Genfer Virologe erklärt, warum der Mensch gegen das Virus gewinnen wird
«Corona wird für seine Mutationen bezahlen»

Der Genfer Virologe Didier Trono ist für eine Impfpflicht und redet dem Bundesrat ins Gewissen. Doch er hat auch gute Neuigkeiten: Dem Coronavirus sollen bald die Ideen ausgehen, wie es unser Immunsystem austricksen kann.
Publiziert: 17.12.2021 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 17.12.2021 um 08:55 Uhr
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Didier Trono ist Virologe in Genf. Er ist für eine Impfpflicht und redet dem Bundesrat ins Gewissen.
Foto: Eddy Mottaz / Le Temps
Interview: Fabian Vogt

Blick: Nur 4 Länder haben derzeit mehr Corona-Fälle im Verhältnis zur Bevölkerungszahl als die Schweiz. Warum?
Didier Trono:
Weil unsere Massnahmen sehr soft sind. Unsere Nachbarländer haben deutlich drastischere Schritte unternommen gegen das Virus. Lockdowns, 2G und Maskenpflicht beispielsweise. Da muss sich niemand wundern, dass unsere Zahlen so hoch sind.

Ein oft gehörtes Feedback auf die hohen Schweizer Corona-Zahlen ist, die Inzidenz sei so hoch, weil die Schweiz so viel teste.
Das ist nicht wahr. Wir testen nicht viel mehr als beispielsweise Grossbritannien, das eine viel tiefere Inzidenz hat, und testen sogar zu wenig. 15 bis 20 Prozent der Tests sind positiv. Eigentlich müssten es 3 bis 4 Prozent sein. Das bedeutet, dass sich vor allem diejenigen testen lassen, die deutliche Corona-Symptome haben. Aber eigentlich sollten sich beispielsweise auch Menschen mit einer Erkältung testen lassen, ebenso wie enge Kontaktpersonen von infizierten Menschen.

Sie haben Grossbritannien angesprochen. Dort sind rund 40 Prozent der Corona-Fälle durch Omikron verursacht. Wann wird das bei uns so sein?
Am Beispiel London kann man dies am deutlichsten sehen. Vor ein paar Tagen wurden dort die ersten Fälle von Omikron festgestellt, und jetzt sind es, wie Sie sagten, bereits 40 Prozent. Bei diesem Tempo wird Omikron Delta in drei oder vier Tagen vollständig ersetzt haben. Die Schweiz hinkt in dieser Entwicklung gerade einmal zwei Wochen hinterher.

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Also wird an Neujahr 2022 Omikron auch in der Schweiz die dominante Variante sein?
So genau kann ich das nicht sagen. Aber es könnte bald so weit sein. In Zürich sind derzeit 10 bis 15 Prozent aller Fälle auf Omikron zurückzuführen, in anderen Kantonen sind es etwas weniger.

Omikron, die Super-Variante?
Wir wissen noch sehr wenig über Omikron. Dies wird sich nun aber schnell ändern, wenn die Variante dominant wird. Was sind die Symptome des Virus? Wer wird infiziert? Wer landet im Krankenhaus? Auf diese Fragen sollten wir bald Antworten haben.

Es gibt Menschen, die sagen, Omikron sei ein Segen. Hochansteckend, aber ungefährlich. Mit dem Resultat, dass bald Herdenimmunität herrscht.
Ja, ich nenne dies das «Walt-Disney-Szenario»: Eine schöne Geschichte, etwas, das zum Träumen anregt. Aber die Realität ist: In Grossbritannien ist die Zahl der Fälle erst vor wenigen Tagen explodiert, und die Zahlen der Krankenhäuser und der Todesfälle kommen immer zwei Wochen bis einen Monat zu spät, sodass wir noch abwarten müssen, bevor wir die Gefährlichkeit einschätzen können. Omikron unterscheidet sich zudem stark von der Delta-Variante und dem ursprünglichen Wildtyp. Niemand weiss, ob eine Ansteckung mit Omikron vor anderen Varianten schützt.

