Viren kopieren pausenlos ihr Erbgut. Dabei machen sie kleine Fehler – Mutationen, die sie im ungünstigsten Fall aggressiver werden lassen. Bei Coronaviren ist es genauso. Doch seit Jahresbeginn mutieren sie immer schneller. In Südamerika grassiert die brasilianische Variante, Indien wird von der Mutation B.1.617 verwüstet (siehe unten). Umso wichtiger ist es, neue Varianten früh zu erkennen und zu überwachen.
So war die indische Mutation seit über einem Monat in der Schweiz. Entdeckt wurde sie aber erst vor einer Woche. Warum dauert das so lange?
Es gibt zwei Möglichkeiten, Mutationen exakt zu identifizieren. Bis jetzt hat die Schweiz vor allem auf eine gesetzt – die langsamere: Universitäts- und Diagnostiklabore nehmen in aufwendigen Verfahren das komplette Erbgut der Coronaviren auseinander. Der Fachbegriff dafür heisst «Whole Genome Sequencing».
Seit dem Start des Programms Anfang März wurden auf diese Weise mehr als 6500 Viren entschlüsselt. «Das erlaubt uns, neue besorgniserregende Varianten zu erkennen», sagt Tanja Stadler (39), Biostatistikerin an der ETH Zürich. «Zur effizienten Kontaktnachverfolgung ist diese Sequenzierung aber zu langsam.»
Tatsächlich gibt es einen schnelleren Weg,einzelne Mutationen aufzuspüren:Mutationsspezifische PCR-Tests erkennen sie innert 24 Stunden. «Das ist schneller und billiger, als das gesamte Erbgut zu überprüfen», sagt Didier Trono (65), Virologe an der Universität Lausanne: «Solche Tests können einen grossen Effekt haben, sobald man weiss, nach welchen Mutationen man suchen muss.»
Länder wie England und Dänemark setzen mutationsspezifische PCR-Tests bereits regelmässig ein und fahren ihre Überwachungssysteme hoch. In der Schweiz wurde diese Methode schon einmal benutzt, um die britische Variante zu identifizieren. Doch seither finanziert das BAG für neue Mutationen keine Tests mehr. Weshalb die Schweiz nun im Rückstand ist – sehr zum Ärger der Forscher, die seit Monaten auf die Bedeutung von mutationsspezifischen Tests hinweisen.
Die Sequenzierung ganzer Genome läuft hingegen weiter. Das Gute daran: Sie kann helfen, die Impfstoffe im Kampf gegen die Mutationen zu verbessern. «Die neuen Varianten lassen sich im Labor studieren», sagt Trono. «So können wir feststellen, wie sie auf die Vakzine reagieren.» Die Erkenntnisse geben die Wissenschaftler an die Impfstoffhersteller weiter. Trono: «Das gibt ihnen die Möglichkeit, rasch zu reagieren und ihre Impfstoffe an die neuen Fakten anzupassen.»