Wo ist der Gemeindeschreiber von Zermatt VS? Diese Frage stellt man sich derzeit am Fusse des Matterhorns – unzählige Schlagzeilen begleiten das angebliche Verschwinden von Daniel Anrig (50) – auch Blick berichtete vergangenen Freitag. Die Umstände scheinen mysteriös und die Gerüchteküche im mondänen Wintersportort brodelt heftig. Im Dorf spekuliert man unter anderem über einen möglichen Zusammenhang mit dem ausserkantonalen Strafverfahren, das aktuell noch gegen Anrig läuft.
Blick sprach mit dem Anwalt des ehemaligen Kommandanten der Schweizergarde im Vatikan und versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Max Imfeld (56) hat kein Verständnis für die aktuelle Medienpräsenz seines Mandanten, das betont er im Laufe des Telefonats mehrfach. Sämtliche Dorf-Gerüchte dementiert er: «Die Beweggründe von Herrn Anrig stehen in keiner Verbindung zu Zermatt.»
Ob etwas vorgefallen ist und wie es seinem Klienten geht, darauf will der Jurist nicht weiter eingehen: «Ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Aber mein Mandant ist seit Jahren keine Person öffentlichen Interesses mehr. Er nimmt sich eine Auszeit, aber das geht nur seine Familie und seine Freunde etwas an.» Und natürlich den Arbeitgeber, schiebt er hinterher – aber dieser sei informiert gewesen.
«Herr Anrig ist nicht spurlos verschwunden»
Genau das ist jedoch der springende Punkt: Der Arbeitgeber, also die Gemeindeverwaltung von Zermatt, schien zunächst nichts über den Verbleib des Ex-Polizeioffiziers zu wissen – sie schickte gar eine Polizeipatrouille bei Anrig daheim vorbei, als dieser nicht mehr bei der Arbeit aufgetaucht war. Diese habe die Wohnung leer vorgefunden. Währenddessen war das Stelleninserat für seine Nachfolge bereits auf der Website der Gemeinde publiziert worden, was im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz viel Raum für wilde Spekulationen liess.
Max Imfeld stellt nun aber ein für alle Mal klar: «Herr Anrig ist nicht spurlos verschwunden.» Er betitelt diese Aussage als Fake News und führt aus: «Das stimmt so überhaupt nicht. Ende Oktober hat mein Mandant das Arbeitsverhältnis mit der Gemeinde auf Ende Jahr im gegenseitigen Einvernehmen beendet, eine Anwältin hat die Details im Namen der Gemeinde mit uns ausgehandelt.» Und am 10. November sei die Gemeindepräsidentin über die Auszeit von Herrn Anrig informiert worden. Zuvor war eigentlich vereinbart, dass er noch bis Ende Jahr als Gemeindeschreiber amtet.
Nicht abgetaucht, sondern einfach nicht erreichbar
Daher sei die Behörde zu jeder Zeit informiert gewesen, so der Rechtsanwalt weiter. Doch weshalb hat die Gemeinde dann dennoch die Polizei beim Gemeindeschreiber vorbeigeschickt, als dieser länger nicht zu erreichen war?
«Das kann ich mir nicht erklären», so Max Imfeld. «Das hat wohl einfach mit der Persönlichkeit der Gemeindepräsidentin zu tun, da diese offenbar nicht akzeptieren kann, dass jemand für sie nicht erreichbar ist.»
Eine Karriere begleitet von Skandalen
Daniel Anrig aus Sargans SG hatte einst ein Studium in zivilem Recht und dem Recht der römisch-katholischen Kirche an der Uni Freiburg absolviert, danach bekleidete er diverse hochrangige Posten. Der Ex-Kommandant der Schweizergarde war während seiner Karriere wiederholt in Skandale verwickelt, im Archiv finden sich unzählige Medienberichte zu seiner Person.
Vor seinem Amtsantritt war der Verwaltungsleiter unter anderem Chef der Kriminalpolizei und Kommandant der Kantonspolizei Glarus. Nach seiner Ernennung im Jahre 2002 soll er in den wohl grössten Polizeiskandal im kleinen Kanton verwickelt gewesen sein: Bei einer Hausdurchsuchung im Asylheim Rain in Ennenda waren Asylbewerber ausgezogen und gefesselt worden. Ihnen wurde ein Stoffsack über den Kopf gezogen, anschliessend wurden sie fotografiert und stundenlang festgehalten. Das darauf folgende Strafverfahren endete jedoch mit dem Freispruch Anrigs.
«Arrogant» und «überheblich»
Zudem arbeitete er als Offizier der Flughafenpolizei und diente als Kommandant der Schweizergarde im Vatikan. Er wurde 2008 von Papst Benedikt XVI. ernannt und 2014 von Papst Franziskus entlassen.
Er sorgte als «Protz-Gardist» für Furore, der mit «harter Hand regiert und im Luxus» gelebt haben soll. So habe er seine Wohnung vergrössert und auch sein Büro renovieren lassen wollen – unter anderem mit Spenden von «Katholisch Stadt Zürich». Eine Spende von 100'000 Franken wurde ihm dafür eigentlich zugesprochen. Laut «Katholisch Stadt Zürich» sei jedoch kein Rappen geflossen aufgrund der folgenden Entscheidungen durch den Vatikan.
Anrig habe von seinen 120 untergebenen Gardisten eiserne Disziplin verlangt und sei äusserst unbeliebt gewesen. «Er hat extrem hart sanktioniert», erzählte einst ein Ehemaliger im Blick. Der heute 50-Jährige habe «die Bodenhaftung verloren», sei «arrogant» und «überheblich». Sein Führungsstil soll Daniel Anrig dann auch um den Posten als oberster Schweizergardist gebracht haben, spekulierten damals italienische Medien. Papst Franziskus dementierte damals in der Presse jedoch, den St. Galler wegen seines übermässig autoritären Führungsstils entlassen zu haben.
Beziehungsdrama: Anrig erstinstanzlich verurteilt
Aktuell läuft ein Verfahren gegen den abgetauchten Gemeindeschreiber von Zermatt wegen Nötigung und Hausfriedensbruch im Rahmen eines Rosenkriegs. Erstinstanzlich wurde er bereits zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt – jedoch hat er das Urteil an die nächste Instanz weitergezogen.