Warum scheitern Bundesrat und Parlament so oft bei Referenden?
Das Volk sagt Nein, Nein, Nein!

Innerhalb von zwei Jahren haben die Stimmbürger sechs Referenden gutgeheissen. Woran es liegt, dass Bundesbern beim Stimmvolk nicht mehr durchkommt.
Publiziert: 20.02.2022 um 11:52 Uhr
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Aktualisiert: 20.02.2022 um 12:47 Uhr
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Bundesrat bi de Lüt: Justizministerin Karin Keller-Sutter und Verteidigungsministerin Viola Amherd pflegen den Austausch mit der Bevölkerung.
Foto: Keystone
Camilla Alabor

Die Niederlage war heftig. Und gerecht verteilt. Gleich drei Bundesräte liefen am Abstimmungssonntag mit ihren Vorlagen auf: Das Stimmvolk sagte Nein zum Mediengesetz von Simonetta Sommaruga (61), Nein zur Stempelsteuer von Ueli Maurer (71) und Ja zur Tabakverbots-Initiative, womit der indirekte Gegenvorschlag von Alain Berset (49) erledigt war.

Das Parlament steht nach dem 13. Februar nicht viel besser da. Vor allem die Mitte, die sich als Mehrheitsbeschafferin versteht, hatte das Volk falsch eingeschätzt. Beim Mediengesetz, der Stempelsteuer und der Tabakverbots-Initiative stand sie mit ihren Parolen auf der Verliererseite.

Der jüngste Abstimmungssonntag zeigte gnadenlos auf, dass es derzeit nicht rundläuft in der Schweizer Demokratie. Während die durchschnittliche Erfolgsquote bei Referenden normalerweise bei rund 20 Prozent liegt, beträgt sie derzeit mehr als 40 Prozent, wie Politologe Lukas Golder vorrechnet. Und seit September 2020 wurden drei von zwölf Initiativen angenommen; auch dies eine ausserordentlich hohe Quote. Mit anderen Worten: Bundesrat und Parlament politisieren am Volk vorbei.

Was also ist los? Wo knorzt es?

Ein bisschen überall.

Das Parlament

Da ist zunächst das Parlament.Eine Versammlung, die sich vermehrt die Freiheit nimmt, bundesrätliche Vorlagen grosszügig umzubauen. Dies zeigte sich beim CO2-Gesetz, als der Rat die Flugticketabgabe in die Vorlage packte, und beim Mediengesetz, als es flugs die vorgesehenen Subventionen verdoppelte. Zugleich gibt es in der aktuellen Legislatur seltener breit abgestützte Mehrheiten. «Während Vorlagen im Nationalrat früher häufig mit 160 von 200 Stimmen durchkamen, kommt es nun öfter zu knappen Mehrheiten mit 120 Stimmen», merkt der Politikwissenschaftler Claude Longchamp (64) an.

Das Herumschrauben an Vorlagen und knappe Mehrheiten führen jedoch dazu, dass die Vorlagen vielen Gegnern viele Angriffsflächen bieten – und an der Urne eher durchfallen.

Die Parteien

Dann sind da die Parteien. Sie operieren vermehrt im permanenten Wahlkampfmodus und zeigen weniger Bereitschaft, in ihren Kernthemen Kompromisse einzugehen. So etwa die SVP bei Migrationsthemen oder die SP bei steuerpolitischen Vorlagen. Das verstärkt die Tendenz zur Polarisierung und zum Populismus.

Währenddessen zerbröselt das politische Zentrum. Die FDP schlingert unter ihrem neuen Präsidenten zwischen rechts und Mitte-rechts hin und her. Die Mitte macht in dieser Legislatur vor allem durch ihre Uneinigkeit von sich reden, wie die Posse um die Geschäftsmieten zu Beginn der Krise zeigte. Damit verliert die Partei ihre Scharnierfunktion, die sie dank einer starken Vertretung in beiden Räten eigentlich haben sollte.

Die GLP wiederum hat offenbar wenig Gespür für die Wünsche ihrer Wähler: Gleich mehrmals setzten sich ihre Politiker im Rat für ein Geschäft ein, dem die Delegierten mit ihrer Abstimmungsempfehlung widersprachen. Stichworte dafür sind E-ID, Pflege-Initiative, Mediengesetz. Auch dieses Verhalten hilft nicht, im Stimmvolk Mehrheiten zu finden.

Der Bundesrat

Und dann ist da natürlich der Bundesrat. Der präsentiert sich zurzeit eher als Gremium von sieben Einzelkämpfern denn als kollegiales Team. «Die Regierung schafft es nicht, das Volk auf einen gemeinsamen Weg einzuschwören, weil sie selber nicht weiss, wohin der Weg geht», sagt Politologe Golder. Mit hineinspielen dürfte da, dass die politischen Verhältnisse derzeit so instabil sind wie selten – was den Konkurrenzkampf verschärft.

Geht das politische System der Schweiz also gerade den Bach runter?

Nein, meint der langjährige Polit-Beobachter Claude Longchamp. Er verweist darauf, dass es immer wieder Perioden gibt, in denen Bundesrat und Parlament häufiger verlieren – gefolgt von Phasen, in denen sie das Stimmvolk überzeugen können.

Phase des Misstrauens

Eine solche Phase des starken Misstrauens gegenüber dem Bundesrat waren laut Longchamp die Jahre nach der gescheiterten EWR-Abstimmung und die Zeit nach der Wahl von SVP-Politiker Christoph Blocher (81) in den Bundesrat 2003. In den darauffolgenden Jahren verlor das Siebnergremium in Volksabstimmungen acht Mal hintereinander, so Longchamp. Schliesslich habe sich auch das wieder eingerenkt.

In der aktuellen Niederlagen-Serie sieht Longchamp neben den genannten Entwicklungen auch den Einfluss der Corona-Pandemie. Laut seinem Fachkollegen Golder gingen in der Corona-Krise vermehrt Behördenkritiker an die Urne. Auch die scharfe Oppositionspolitik der SVP zum bundesrätlichen Pandemiekurs hat die Abstimmungen wohl beeinflusst.

Die Corona-Krise geht eines Tages zu Ende. Doch die Polarisierung und der zunehmende Parteienwettbewerb werden die Politik weiterhin prägen. Auch die Blockaden in zentralen Dossiers wie der EU oder der Altersreform lösen sich kaum über Nacht auf.

Dennoch findet Claude Longchamp, der Bundesrat mache derzeit gar keine so schlechte Falle. «In der Pandemie hat der Bundesrat als Team gehandelt», sagt der Politologe, «und das Land insgesamt gut durch die Krise gebracht.»

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