Die Schweizer Armee soll für Sicherheit sorgen. Doch für viele ist sie ein unsicherer Ort. 40 Prozent der Befragten gaben bei einer Studie an, sie hätten im Dienst sexualisierte Gewalt erlebt – verbal, nonverbal und körperlich. Es geht um Belästigung, Nötigung und sexistische Sprüche. Besonders betroffen sind Frauen und queere Männer.
Eklatante Führungsprobleme
Die Erhebung weist auf eklatante Führungsprobleme hin. Eine Offizierin berichtet in der Studie: «Ich habe die Fälle gemeldet, diese wurden bewusst unter den Teppich gekehrt.» Eine andere kritisiert, ein Major habe einen Kameraden geschützt: «Die Hierarchie steht bei solchen Situationen oft im Weg.»
Klar ist: Es gibt eine Diskrepanz zwischen den vielen Fällen, von denen in der Studie die Rede ist, und von den wenigen, die tatsächlich zur Anzeige gebracht werden. Wie in der Gesellschaft gibt es auch in der Armee Hemmungen, Sexualdelikte anzuzeigen – die Opfer haben Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, oder sie befürchten negative Konsequenzen.
77 mutmassliche Sexualdelikte in den letzten fünf Jahren
Wie die Militärjustiz auf Anfrage von Blick mitteilt, wurden in den letzten fünf Jahren 77 mutmassliche Sexualdelikte gemeldet. 52 Fälle sind abgeschlossen, 25 noch pendent. Unter die Summe fallen auch Fälle, «bei denen zu Beginn nur ein ganz vager Anfangsverdacht auf ein Sexualdelikt bestand», teilt die Militärjustiz mit. Wegen Vergewaltigung wurde in den abgefragten letzten fünf Jahren niemand verurteilt, allerdings gab es ein Urteil wegen sexueller Belästigung und zwei wegen sexueller Nötigung. Blick hat die drei Urteile eingesehen.
- Sexuelle Belästigung: Ein Soldat, der auch mit Wünschen nach «Leckmuschis» zu reden gab, schliesst eine Soldatin in eine Waffenkammer ein und sagt: «Wenn ich Ihnen jetzt einen Befehl geben würde, wäre es dieser, dass Sie Ihre Hose runterlassen müssen.» Und weiter: «Wissen Sie, wie lange ich schon keine Frau mehr angefasst habe?» Erst zwei bis drei Minuten später gibt der Soldat die Soldatin frei. Der Mann wurde wegen sexueller Belästigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 30 Franken und einer Busse von 2200 Franken verurteilt.
- Sexuelle Nötigung I: Ein Soldat legt einer Soldatin im Zimmer seine Hand um die Hüfte, steckt ihr die Zunge in den Mund und küsst sie. Später stösst er sie aufs Bett und will ihren Gürtel öffnen. Die Soldatin kreuzt die Beine und sagt dem Angeklagten, sie sei noch Jungfrau und Muslimin. Der Soldat wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde aufgeschoben und die Probezeit auf zwei Jahre festgesetzt.
- Sexuelle Nötigung II: Ein Soldat und eine Soldatin lernen sich über die Dating-App Lovoo kennen. Bald tauschen sie Nacktbilder aus – freiwillig über Snapchat, Instagram und WhatsApp. Fünf Wochen später fordert der Soldat die Kameradin auf, weitere Nacktbilder zu schicken, andernfalls werde er die früheren Nacktfotos von ihr auf einschlägige Pornoseiten hochladen. Der Soldat wurde zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 120 Franken verurteilt und die Probezeit auf zwei Jahre angesetzt.
Solche Fälle gehören ebenso zum Armeealltag wie Offizierinnen, die die Armee als «safe space» erleben. Am Donnerstag versprach der Chef der Armee, Thomas Süssli (58), den Kulturwandel in der Armee zu beschleunigen: «Wer nicht bereit ist, diesen Weg mit uns zu gehen, der muss persönlich die Konsequenzen tragen.»