So braucht es keinen Lockdown mehr
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Wenn sich 30 Prozent testen
So braucht es keinen Lockdown mehr

Eine Milliarde für Massentests: Der Bund geht in die Offensive. Die Labore sind bereit; Wirte, Firmen und Eventmacher ebenfalls. Jetzt kommt es auf die Kantone an. Sie müssen handeln. Denn testen heisst öffnen.
Publiziert: 07.03.2021 um 00:51 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2021 um 09:10 Uhr
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Die Labore werden überrannt. «Aber das können wir bewältigen», sagt Labor-Chef Lorenz Risch.
Foto: Siggi Bucher
Danny Schlumpf und Tobias Marti

Endlich macht der Bundesrat Ernst! Eine Milliarde Franken will die Landesregierung für Massentests hinlegen. Demnächst sollen 5,8 Millionen Schüler und Arbeitnehmer mindestens einmal pro Woche einen Abstrich oder einen Speicheltest machen. Beim Bund rechnet man, dass die Hälfte immer mitmacht. Damit das Projekt gelingt, braucht es im Minimum 30 Prozent.

Geht nun der grosse Ruck durch die Schweiz? SonntagsBlick hat nachgefragt. Bis heute haben 19 Kantone dem Bund ein Testkonzept vorgelegt, darunter Zürich, Bern, Genf und Aargau. Die Waadt und Nidwalden folgen in den nächsten Tagen. Manche Kantone setzen auf sogenannte Antigen-Tests, bei denen Fachpersonen ein Wattestäbchen in den Nasen-Rachen-Bereich stecken, andere auf schmerzfreie Speicheltests, die im Labor ausgewertet werden. Bern baut dafür ­eigens ein neues Labor.

Bund hat getrödelt

Im Baselbiet spucken die Schüler schon seit Wochen ins Röhrchen, Tests in Betrieben und Gesundheitseinrichtungen kommen nun hinzu. Das gleiche Vorgehen kündigen Basel-Stadt und Uri an. Luzern und Solothurn wollen das Testen in Betrieben hochfahren.

Doch auch beim Testen gibts Bremser. Die St. Galler Gesundheitsdirektion lässt ausrichten: «Auf breit an­gelegte Massentests wird verzichtet.»

Getrödelt hat auch der Bund. Monatelang zögerten BAG und Bundesrat die Massentests hinaus. Mit der Folge, dass einige Kantone selbst aktiv wurden.

Und so kam es, wie es im gut schweizerischen Föderalismus kommen musste.

PCR-Tests dennoch zuverlässiger

Recherchen von SonntagsBlick zeigen: In Freiburg, Obwalden und Nidwalden wurden bereits ­Pilotprojekte mit Antigen-Schnelltests aufgegleist. Die zeigen zwar sofort ein Resultat an. Doch anders als PCR-Tests, die im Labor ausgewertet werden, schlagen Antigen-Tests bei Infizierten ohne Symptome ­weniger zuverlässig an. ­Diskussionen mit dem BAG, das in Schulen und Betrieben auf die präziseren PCR-Tests setzt, sind programmiert.

Dennoch: «Die Offensive des Bundes hievt das Testen schweizweit auf ein neues Level», sagt Gieri ­Cathomas (44), Projektleiter bei der Hirslanden-Gruppe. Er zog bereits das Betriebskonzept für Graubünden auf. Nun bietet er allen Kantonen Unterstützung bei Massentests an – von der Beratung bis zum umfassenden Testkonzept.

«Wir greifen auf das Wissen von erfahrenen Kantonen wie Graubünden und Basel-Landschaft zurück», sagt Hirslanden-CEO Da­niel Liedtke (50). «Dieses Wissen bündeln wir und stellen es zur Verfügung.» Es sei eine unglaubliche Dynamik zu spüren, sagt Liedtke. Mit zehn Kantonen verhandelt Hirslanden derzeit. Mit Schwyz stehen die Gespräche kurz vor einem Abschluss.

Ansturm nur mit Pooling-Methoden zu bewältigen

Keine Frage, auf die Schweiz kommt das grosse Testen zu. Und das heisst: Hunderttausende Proben werden auf die Labore einprasseln. Brechen die da nicht zusammen?

«Wir können das bewältigen», sagt Lorenz Risch (51), Chief Medical Officer. Zusammen mit seinem Bruder leitet er die Laborgruppe Dr. Risch, die zu den vier grössten Laboren in der Schweiz gehört. «Doch solche Mengen sind nur dank Pooling-Methoden zu bewältigen», sagt Risch.

