Leon Windscheid geht den Gefühlen auf den Grund
«Glück ist wie Furzen, mit zu viel Druck wird es Kacke»

Gefühle bestimmen unser Leben. Was hochemotional ist, betrachtet der Psychologe Leon Windscheid (34) aus wissenschaftlicher Perspektive. Er zeigt auf, warum negative Gefühle nicht unbedingt schlecht sind und wie man sie sogar nutzen kann.
Publiziert: 24.06.2023 um 01:57 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2023 um 10:24 Uhr
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Er geht den Gefühlen auf den Grund: Der Psychologe Leon Windscheid.
Foto: Marvin Ruppert

Ich habe Liebeskummer, haben Sie einen Rat für mich?
Leon Windscheid: Zuerst hoffe ich, es ist nicht allzu schlimm. Was viele in einer solchen Situation falsch machen, ist, Gefühle wie Traurigkeit oder Angst als lästig und störend wahrzunehmen. Dann versucht man, sie möglichst schnell loszuwerden, oder lenkt sich ab. Dabei vergisst man aber einen positiven Effekt, den eine solche Situation haben kann.

Was soll an Liebeskummer positiv sein?
Negative Gefühle haben eine Funktion. Wenn man traurig ist, schärft das unser Gedächtnis und die Wahrnehmung. Es gibt verschiedene Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass Traurigkeit den Blick nach innen richtet und wir zugleich die äussere Realität so wahrnehmen, wie sie tatsächlich ist. Und anstatt einfach im Alltag weiterzugehen oder gar davor wegzurennen, bremst uns dieses Gefühl ein Stück weit aus. Das ist wichtig, um innezuhalten und seine Kräfte zu sammeln. Es ist die Gelegenheit zu prüfen, wer tut mir gut und wer nicht.

Psychologe Leon Windscheid erklärt, warum negative Gefühle auch nützlich sein können.
Foto: Marvin Ruppert

Sie gehen Gefühlen auf den Grund, wie sind Sie darauf gekommen?
Für mich ist das der Kern der Psychologie: verstehen, wie die Menschen ticken und warum. Sei es im Ehebett oder im Teammeeting per Zoom, wir bekommen überall die eigenen Gefühle und die der anderen mit. Darum ist es wichtig, dass man diese entschlüsseln kann.

Wie halten Sie es persönlich damit?
Eine gute Freundin hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich sehr viel über Gefühle spreche, aber nicht über meine eigenen. Eigentlich bin ich mehr der Naturwissenschaftler, ich war schon immer ein Quadratschädel, der mit Zahlen und Fakten arbeitet. Das ist mir lieber, als ein Essay über die Liebe zu schreiben.

Kann man so etwas Komplexes wie Gefühle überhaupt wissenschaftlich erfassen?
Ja, es gibt ganz viel empirische Forschung dazu und ganz viele atemberaubende Einsichten aus der Wissenschaft, wie wir mit Gefühlen umgehen. Ich bin überzeugt, Fühlen kann man genau so erlernen wie andere Fähigkeiten. Das beobachte ich an mir selber, heute kann ich besser mit meinen Gefühlen umgehen als noch vor ein paar Jahren.

Der Millionen-Psychologe

Seit Leon Windscheid (34) 2015 bei Günther Jauch (66) eine Million Euro gewonnen hat, steht er im Rampenlicht. Der promovierte Psychologe und Wirtschaftswissenschaftler ist ein Kind der 90er-Jahre und in Solingen (D) aufgewachsen. Sein neustes Buch «Besser fühlen» von 2021 stieg direkt auf Platz 1 der «Spiegel»-Bestsellerliste. Sein Podcast «Betreutes Fühlen» mit Atze Schröder (57) belegt Spitzenplätze in den Charts – mit mittlerweile über 4,5 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten. Für das ZDF-Wissenschaftsformat «Terra Xplore» geht Windscheid als Moderator auf Entdeckungsreise in die Psyche und das Gehirn des Menschen. Derzeit ist er mit seiner Tour «Gute Gefühle» unterwegs.