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Aber auch aus Südafrika sind bisher vor allem milde Fälle bekannt.
Aber dort ist die Bevölkerung viel jünger als in der Schweiz, und junge Menschen erkranken in der Regel weniger schwer als ältere Menschen. Es ist ohnehin schwierig, die Länder zu vergleichen. Ein weiteres entscheidendes Kriterium ist die Immunität der Bevölkerung: Wie viele Menschen sind bereits infiziert, geimpft und mit welchem Impfstoff? In dieser Hinsicht ist die Schweiz kein Musterschüler.

Wie meinen Sie das?
Bei uns ist einer von vier Einwohnern nicht geimpft. 25 Prozent! Ausserdem nimmt der Impfschutz bei denjenigen, die nur zwei Dosen erhalten haben, nach einigen Monaten stark ab. Das Virus breitet sich also in unserer Bevölkerung viel stärker aus, als wenn wir eine optimale Immunisierungsrate hätten.

Nun werden aber immerhin dritte Dosen verabreicht.
Ja, aber wir haben zu spät damit begonnen, die Kampagne ins Rollen zu bringen. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass man nach der zweiten Dosis nicht sechs Monate warten sollte. Nach drei bis vier Monaten, wie es in anderen Ländern üblich ist, ist eine dritte Dosis angezeigt. Vor allem bei älteren Menschen lässt der Impfschutz viel früher als nach sechs Monaten stark nach, und diese Gruppe muss besonders geschützt werden. Ich bin gespannt, was der Bundesrat heute zu diesem Thema zu sagen hat.

Preisgekrönter Forscher

Didier Trono (65) ist ein Schweizer Virologe und Professor an der ETH Lausanne (EPFL). Dort leitet er die Abteilung für Virologie und Genetik. 1990 gründete er ein Institut für Aids-Forschung und machte sich mit der Erforschung von Viren und in der Gentherapie einen Namen. Für seine Arbeiten wurde Trono mehrfach ausgezeichnet. Er ist Mitglied der Schweizer Corona-Taskforce.

Didier Trono (65) ist ein Schweizer Virologe und Professor an der ETH Lausanne (EPFL). Dort leitet er die Abteilung für Virologie und Genetik. 1990 gründete er ein Institut für Aids-Forschung und machte sich mit der Erforschung von Viren und in der Gentherapie einen Namen. Für seine Arbeiten wurde Trono mehrfach ausgezeichnet. Er ist Mitglied der Schweizer Corona-Taskforce.

Sind Sie für eine Impfpflicht?
Ihre älteren Leser erinnern sich sicher noch an die Bilder der Polio-Massenimpfungen. Früher war die Kinderlähmung ein riesiges Problem, heute ist sie in vielen Regionen der Welt ausgerottet. Wünschen tu ich mir die Impfpflicht nicht. Aber solange mehr als 20 Prozent der Menschen ungeimpft sind, ist es eine Massnahme, die ergriffen werden muss.

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Der Bundesrat ist aber dafür bekannt, in Sachen Corona eher abwartend zu agieren. Er kann gar nicht anders, weil er so viele Interessengruppen anhören muss.
Unser System ist fantastisch in Friedenszeiten. Aber wir sind in einer Notsituation. Bund und Kantone tanzen aber ihren normalen Tango weiter, sind dabei überhaupt nicht im Takt. Immer wieder stolpert einer. Mit dem Resultat, dass wir einerseits langsam und andererseits überhaupt nicht synchron vorwärtskommen. In Kanton X gilt Maskenpflicht im Club, in Kanton Y nicht. Das kann es doch nicht sein. Und es gibt zu viele Politiker, die nicht an das Gesamtwohl denken in dieser Krise. Sondern nur daran, wie sie sich profilieren können.

Wenn man sich impfen lässt, muss man also nicht auf die Politik vertrauen, die richtigen Entscheide zu treffen.
Wir sollten gemeinsam versuchen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, bevor es die Politik tun muss. Dazu gehören Abstand halten und andere Verhaltensregeln befolgen. Aber die Impfung ist die einzige Tür aus dieser Pandemie hinaus. Und es ist bereits bekannt, dass der Booster den Schutz gegen Omikron sehr deutlich erhöht, obwohl sich die Variante sehr von Delta unterscheidet. Es gibt übrigens noch weitere positive Aspekte.

