Darum gehts
Sarah* (23) aus Morges VD kann es immer noch nicht fassen. Der jungen Frau steht im Februar dieses Jahres eine lebenswichtige Operation bevor. Sarah hat eine angeborene Fehlbildung an den Nieren, die sich verschlimmert: «Innerhalb von drei Monaten musste ich operiert werden», sagt sie. Ihr Arzt überweist sie an die Hirslanden Privatklinik Cecil. Zum Glück ist die junge Frau halbprivat versichert, profitiert also von einer bevorzugten Behandlung. Nur: Ihre Krankenkasse Visana befürchtet hohe Kosten. Und macht Sarah deswegen einen Monat vor dem Operationstermin ein Lockvogel-Angebot.
In einem Brief weist die Visana darauf hin, dass eventuelle Folgekosten bei unvorhergesehenen Weiterbehandlungen sehr hoch ausfallen könnten, sollte sie sich in der Privatklinik operieren lassen. Als Halbprivat-Versicherte habe sie aber freie Arztwahl. Sarah ruft bei der Versicherung an. Und die Sachbearbeiterin macht ihr ein Angebot: «Man würde mir 2000 Franken überweisen, als Geschenk, dass ich mich ‹allgemein› im Unispital Lausanne (CHUV) behandeln lasse», sagt Sarah.
Günstiger für die Versicherungen
Im Unterschied zur Allgemeinversicherten haben Halbprivat-Versicherte, je nach Vertragsinhalt, eine garantierte freie Arzt- und Spitalwahl. Rechtlich gesehen dürfen Versicherer bei Zusatzversicherungen ihren Kunden jede Art von «Geschenk» als Ersatz für die Leistungen anbieten, für die sie verantwortlich wären, wie mehrere Experten bestätigen.
«Das ist nicht illegal. Es handelt sich um eine privatrechtliche Angelegenheit», erklärt Baptiste Hurni, Anwalt und Ständerat aus Neuenburg. Aber: «Politisch ist das ein Skandal. Das Prinzip der Privatversicherung besteht darin, jahrelang zu zahlen, um sie einmal zu nutzen.» Für die Versicherungen lohnen sich diese Deals. Als Prämienzahler gerate man bei solchen Angeboten in Versuchung, und die Versicherung spart Geld, weil keine hoch spezialisierten Ärzte verpflichtet werden müssen.
Ins selbe Horn bläst Felix Schneuwly, Versicherungsexperte beim Vergleichsportal comparis.ch: «Rechtlich möglich sind solche Zahlungen bei der Zusatzversicherung, weil Kulanz erlaubt ist – im Gegensatz zur Grundversicherung, wo für alle das Gleiche gilt. Ob man das als fair empfindet, ist eine andere Frage.»
Finma-Regularien als Paradigmenwechsel
Hintergrund ist ein Paradigmenwechsel bei den Zusatzversicherungen: Vor einigen Jahren stellte die eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) fest, dass die erbrachten Leistungen bei Zusatzversicherten teilweise zu hoch oder zumindest intransparent abgerechnet wurden. Als Folge mussten seit 2020 neue Tarifverträge mit Privatkliniken und Belegärzten verhandelt werden, um die Tarife neu festzusetzen und die Transparenz bei den einzelnen Leistungen zu garantieren. «Der Druck führte dazu, dass Versicherer ihre Versprechen von ‹freier Arztwahl› zurücknahmen», sagt Schneuwly, «Heute führen einige Versicherer Spitallisten für Zusatzversicherte. Das bedeutet: Man kann – ohne Zusatzkosten – nur noch in jene Spitäler und zu jenen Belegärzten, mit denen der Versicherer einen Vertrag hat. Die freie Spitalwahl ist in diesen Fällen de facto eingeschränkt.»
Was eigentlich gut gemeint war, stellt sich für die Versicherten mittlerweile als Pyrrhussieg heraus, sagt Schneuwly: «Die Intervention der Finma hatte das Ziel, die Transparenz zu erhöhen und Missbrauch zu verhindern. Aber für viele Versicherte bedeutet das am Ende: höhere Prämien, weniger Wahlfreiheit.» Viele Versicherte zahlen also die Leistungen von anno dazumal, ohne die gleiche Wahlfreiheit wie zuvor.
Blick konfrontiert die Visana mit den Vorwürfen. Diese geht nicht konkret darauf ein, lässt aber wissen: «Es kann vorkommen, dass Kundinnen und Kunden, die sich freiwillig für die allgemeine Abteilung entscheiden, eine freiwillige einmalige Zahlung als Entschädigung für die entstandenen Unannehmlichkeiten erhalten.»
Finanzieller Stress trotz Krankheit
Sarah entschied sich dennoch, ihre Operation in der Klinik Cecil durchführen zu lassen. Nach ihrem Eingriff entwickelt sie aber eine Sepsis und muss notfallmässig eingeliefert werden, was Folgekosten verursacht. «Wenige Tage nach diesem Vorfall teilte mir Visana mit, dass sie den Notfalleinsatz nicht zahlen werde», sagt sie. Der Fall ist bis heute nicht gelöst.
* Name bekannt