Seit Leon Windscheid (34) 2015 bei Günther Jauch (66) eine Million Euro gewonnen hat, steht er im Rampenlicht. Der promovierte Psychologe und Wirtschaftswissenschaftler ist ein Kind der 90er-Jahre und in Solingen (D) aufgewachsen. Sein neustes Buch «Besser fühlen» von 2021 stieg direkt auf Platz 1 der «Spiegel»-Bestsellerliste. Sein Podcast «Betreutes Fühlen» mit Atze Schröder (57) belegt Spitzenplätze in den Charts – mit mittlerweile über 4,5 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten. Für das ZDF-Wissenschaftsformat «Terra Xplore» geht Windscheid als Moderator auf Entdeckungsreise in die Psyche und das Gehirn des Menschen. Derzeit ist er mit seiner Tour «Gute Gefühle» unterwegs.

Gibt es ein Gefühl, das Sie besonders mögen?
Wir leben in einer Welt, die immer komplexer wird, die Zeit der einfachen Antworten ist vorbei. Es ist darum wichtig, sich mit dem anzufreunden, was uns überfordert oder wir noch nicht begriffen haben. Eines meiner Lieblingsgefühle ist darum die Neugier. Da steckt auch die Gier drin und damit die Lust nach neuen Erkenntnissen.

Heute gibt es eine ganze Gefühlsmanagement-Industrie, da gehören Sie mit Ihrem erfolgreichen Podcast und Ihrer Show auch dazu. Tut uns das wirklich gut?
Ich habe gar nicht den Anspruch, dass ich etwas besser oder anders mache als andere. Problematisch ist, wenn Leute ohne fundiertes Wissen oder psychologische Ausbildung Coachings anbieten. Dort geht es dann oft in die Richtung, unangenehme Gefühle loszuwerden, statt wirklich hinzuschauen. Wir leben in einer toxisch positiven Welt.

Mit seiner Show «Gute Gefühle» vermittelt Windscheid Wissen auf unterhaltsame Weise.

Was heisst das genau?
Es geht darum, immer gut drauf zu sein. Alles ist voll mit so Sprüchen wie: Du bist, was du denkst. Das möchte ich mal ersetzen mit: Glück ist wie Furzen, mit zu viel Druck wird es Kacke. Da kann keiner mithalten und wird womöglich als Mensch untergehen. Aber das ist es, was man uns vorlebt. Es ruft uns von überall entgegen, vom Instagram-Post bis zum Glücks-Seminar.

Was machen Sie anders?
Wir müssen Gefühle annehmen, auch negative. Es geht um Achtsamkeit, auch wenn der Begriff inzwischen abgedroschen ist. In der Psychologie spricht man von Emotionsregulation: Ich akzeptiere, was ist, lerne damit umzugehen und mache mich nicht noch zusätzlich selber fertig, weil ich mich schlecht fühle. Das versuche ich den Leuten mitzugeben: Eifersucht hat eine positive Seite, weil sie zeigt, dass einem jemand wichtig ist. Auch Traurigkeit ergibt einen Sinn, genau so, wie wenn man Wut verspürt.

Was ist wichtig an der Wut?
Wut ist viel Information in kurzer Zeit. Ein Gefühl, das zeigt, hier stimmt was nicht, und du kannst dich wehren. Das muss nicht in sinnlose Aggression umschlagen. Das haben wir damals bei den Suffragetten gesehen, die für das Frauenwahlrecht gekämpft haben. Oder heute bei der Black-Lives-Matter-Bewegung und ganz aktuell beim Aufstand im Iran. So kann Wut etwas Konstruktives sein und eine Veränderung bewirken.

Sie sprechen vor allem die junge Generation an, die leidet vermehrt an psychischen Problemen, weshalb?
Das stimmt so nicht. Es gab in der Pandemie mehr Anzeichen von Depressionen und Angst, gerade bei jungen Menschen. Aber die Zahlen sind ziemlich stabil. Symptome allein bedeuten nicht, dass da wirklich eine Störung vorliegt. Tatsächlich gibt es aber mehr Ausfälle, weil sich Leute wegen mentalen Problem krankschreiben lassen.

