Zuerst kommen die Mahnungen, dann folgen Betreibungen, manchmal eine Lohnpfändung: Wer seine Krankenkassenprämien nicht bezahlt, muss mit Konsequenzen rechnen.
Einige Kantone gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie führen eine schwarze Liste mit Menschen, die es versäumt haben, ihre Beiträge zu entrichten.
Wer darauf landet, wird nur noch im Notfall behandelt. Damit soll der Druck erhöht werden, die Prämien rechtzeitig zu zahlen. Rund zehn Jahre nach Einführung dieser Massnahme berät das Parlament nun aber, ob sie wieder abgeschafft werden soll. Den Start macht morgen Montag der Ständerat.
Noch fünf Kantone führen solche Listen: Aargau, Luzern, Tessin, Thurgau und Zug. Sowohl der Bundesrat als auch die Branchenorganisation der Schweizer Krankenversicherer Santésuisse raten zur Abschaffung.
Der administrative Aufwand stehe in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen, so Santésuisse. Und für viele Menschen sei es aufgrund der steigenden Kosten schlicht nicht mehr möglich, die Prämien rechtzeitig zu begleichen: «Wir möchten nicht, dass sie deswegen auf angemessene medizinische Versorgung verzichten müssen.»
Behandlung im Spital vergweigert
Um die 35'000 Personen wurden Anfang 2019 auf solchen schwarzen Listen geführt. Eine davon ist Karina Inez Pereira Fernandes (33), Reinigungsfachkraft und alleinerziehende Mutter. Ihr war das Verzeichnis nicht bekannt. «Ich erfuhr davon, als ich krank wurde und man mir im Spital eine Behandlung verweigerte.»
Im Extremfall führen die Listen zu bedrohlichen Situationen, wie Peter Marbet sagt, Direktor der Hilfsorganisation Caritas, die für die Abschaffung der Listen kämpft. So erhielt etwa ein Diabetiker kein Insulin, da man dies nicht als Notfallbehandlung erachtete. Er erlitt daraufhin einen Kollaps und wurde praktisch arbeitsunfähig.
Schwarze Listen seien aber nicht nur gefährlich, sondern auch nutzlos, sagt Marbet. Kantone, die darauf setzen, wiesen generell keine tieferen Prämienausstände auf als jene, die es nicht tun. Die Zahlungsmoral werde durch diese Sanktion nicht verbessert.
«Jene Personen, die die Prämien nicht begleichen, weil sie sparen wollen, zahlen spätestens, wenn die Betreibung kommt. Auf der Liste landen vor allem Menschen mit sehr tiefem Einkommen, die wirklich nicht in der Lage sind, die Prämien zu begleichen.»
Menschen wie Karina Inez Pereira Fernandes. Ihr Einkommen reicht knapp aus, um Miete und Essen zu bezahlen. Die Krankenkassenprämien? Das schafft sie nicht. Eigentlich, sagt Pereira Fernandes, habe sie Anspruch auf eine Prämienverbilligung. Die aber sei ihr verweigert worden.
SVP, Mitte und FDP bleiben hart
Trotz des Risikos schwerwiegender Folgen für Betroffene: SVP, Die Mitte und FDP sowie einige Kantone wollen an den Listen festhalten. «Sie haben vor allem eine präventive Wirkung. Für Personen mit offenen Krankenkassenrechnungen besteht so ein Anreiz, rechtzeitig eine Lösung für die Ausstände zu suchen oder solche gar nicht erst entstehen zu lassen», heisst es etwa aus dem Kanton Zug. «Tatsächlich weist Zug im Verhältnis zur Prämiensumme das kleinste Verlustscheinvolumen in der Schweiz auf.»
