen Sache geworden, die alle massiv belastet», sagt Yves Strauss. Denn neben seinen Sohn läuft auch mindestens gegen zwei weitere Kinder aus der Freizeit-Whatsapp-Gruppe ein Verfahren.
Michels Strafe, die er vom Jugendgericht fürs Teilen von vier Dateien mit pornografischem Inhalt aufgebrummt bekommen hat: drei Stunden Beratung bei der kantonalen Stelle für Themen rund um sexuelle Gesundheit.
* Name geändert