Beim Pooling werden Speichelproben von bis zu zehn Personen gemischt ins Labor geschickt. Ist eine gepoolte Probe positiv, wird sie in Einzeltests aufgelöst. «Das spart Material und Zeit, entlastet die Labors und senkt die Kosten markant», sagt Risch. Sein Labor untersucht sämtliche Proben aus den kantonalen Programmen von Graubünden.

Risch hat seine Belegschaft in den letzten Wochen um 15 Prozent erhöht. 600 Mitarbeitende sind es mittlerweile. Steigt die Nachfrage, baut er weiter aus: «Wir können die Auswertungen bei Bedarf verdreifachen.»

Auch Bündner Schulen fangen an zu testen

Auch die Firmen seien bereit, sagt Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt (60). «Wir begrüssen es sehr, dass das bisher zögerliche Verhalten abgelöst wird durch eine massive Testoffensive.» Firmen seien in der Lage, das Testen effizient zu organisieren, sagt Vogt. «Sie haben ein grosses Interesse, dass es gut funktioniert.»

Entscheidend ist der Faktor Geld: Weil der Bund sich bei Betriebstests bislang zierte, sagte Graubünden letzte Woche seinen Firmen zu, die Tests zu ­bezahlen – die Anmeldungen verdoppelten sich. Mittlerweile sind es 950 Firmen mit 44 000 Mitarbeitern. 86 wurden bis heute positiv getestet. Für die teilnehmenden Firmen hob Graubünden die Quarantänepflicht bereits auf. Jetzt zieht der Bund nach.

«Der positive Effekt von Massentests konnte aufgezeigt werden», sagt Martin Bühler (44), Chef des Bündner Corona-Krisenstabs. «Wir hatten im Februar 150 000 Touristen in Graubünden, aber die Fallzahlen stiegen nicht.» Inzwischen sinken sie wieder. Und: Graubünden ist der Kanton mit der tiefsten Übersterblichkeit in der Pandemie. Ab Montag starten auch die Bündner Schulen durch: 104 Schulhäuser mit 18 500 Schülern fangen mit dem Testen an.

Massentests sollen 3. Welle verhindern

Was bringt das alles? «Das Ziel sind schnellere Lockerungen», sagt Martin Bühler. «Und: Wir können mit Massentests viel eher eine dritte Welle verhindern.» Bühlers Mitarbeiterin Alexa Caduff (42) hat sich intensiv mit dem Zusammenhang von Testen und Öffnen befasst und Modellrechnungen ­angestellt. Resultat: «Wenn 30 Prozent der mobilen Bevölkerung sich wöchentlich testen lassen, sinkt der R-Wert nachhaltig unter 1», sagt die ETH-Biologin. «Dann können Massnahmen rascher gelockert werden.»

Schnellere und stabile Öffnungen erhofft sich auch Rudolf Hauri (61) von den Massentests. Der Präsident der Kantonsärzte und Kantonsärztinnen begleitet das Verfahren in Zuger Schulen, dort liessen sich in den letzten vier Wochen 7500 Schüler und Lehrkräfte testen. Vier asymptomatische Fälle wurden ermittelt. «Ausser den Betroffenen musste niemand in Quarantäne», sagt Hauri. «Weil eben regelmässig getestet wird. Wir holen die Fälle heraus, bevor es zu einer Ausbreitung kommt.»

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Beim Reisen gelten internationale Regeln

Dürfen Getestete nun ins Restaurant, ins Kino oder ans Fussballspiel? «Bis alle geimpft sind, ist das Testen matchentscheidend», sagt Adrian Erni (53) vom Verband Expo-Event. «Wir wollen so schnell wie möglich Schnelltests an den Eingängen zu Veranstaltungen anbieten können.»

Auch Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer (48) hofft auf einen Schub: «Die neue Teststrategie ist positiv. Zusammen mit der Impfstrategie gibt das eine Per­spektive für baldige Restaurantöffnungen.» Geht es vielleicht noch schneller, wenn die Gäste einen negativen Test mitbringen? «Das ist in der Praxis schwierig umzusetzen und auch schwer zu kontrollieren», sagt Platzer. «Die Wirte können nicht ­Polizist spielen.»

Komplizierter ist es beim Reisen – dort gelten internationale Regeln. «Tourismus und Flugbranche profitieren nicht direkt von der Testoffensive», sagt SVP-Nationalrat Thomas Hurter (56), Präsident des Luftfahrtverbands Aero­suisse. «Aber wir hoffen auf Schnelltests für das Fliegen sowie endlich interna­tional koordinierte Massnahmen, sobald diese Tests als zu­verlässig gelten.»

Doch zunächst gilt es ­einmal ernst mit den Massentests. Sie machen Lockerungen möglich – wenn es die Kantone nicht vermasseln.

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