«Man muss die Menschen bei Veränderungen mitnehmen»
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VW-Managerin Yvonne Bettkober:«Man muss die Menschen bei Veränderungen mitnehmen»

Volkswagen-Managerin Yvonne Bettkober
«Wir hatten zu Hause nicht einmal einen Fernseher»

Sie ist in Kamerun in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, machte Karriere in der Tech-Welt und zog in der Schweiz drei Buben gross: Yvonne Bettkober. Die Volkswagen-Managerin über den Umbau zum E-Autobauer, Silberrücken und ihr schlechtes Gewissen als Mutter.
Publiziert: 11.07.2023 um 10:56 Uhr
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Yvonne Bettkober wuchs in Kamerun auf und machte Karriere in der Tech-Branche.
Foto: Philippe Rossier
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Frau Bettkober, Sie sind eine Tech-Managerin, die sich den Zugang zur Technologie erarbeiten musste. Wann kamen Sie zum ersten Mal in Berührung mit einem Computer?
Yvonne Bettkober: Das war in einer Informatikveranstaltung. Ich hatte ein solches Gerät noch nie gesehen. Wir hatten zu Hause nicht einmal einen Fernseher, meine Eltern lebten in einfachen Verhältnissen. Zum Fernsehen gingen wir am Wochenende zu Fuss zu meinen Cousins, wo wir alle zusammen «Dallas» schauten.

Nun waren Sie zarte 18 Jahre alt und …
… und ich sprach noch nicht so gut Deutsch, damals war Europa noch nicht so offen, die Ausländer blieben unter sich. Es dauerte, bis ich mich traute, mir Hilfe zu holen. Als der Tutor kam, fragte ich ihn, wie man diesen «Fernseher» einschaltet.

Haben Sie daraus etwas mitgenommen?
Es hat mir gezeigt, dass jeder Mensch mit Neuem umgehen kann. Lernen ist nichts, wofür man sich schämen muss.

Die Tech-Managerin

Yvonne Bettkober wurde 1974 im Tschad geboren und wuchs in Kamerun als eines von fünf Kindern auf. Als eine der besten Abiturientinnen ihres Landes erhielt sie ein Auslandsstipendium und studierte in Berlin Elektrotechnik. Seither war sie in mehr als 20 Ländern tätig. Meist wegen Jobs im Tech-Bereich. Sie sass in der Geschäftsleitung von Microsoft in der Schweiz und baute danach für Amazon Web Services (AWS) das Cloud-Geschäft in der Schweiz auf. Seit diesem Frühling ist sie beim Volkswagen-Konzern und leitet dort die Organisationsentwicklung und Transformation. Yvonne Bettkober ist verheiratet, hat drei volljährige Kinder und lebt im Kanton Schwyz.

Philippe Rossier

Yvonne Bettkober wurde 1974 im Tschad geboren und wuchs in Kamerun als eines von fünf Kindern auf. Als eine der besten Abiturientinnen ihres Landes erhielt sie ein Auslandsstipendium und studierte in Berlin Elektrotechnik. Seither war sie in mehr als 20 Ländern tätig. Meist wegen Jobs im Tech-Bereich. Sie sass in der Geschäftsleitung von Microsoft in der Schweiz und baute danach für Amazon Web Services (AWS) das Cloud-Geschäft in der Schweiz auf. Seit diesem Frühling ist sie beim Volkswagen-Konzern und leitet dort die Organisationsentwicklung und Transformation. Yvonne Bettkober ist verheiratet, hat drei volljährige Kinder und lebt im Kanton Schwyz.

Jetzt sind Sie bei Volkswagen (VW) für den Wandel hin zu E-Mobilität und Digitalisierung zuständig. VW hat wie alle traditionellen Autobauer den E-Auto-Trend lange verschlafen. Nun setzt man Vollgas auf Elektro. Wie läuft es?
Wir haben gerade die Schallmauer von einer Million verkaufter elektrischer Autos überschritten. Viele sind überrascht, wie entschlossen die Firma diesen Weg verfolgt. Wir sind auf Kurs.

Tesla hat aber früher angefangen und ist jetzt voraus.
Natürlich ist es viel einfacher, auf der grünen Wiese anzufangen. Volkswagen ist ein grosses Unternehmen mit langer Tradition, 670'000 Mitarbeitern, viel Infrastruktur und gewachsenen Prozessen. Wir werden dieses Jahr über 8,3 Millionen Autos auf die Strasse bringen. Bei dieser Grössenordnung kann man die Richtung nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Deshalb investiert Volkswagen rund 120 Milliarden in den Umbau.

Die VW-Angestellten bauten viele Jahre lang Benziner, waren stolz darauf. Wie schaut man, dass nun alle bei der Elektrifizierung mitmachen?
Die Transformation geht weit über Elektrifizierung hinaus. Das ist eine grosse Veränderung, es braucht Dialog. Neulich war ich an der Betriebsversammlung. Da stehen überall im Saal Mikrofone und alle, die möchten, äussern sich. Das Führungsteam steht Rede und Antwort. Man muss auch Reibung zulassen. Man muss offenlegen, wenn etwas nicht gut läuft, aber auch den Weg mit Überzeugung weitergehen, wenn er strategisch sinnvoll ist.

