Darum gehts
- Seit drei Jahren gibt es die Vertrauensstelle für Angehörige der Schweizer Armee
- Die Ombudsstelle bearbeitet Fälle von Überforderung, Mobbing und Diskriminierung
- Über 800 Meldungen in drei Jahren, mehr als 4000 Aktivitäten ausgelöst
Rekruten und Soldaten in der Schweizer Armee können nicht wählen, wo und mit wem und wann sie Militärdienst leisten. Die Dienstpflicht produziert massenhaft Zwangsgemeinschaften – mit rund 12'000 neu Rekrutierten jedes Jahr. Konflikte sind da vorprogrammiert. Einige davon landen bei der Vertrauensstelle für Angehörige der Armee. Diese wurde vor drei Jahren neu geschaffen.
Dass dies überfällig war, zeigen die Zahlen zu den ersten drei Jahren der unabhängigen Ombudsstelle, die Blick auf Anfrage vom Verteidigungsdepartement (VBS) erhalten hat: 800 Meldungen seien bisher von Armeeangehörigen und aus deren Umfeld eingegangen. Die Leitung der Vertrauensstelle korrigiert diese Zahl sogar nach oben: Es seien inzwischen «gegen 850 Meldungen», in den letzten Wochen seien viele neue Anfragen gestellt worden.
Die Leitung der Vertrauensstelle der Milizarmee, das sind: Sylvia Schär Hahn (65) und Stefan Junger (57). Sie war zuvor für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereits als Ombudsfrau und Mediatorin in der Ukraine im Einsatz, nachdem Russland 2014 die Halbinsel Krim annektiert hatte. Er war Chef der Armeeseelsorge und als Sorgen-Onkel der Soldaten während der Covid-Pandemie besonders gefordert. Junger sagt: «Auch als Ombudsmann oder Ombudsfrau ist es wesentlich, gut zuhören zu können.»
Keine Jahresberichte, keine Statistik
Ob über 800 Meldungen viel oder wenig seien, kann das Führungsduo nicht beurteilen. «Dafür gibt es uns zu wenig lang», sagt Junger. Klar sei aber, dass jede Meldung aus der rund 140'000 Personen umfassenden Milizarmee gut sei, weil sie die Lösung eines Problems ermögliche. «Es spricht für die Armee, dass sie diese unabhängige Anlaufstelle geschaffen hat», sagt Schär Hahn. Die Meldungen haben über 4000 «Aktivitäten» wie Beratungen, Vermittlungen oder Mediationen ausgelöst.
Wie sich die vielen Meldungen genau zusammensetzen, ist unklar. Die Vertrauensstelle erstellt keinen Tätigkeitsbericht, eine Statistik dazu, welche Probleme den Fällen zugrunde liegen, gibt es nicht. «Wir geben lieber konkrete Empfehlungen ab und pflegen den Kontakt, statt Papier zu produzieren», sagt Junger. Die Armeeangehörigen würden sich aus den unterschiedlichsten Gründen an die Ombudsstelle wenden: Überforderung, Schwierigkeiten mit sich selber, Schwierigkeiten mit Kollegen, mit Kameraden, mit Vorgesetzten. Und wegen Unvereinbarkeit des Militärdiensts mit dem zivilen Leben.
Junger nennt ein Beispiel: Besteht ein Kommandant auf den Besuch eines Wiederholungskurses, während der zivile Arbeitgeber auf eine Verschiebung pocht, gerate die dienstleistende Person schnell zwischen die Fronten. «In den allermeisten Fällen können wir eine gute und nachhaltige Lösung mit Stellen innerhalb, aber auch ausserhalb der Armee finden», sagt Schär Hahn.
Unschön sind die Meldungen wegen mutmasslichem Mobbing, Schikanen, Diskriminierung oder Drohungen. Rund jeder vierte Fall gehöre in diese Kategorie, sagt Junger. Im vergangenen Herbst zeigte eine Studie, dass Diskriminierung und sexualisierte Gewalt weit verbreitet sind in der Schweizer Armee. Besonders betroffen sind Frauen. Jede zweite Frau im Militär erlebt Belästigung, fast jede Frau verbale Entgleisungen.
Sexualisierte Gewalt: Nicht mehr Fälle
Das Ergebnis der Studie zeigt sich laut Junger und Schär Hahn auch in der Arbeit der Vertrauensstelle. Allerdings haben die Meldungen wegen sexualisierter Gewalt und Diskriminierung seit der Präsentation der Studie nicht zugenommen, sagt der Ombudsmann, trotz grosser medialer Aufmerksamkeit. «Das hat uns selbst erstaunt.»
Das VBS ist zufrieden mit den ersten drei Jahren der Vertrauensstelle. Die Erfahrungen bestätigten, dass die Schaffung der Ombudsstelle «richtig und wichtig» gewesen sei, heisst es beim Generalsekretariat. Die Anzahl der Meldungen sei ein Qualitätsmerkmal für die Vertrauensstelle.