Auch der Aargau will nicht auf die Listen verzichten. Es sei aber wichtig, sie mit griffigen Begleitmassnahmen zu ergänzen: Gemeinden könnten in Härtefällen den Eintrag sistieren lassen. «Es wird sichergestellt, dass keine Personen auf der Liste stehen, bei denen eine nichtbezahlte Behandlung zu nicht wiedergutzumachenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder gar zum Tod führt.» Als Härtefall gilt mittlerweile auch Pereira Fernandes. Letzten Herbst wurde bei ihr Darmkrebs diagnostiziert. Daraufhin wurde ihr Eintrag auf der schwarzen Liste sistiert.
Wie lange, ist unklar. «Ich habe ständig Angst, dass mir die nächste Behandlung wieder verwehrt wird.» Auch wie es finanziell weitergehen soll, weiss sie nicht – und sieht aktuell nur eine Lösung: arbeiten, am besten in einem Vollzeitpensum. Pereira Fernandes hat ihren Arzt gebeten, sie von der Krankschreibung zu befreien – auch wenn sie damit ihren Gesundheitsfortschritt gefährdet. «Nur so wäre ich in der Lage, unsere Lebenskosten zu decken und die Krankenkassenprämien zu bezahlen», sagt sie.
Vor der Corona-Impfung wird in der Regel die Versichertennummer der Krankenkasse verlangt. Viele Sans-Papiers sind aber gar nicht versichert. Und häufig haben sie weder die Computerausrüstung noch die notwendigen Sprachkenntnisse, um sich auf den Anmeldeplattformen zurechtzufinden.
Einige haben auch Angst, ihre Identität offenlegen zu müssen. Auf Anfrage beruhigt nun das Bundesamt für Gesundheit: Die Angabe einer Schweizer Versichertennummer bei der Impfung sei nicht erforderlich – und die Rechnungsstellung erfolge ohne Angabe von personenbezogenen Daten.
Die Impfung sei auch für Personen ohne Krankenversicherung kostenlos, sofern sie ihren Wohnsitz in der Schweiz haben – die Kosten übernimmt der Bund. Zudem habe man das Schweizerische Rote Kreuz beauftragt, Empfehlungen für niederschwellige Impfzentren zu entwickeln.
Vor der Corona-Impfung wird in der Regel die Versichertennummer der Krankenkasse verlangt. Viele Sans-Papiers sind aber gar nicht versichert. Und häufig haben sie weder die Computerausrüstung noch die notwendigen Sprachkenntnisse, um sich auf den Anmeldeplattformen zurechtzufinden.
Einige haben auch Angst, ihre Identität offenlegen zu müssen. Auf Anfrage beruhigt nun das Bundesamt für Gesundheit: Die Angabe einer Schweizer Versichertennummer bei der Impfung sei nicht erforderlich – und die Rechnungsstellung erfolge ohne Angabe von personenbezogenen Daten.
Die Impfung sei auch für Personen ohne Krankenversicherung kostenlos, sofern sie ihren Wohnsitz in der Schweiz haben – die Kosten übernimmt der Bund. Zudem habe man das Schweizerische Rote Kreuz beauftragt, Empfehlungen für niederschwellige Impfzentren zu entwickeln.
Das Parlament könnte ein Machtwort sprechen
Wie die Reinigungsfachkraft stehen häufig Menschen auf den Listen, die aufgrund ihrer Lebensumstände berechtigt wären, Sozialhilfe zu beziehen, dies aber nicht tun.
Etwa jene, die sich vor der damit einhergehenden Stigmatisierung fürchten. Oder Menschen mit Migrationshintergrund: «Sie beziehen teils keine Sozialhilfe, weil der ausländerrechtliche Aufenthaltsstatus damit verknüpft ist und sie riskieren könnten, ihren Status zu verlieren oder gar das Land verlassen zu müssen», sagt Caritas-Direktor Marbet. Hinzu kommt, dass viele die Sprache und die Regeln in der Schweiz nicht gut kennen und vom Schweizer Gesundheitssystem überfordert sind.
Darum ist Marbet überzeugt: Statt eines Listeneintrags bräuchten Betroffene viel eher «Hilfe, Orientierung und Unterstützung».
Das Parlament habe es nun in der Hand, den Zugang zu Gesundheitsleistungen wieder allen zu ermöglichen.