Volkswagen und der E-Automarkt

An der Spitze im E-Auto-Geschäft steht das chinesische Unternehmen BYD («Build Your Dreams») – der Weltmarktanteil liegt laut dem Marktforschungsunternehmen Counterpoint bei 21 Prozent. Darauf folgt Tesla mit 16 Prozent. Der deutsche Hersteller Volkswagen (Bild: Produktion von E-Autos in Sachsen) kommt auf einen Anteil von 7 Prozent. Nun will der Konzern, als grösster Autobauer der Welt, in die Offensive gehen. Bis 2025 soll jedes fünfte verkaufte Fahrzeug über einen reinen Elektroantrieb verfügen. Im Jahr 2022 lag der Anteil von E-Autos an der Gesamtauslieferung bei sieben Prozent — was 572’100 rein elektrischer Fahrzeuge entspricht.

An der Spitze im E-Auto-Geschäft steht das chinesische Unternehmen BYD («Build Your Dreams») – der Weltmarktanteil liegt laut dem Marktforschungsunternehmen Counterpoint bei 21 Prozent. Darauf folgt Tesla mit 16 Prozent. Der deutsche Hersteller Volkswagen (Bild: Produktion von E-Autos in Sachsen) kommt auf einen Anteil von 7 Prozent. Nun will der Konzern, als grösster Autobauer der Welt, in die Offensive gehen. Bis 2025 soll jedes fünfte verkaufte Fahrzeug über einen reinen Elektroantrieb verfügen. Im Jahr 2022 lag der Anteil von E-Autos an der Gesamtauslieferung bei sieben Prozent — was 572’100 rein elektrischer Fahrzeuge entspricht.

Fahren Sie ein Elektroauto?
Ich fahre einen Volkswagen Arteon und einen Porsche Cayenne. Beides sind Hybridautos. Das ist mir wichtig.

Sie achten auf die Umwelt?
Das muss man. Und wenn ich es nicht täte, würden meine drei Söhne schon dafür sorgen.

Sie mussten selbst immer wieder neu anfangen. Wie hat Sie das geprägt?
Weil ich selbst immer «die Fremde» war, habe ich viel Empathie entwickelt. Das braucht es, um Menschen zu führen. Als Chefin muss ich mich um meine Mitarbeiter sorgen. Care – auf Englisch. Nur wenn ich diese Sorge habe, kann ich sie fordern und fördern.

Setzen Sie sich deshalb in Ihren Jobs für Diversity und Inklusion ein?
Schauen Sie mich an! (Lacht.)

Sie sind schwarz.
Ich bin in fast jedem Raum die Einzige, die so aussieht. Ich bin der rote Pinguin in einer Kolonie. (Lacht.)

Sind Sie schon angefeindet worden?
Vor dreissig Jahren habe ich in Chemnitz Ausländerfeindlichkeit erlebt. Das hatte mit dem Zusammenbruch der DDR zu tun. Die Gesellschaft war dabei, ein Trauma zu verarbeiten. Abgesehen von diesen Erfahrungen und Kleinigkeiten im Alltag habe ich bisher kaum Rassismus erlebt.

Wie nutzen Sie Ihre Erfahrungen nun im Berufsalltag?
Es kostet mich 20 Prozent meiner Energie, in ein Sitzungszimmer reinzumarschieren, in dem ich die einzige Frau bin, die einzige Schwarze. Das will ich den Mitarbeitenden ersparen. Deshalb will ich es für all jene, die anders aussehen, fühlen, glauben und lieben, einfacher machen, sich einzubringen. Tun wir das nicht, kostet es.

Wie meinen Sie das?
Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht gehört wird, geben sie nicht 100 Prozent. Sie checken mental aus.

Bei manchen Teamsitzungen geben die Männer Gas und die Frauen halten sich zurück. Wie setzt frau sich durch?
Frauen müssen ihre inneren Dialoge stoppen: «Was du denkst, das ist wahrscheinlich dumm, diese Idee klappt sowieso nicht.» Man sinkt dabei in sich zusammen, ist körperlich nicht mehr präsent im Raum, die Leute hören einem weniger zu. Es beeinflusst die eigene Überzeugungskraft. Gut, ich selbst bin ja eher gross und breit, kann gut einen Raum einnehmen, aber gerade zierlichere Frauen tun sich damit schwer …

Was können kleinere Frauen tun?
Lassen Sie zuerst die Männer ausmachen, wer der Silberrückengorilla ist. Diese Zeit muss man ihnen geben. Wenn die Diskussion konstruktiv wird und Sie einen Punkt machen wollen, stehen Sie auf, wenn die Situation es erlaubt. Im Stehen kann man besser sprechen, man wird gesehen.

