Blick: Frau Skirgaila, gemäss einer Studie machen sich Eltern über nichts grössere Sorgen, als dass ihr Kind zu viel Zeit im Internet oder am Handy verbringt. Die WHO empfiehlt für Neun- bis Zehnjährige maximal 100 Minuten pro Tag am Bildschirm. Wie viel Zeit in welchem Alter ist okay?
Patricia Skirgaila: Das ist in der Tat ein grosses Thema. Ein Patentrezept gibt es nicht. Nicht alle Kinder reagieren gleich auf Medien. Nebst dem Alter spielt auch eine Rolle, was das Kind am Handy macht: Gamen ist nicht dasselbe, wie wenn das Kind für die Schule ein Video schneidet.
Kinder erhalten ihr erstes Smartphone durchschnittlich kurz vor dem 10. Geburtstag. Wie merke ich, ob mein Kind überhaupt bereit ist für ein eigenes Handy?
Es gibt keine allgemeingültige Richtlinie. Jedes Kind entwickelt sich individuell. Ein Kind ist dann bereit, wenn es ein Bewusstsein dafür hat, dass Offline-Aktivitäten genauso wichtig sind, dass Freundschaften und Hobbys nicht darunter leiden. Und wenn es Risiken abschätzen kann, beispielsweise, dass Sachen aus dem Internet nicht mehr gelöscht werden können.
Ich finde, mein Kind ist bereit, es bekommt ein Handy. Was ist dann wichtig?
Ein eigenes Handy heisst nicht, das Kind damit alleine zu lassen. Eltern sind verantwortlich und müssen das Kind begleiten. Sie sollten sich für die Mediennutzung interessieren und nachfragen: Was machst du auf dem Handy? Welchen Influencern folgst du? Was gefällt dir an diesem Game oder dieser App? Es braucht einen Ausgleich: Zeit für Schlaf, Schule, Bewegung, Freunde. Dafür braucht es Regeln.
Zum Beispiel?
Eltern können dem Alter entsprechende Zeitlimits festlegen oder Orte definieren, die medienfrei bleiben. In dem man zum Beispiel festlegt, im Schlafzimmer haben wir keine Handys. Gerade für jüngere Kinder kann es zudem einfacher sein, spezifische Nachmittage zu definieren, an denen sie das Handy nutzen, statt ihnen beispielsweise ein Limit von 20 Minuten zu geben. Das Ganze kann man auch schriftlich in einem Medienvertrag festhalten.
Was sollte man vermeiden?
Regeln sollten klar sein und möglichst konsequent umgesetzt werden. Bei einem Verstoss aber sofort ein Handyverbot auszusprechen, ist auch nicht zielführend. Kinder müssen das lernen können, es braucht Zeit und eine gewisse Gelassenheit. Auch sollte man die positiven Aspekte digitaler Medien nicht vergessen: Sie können Kreativität fördern und ermöglichen den Austausch mit Gleichaltrigen.
- «Pornografie: Alles, was Recht ist»: Der Flyer informiert über die wichtigsten Gesetzesartikel zum Thema Pornografie im Internet
- Sexuelle Gesundheit Schweiz: Überblick der Beratungsstellen in allen Kantonen
- Jugend und Medien: Informationsportal des Bundes zur Förderung von Medienkompetenzen
- Fachstelle www.zischtig.ch: Medienbildung für Jugendliche
- Pro Juventute: Checkliste fürs erste Handy.
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Und wenn es in diesen Situationen immer wieder zu Streit kommt?
Dann kann es helfen, sich neben das Kind hinzusetzen und es langsam herauszubegleiten: zurückholen in die reale Welt, darüber reden, was es erlebt. Wir Erwachsene haben ja schon Mühe damit, uns dem Handy zu entziehen, Kindern fällt das noch schwerer. Diskussionen über die Mediennutzung beschäftigen viele Familien. Es ist wichtig, dass Eltern einen bewussten Umgang mit Medien vorleben.
Wie schütze ich mein Kind vor Pornografie im Internet? Wie lehre ich es, das einzuordnen?
Es hilft, wenn man mit seinem Kind schon früh altersgemäss über Sexualität, Gefühle oder Pornografie spricht – möglichst noch vor der Pubertät. Und ein Bewusstsein dafür schafft, dass es bereits strafbar ist, wenn sich unter 16-Jährige gegenseitig intime Bilder oder pornografisches Material zuschicken.
Wie steige ich in ein solches Gespräch ein?
Indem sie sich einen ruhigen, entspannten Rahmen suchen. Spazieren gehen, statt sich frontal am Küchentisch gegenüberzusitzen. Man kann zum Beispiel zusammen eine App öffnen und die Privatsphäre-Einstellungen durchgehen. Und dabei mit dem Kind besprechen, welche Bilder man teilen kann – und welche besser privat bleiben. Kinder müssen diese Grenzen zuerst noch lernen. Auch, was mit den Bildern passieren kann. Bei Snapchat wiegen sich viele in der vermeintlichen Sicherheit, dass eine Datei nach 24 Stunden gelöscht wird. Dass man aber Screenshots machen kann, ist vielen nicht bewusst. In der Schule sage ich den Kindern jeweils, sie sollen sich vorstellen, das Bild würde im Dorf oder am Bahnhof hängen.
Soll ich die Whatsapp-Chats meines Kindes anschauen?
Vertrauen ist wichtiger als Kontrolle. Eine Vertrauensbasis schafft man nicht mit einem einzelnen Gespräch, sondern laufend. Man soll zuhören, nachfragen, sich interessieren. Wenn das Kind merkt, dass man es kontrolliert, kann es sein, dass es sich verschliesst.
Was, wenn mein Kind mir sagt, im Klassenchat werden Pornos oder Gewaltvideos herumgeschickt?
Das Kind fragen, ob die Bilder auf dem Handy lokal abgespeichert wurden, denn über Whatsapp haben viele den automatischen Download von Medien aktiviert. Bei illegaler Pornografie ist selbst der Besitz strafbar. Sichergehen, dass die Bilder gelöscht werden. Und dann am besten die Lehrperson oder die Schulsozialarbeit informieren, um eine negative Gruppendynamik zu stoppen.
Wie reagiere ich, wenn ich im Suchverlauf sehe, dass mein 13-Jähriger auf einer Pornoseite war?
Wichtig ist, das Kind nicht zu verurteilen. Sonst ist das Risiko einer Verheimlichung später grösser. Es gehört zur Entwicklung von Heranwachsenden, sich mit Sexualität auseinanderzusetzen. Besser ist es, offenzubleiben und das Gespräch zu suchen: Wie geht es dem Kind dabei? Hält es solche Darstellungen für realistisch?
Nehmen wir an, die Prävention hat nichts bewirkt. Von meinem Kind sind intime Bilder oder Nachrichten öffentlich geworden. Und jetzt?
Wichtig ist es, schnell zu reagieren, um die Weiterverbreitung zu stoppen, also Personen, welche die Datei erhalten haben, aufzufordern, diese sofort zu löschen. Ansonsten Beweise sammeln, damit man im schlimmsten Fall bei der Polizei Anzeige erstatten kann. Und natürlich dem Kind Hilfe bieten, den Rücken stärken und sich Hilfe holen – zum Beispiel bei Lehrpersonen oder der Schulsozialarbeit. Eltern können sich auch jederzeit an die Elternberatung von Pro Juventute wenden.
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