Wo ist unsere Begeisterung? Wo unsere Freude? Die grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg scheint endlich überstanden zu sein. Und was machen wir in der Schweiz? Wir nörgeln und sorgen uns weiter.
Vor zwei Jahren sassen wir alle vom einen Tag auf den anderen zu Hause fest: Eltern, deren Alltag auf den Kopf gestellt wird. Grosseltern, die ohne ihre Enkel auskommen müssen. Teenager, die wichtige Jahre ihrer Jugend verlieren. Familien, die sich zerstreiten. So viel gesellschaftliches Leid, das nun wieder vorbei sein dürfte.
Natürlich bleibt eine gesunde Vorsicht geboten. Gerade für Angehörige der Risikogruppe. Weiterhin fordert das Virus täglich Todesopfer. Doch Politik und Wirtschaft sind sich einig: Einschneidende Massnahmen für die Bevölkerung können unter diesen Umständen nicht mehr gerechtfertigt werden. Die Covid-19-Taskforce des Bundes tritt Ende März ab. Kantonale Taskforces lösen sich schon jetzt auf.
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Pessimistisch statt optimistisch
Uns wurde für diesen Moment im Frühling 2020 ein Fest versprochen. Ein kollektiver Glücksmoment sozusagen. Doch Freude zeigen? Erleichterung? Bloss nicht – wir leben ja in der Schweiz.
Die Corona-Skeptiker nörgeln heute an einer Demo in Zürich-Oerlikon lautstark weiter. Und andere berichten in den sozialen Medien wie Twitter unter dem Hashtag #SwissCovidFail von Albträumen, weil sie im Schlaf maskenlose Supermärkte betreten haben.
Gleichzeitig fürchten sich Beizer bereits vor dem nächsten Lockdown. Und die Bar- und Clubbesitzer haben Angst, dass wir in der Krise alle zu Couch-Potatoes mutiert sind.
Wo ist da der Optimismus geblieben? Die Schweizer Wirtschaft floriert. Die Konkurswelle blieb aus. Unseren Unternehmen gehts gut. An der Börse stellte der SMI vor zwei Monaten einen neuen Rekordwert auf. Die Arbeitslosenquote ist sehr tief.
Die Welt ist neidisch auf die Schweiz
Für Freude und Erleichterung ging und geht uns in der Schweiz einfach zu gut. Wir schlugen weltweit einen der liberalsten und pragmatischsten Wege in der Pandemie ein, der sich fast immer als richtig erwiesen hat. Wir kannten nicht einmal eine Ausgangssperre. Nicht nur die übervorsichtigen Deutschen haben diese Woche ein weiteres Mal neidisch auf uns geblickt.
Die Schweizer Nörgel- und Sorgenkultur wird diese Pandemie weit überdauern. Die einen betreiben weiter einen riesigen Effort, um sich über die Maskenpflicht im Zug zu echauffieren. Die anderen fallen in die nächste Sinnkrise, weil der junge Herr im Abteil nebenan nicht unverzüglich nach dem Trinken die Maske wieder hochzieht.
Schade, zeigen wir Schweizer nicht denselben Elan, wenn es ums Feiern geht.
Beim Nörgeln bin nun auch ich kein Stück besser mit dieser Kolumne. Ganz der Schweizer eben. Worüber können wir uns denn sonst aufregen? Wir sind ein mühsames Volk. Die Schweiz ist einfach viel zu gut.