Was, wenn ein Kollege ein Input als eigener verkauft, den man zuvor schon selbst vorgebracht hat?
Ein Klassiker. Wenn er fertig gesprochen hat, sagen Sie in der Runde: «Danke Daniel, gut, dass du meinen Punkt noch mal aufgenommen hast, ich möchte nun noch Folgendes hinzufügen …» Man muss es üben, wie im Sport.

Sie gehörten zu den besten Maturandinnen Kameruns, kamen so mit einem Stipendium fürs Studium nach Deutschland …
Das ist nichts Besonderes, einfach viel Arbeit.

Kürzlich schlug ein Demografieforscher im «Tages-Anzeiger» wegen des Arbeitskräftemangels vor: Die Schweiz solle Ausbildungsstätten in afrikanischen Ländern einrichten und den besten Absolventen eine Stelle hier geben. Was halten Sie davon?
Das ist nicht mal eine neue Idee. In Kamerun gibt es immer mehr Institutionen aus Deutschland, die dort Menschen für die deutsche Alters- und Krankenpflege ausbilden.

Sie wirken skeptisch.
Ich bin sehr skeptisch. Der Altersschnitt in Afrika liegt etwa bei 20 Jahren, in der Schweiz sind es 43 Jahre. Das Potenzial ist riesig. Doch man verschlimmert dort den Abfluss von Talent und Wissen. Es ist bevormundend und von oben herab, sich die besten auszusuchen und zu denken: «Die können froh sein.»

Finden Sie, die Schweiz unterschätzt Afrika?
Ja. Afrika führt neue Technologien vielfach viel schneller ein als die Schweiz. Mobile Payment, Blockchain – das ist in Afrika längst verbreitet.

Wie könnte man den Kontinent auf Augenhöhe einbinden und den Arbeitskräftemangel dämpfen?
Durch Partnerschaften zwischen der Schweiz und afrikanischen Ländern, von denen beide Seiten profitieren. Wir helfen bei der Ausbildung von jungen Menschen, wir geben ihnen die Möglichkeit, für ein paar Jahre in der Schweiz oder sogar remote, also von dort aus, für die Schweiz zu arbeiten. Gleichzeitig gibt man ihnen die Möglichkeit, eigene Unternehmen in ihrem Land zu gründen, damit sie für Arbeitsplätze sorgen.

Haben Sie je überlegt, in die Politik zu gehen?
Nie. Man muss zu viele Kompromisse machen. Ich bin zu eigensinnig.

Wie haben Sie es eigentlich geschafft, eine solche Karriere zu machen und drei Buben grosszuziehen?
Das frage ich mich auch! Ich bin überzeugte Mutter, ich liebe diesen Job. Ich bin sehr gut organisiert. Doch wie jede Frau habe ich mit einem schlechten Gewissen zu kämpfen. Wenn der Grosse am Mittwochnachmittag nach Hause kommt und ich es nicht geschafft habe, rote Bohnen vorzukochen, hadere ich mit mir.

Wie gehen Sie mit dem schlechten Gewissen um?
Ich habe irgendwann aufgehört, Superwoman sein zu wollen. Perfektion habe ich aufgegeben. Ich habe gar nicht erst versucht, ständig ein aufwendiges und superökologisches Menü auf den Tisch zu bringen. Oder dass jeder von ihnen am Geburtstag eine selbst gebackene Torte in den Kindergarten mitbringt. Ich habe Kuchen gekauft.

Sind Sie stolz auf sich?
Ich muss mir nicht ständig auf die Schulter klopfen. Doch ja, als Mutter war ich erfolgreich.

Wie zeigt sich das?
Da ist viel Nähe zwischen mir und meinen Jungs. Sie kommen immer zuerst zu mir, wenn sie etwas auf dem Herzen haben. Manchmal sind sie schon fast zu offen und ehrlich. Dass das trotz meiner Berufstätigkeit geklappt hat, ist der grösste Erfolg meines Lebens.

Was hat Sie eigentlich später in die Schweiz gebracht?
Ich bin in einem Armenviertel aufgewachsen, wo permanent eingebrochen wurde. Die Strassen, der Verkehr, überall herrschte Chaos. Als Kind hatte ich oft und viel Angst. Ich musste ständig aufpassen, dass mir nichts passiert. Als ich meinen dritten Sohn erwartete, suchten wir einen Ort, wo ich nicht ständig paranoid nach den Jungs schauen muss.

Was hält Sie heute in der Schweiz?
Der umsichtige Umgang miteinander ist etwas Besonderes. In der Schweiz verletzt man einander nicht ohne Not. Dieser soziale Frieden ist in diesen Tagen der Polarisierung sehr wertvoll. Dieses Land hat uns viel gegeben.

Und was steht heute bei Ihnen noch an?
Jetzt fahre ich nach Hause und koche rote Bohnen mit Kochbananen für meine Kinder.

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