Sind die Jungen heutzutage nicht einfach zu empfindsam?
Man kann das schon als Empfindlichkeit abtun und die Jungen mit unseren Vätern vergleichen, die knallhart alles durchgezogen haben. Aber unsere Väter gehören auch zu einer Generation, in der viele alkoholkrank geworden sind, weil sie nicht über ihre Depressionen gesprochen haben. Ich mache dieser Generation keinen Vorwurf. Aber sich mit seinen Gefühlen zu beschäftigen, ist kein Zeichen von Schwäche.

Sondern?
Es ist genau das Gegenteil, wer sich um seine Psychohygiene kümmert, bevor er wirklich eine Störung entwickelt, tut sich und der Gesellschaft etwas Gutes. Dann funktioniert man auch besser, wenn man das so sagen will. Wichtig ist es auch, Tabus betreffend psychischen Erkrankungen zu brechen, damit man sich Hilfe holen kann und sagen darf: Mir geht es nicht gut.

Heute spricht jeder von toxischen Beziehungen oder Narzissmus, ist unsere Gesellschaft nicht überpsychologisiert?
Wenn man auf die sozialen Medien schaut, wo sich Leute selber mit ADHS oder anderen schweren Störungen wie Borderline diagnostizieren, dann ist das tatsächlich bedenklich. Kürzlich habe ich ein Video von einem jungen Mann gesehen, der erklärt, dass seine Depression ein guter Freund ist, weil sie ihm seine Schwächen aufzeigt. So was stimmt einfach nicht und ist hochgefährlich. Eine Depression ist eine Erkrankung, die das Leben stark einschränkt und zu Selbstmord führen kann. Für psychische Erkrankungen sind Profis da.

«Wer wird Millionär?»: 2015 gewinnt Leon Windscheid eine Million Euro, Moderator Günther Jauch freut sich mit.
Foto: Foto: RTL

Geht bei so viel Gefühl für sich selber nicht die Empathie für andere verloren?
Tatsächlich ist diese Ich-Zentrierung auch heikel, denn sie ist auch ein Angriff auf unser Kollektiv, statt sich darin einzuordnen. Zugleich leben wir in einer stark individualisierten Gesellschaft, die uns glauben macht, dass wir unseres Glückes Schmied sind. Dabei verkennen wir, dass wir eigentlich Herdentiere sind und uns stark am anderen orientieren. Eben an dem Kollektiv, das vorgibt, wie wir zu sein haben. Und wenn wir dem nicht entsprechen, leiden wir. Nicht nur wegen emotionalen Mängeln, auch wegen äusserlichen. Warum wohl boomen Schönheits-OPs?

Warum?
Wegen dem Druck von aussen, auch wenn das unbewusst geschieht. Niemals würde ein Mann auf einer einsamen Insel auf die Idee kommen, sich Haare implantieren zu lassen. Genauso wenig, wie sich eine Frau ihre gesunden Brüste aufschneiden lässt und Silikon reinpumpt. Es hat damit zu tun, dass man ins gesellschaftliche Ideal passen will.

Oft heisst es, Frauen seien einfühlsamer, zugleich werden Gefühle als irrational abgewertet.
Das sind gesellschaftliche Normen, die von der Wissenschaft längst überholt sind. Ob Mann oder Frau, wir sind alle fühlende Wesen, das macht uns zum Menschen. Die Forschung zeigt, dass auch vermeintlich rationale Entscheidungen nicht ohne Gefühle getroffen werden. Mit diesem toxischen Männerbild schadet man nicht nur den Frauen, sondern Männer schaden sich selber und unserer ganzen Gesellschaft.

Sie sind berühmt geworden, weil Sie bei Günther Jauch eine Million Euro gewonnen haben. Macht Geld glücklich?
Es gibt zwei Arten, sein Geld auszugeben: für Materielles oder für Erlebnisse. Ich habe in ein Party-Schiff und in ein Haus investiert, wo ich bis heute in einer Fünfer-Wohngemeinschaft lebe. Als ich mir einen neuen Flachbildschirm zugelegt habe, war ich voller Stolz und Freude drauf. Bis ich ihn meinem Kumpel gezeigt habe und er meinte, dass seiner noch grösser sei. Damit war mein Glück schon verpufft.

Am Samstag, 24. Juni tritt Leon Windscheid mit seiner Show «Gute Gefühle» im Volkshaus Zürich auf.


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