Welche?
Corona kann sich nicht unbegrenzt verändern, ohne am Ende den Preis dafür zu bezahlen. Da es von Tieren stammt, hat es Mutationen angesammelt, die es anfangs ermöglichten, sich an die menschliche Spezies anzupassen. Später hat unser Immunsystem jedoch begonnen, dem Virus Hindernisse in den Weg zu legen. Um diese zu überwinden, muss das Virus Zugeständnisse machen. Diese können dazu führen, dass es seine Gefährlichkeit verliert. Es ist wie beim Skifahren: Wenn du direkt den Berg hinunterfahren kannst, bist du schneller, als wenn du um Slalomstangen herumkurven musst. Und der Impfstoff setzt in diesem Fall die Stangen.

Das heisst, entweder wird das Virus in Zukunft tödlicher oder ansteckender, aber nicht beides zusammen?
Das entscheidende Kriterium für ein Virus ist, wie effizient es sich verbreitet. Ein Virus, das zu schnell tödlich ist, wie beispielsweise Ebola, verbreitet sich weniger gut. Für Corona ist es «besser», uns zum Husten zu bringen, als uns ins Krankenhaus zu schicken.

Aber müssen wir unser ganzes Leben alle drei Monate impfen, um uns zu schützen?
Nein, das glaube ich nicht, und zwar aus zwei Gründen: Erstens wird sich das Virus, wie ich bereits sagte, nicht ewig verändern. Corona ist nicht wie die Grippe, gegen die wir eine Immunität entwickeln, die dann ins Tierreich zurückkehrt, sich dort völlig neu erfindet und uns erneut angreift. Sars-CoV-2 ist in dieser Hinsicht viel «dümmer», es entwickelt sich einfach durch Mutation mit wahrscheinlich einer begrenzten Anzahl von Möglichkeiten. Dies wird in gewisser Weise durch die Omikron-Variante belegt, von der die meisten Mutationen bereits in anderen Varianten gesehen wurden, nur eben nicht alle zusammen.

Und der zweite Grund?
Es ist es ein normaler Vorgang, dass drei Dosen eines Impfstoffs benötigt werden. Es gibt zuerst die Erstimpfung, dann den Booster und schliesslich die Konsolidierung. Daher sind selbst bei den üblichen Kinderimpfungen oft drei Pikse erforderlich.

Sie haben ja nur gute Neuigkeiten! Nach der dritten Impfung ist Schluss?
Das weiss ich nicht. Vielleicht wird es noch eine vierte Impfung brauchen, eine Art Cocktail gegen verschiedene Coronaviren. Aber, was ich weiss: Das Prinzip funktioniert, als ob unser Immunsystem ein Haus mit Löchern im Dach und Corona der Regen wäre. Die Löcher können wir stopfen. Irgendwann haben wir alle zugemacht und dann werden wir im Haus nicht mehr nass, egal wie stark es regnet. Den Menschen möchte ich darum sagen: Lasst euch impfen. Und bleibt optimistisch. Corona wird seine Möglichkeit, unser Immunsystem zu umgehen, eher früher als später erschöpft haben.

Und was wollen Sie dem Bundesrat sagen, der heute über die neuen Massnahmen entscheidet?
Die Zeit ist nicht mehr reif für theoretische Diskussionen und endlose Vernehmlassungen, sondern für klare und starke Entscheide, die für die Bevölkerung leicht nachvollziehbar sind, auch wenn sie noch so lästig erscheinen. Ich wünsche mir darum, dass der Bundesrat landesweit strenge Massnahmen beschliesst und den Kantonen gegebenenfalls die nötige logistische Unterstützung zukommen lässt, um deren Umsetzung zu beschleunigen. Angefangen bei der Beschleunigung der Impfkampagnen. Und ich hoffe sehr, dass politische Parteien oder Unternehmensinteressen aufhören, sich unter dem Vorwand der «individuellen Freiheit» in das Manöver einzumischen. Für mich ist eines der ersten Rechte, die eine Demokratie garantieren sollte, die Möglichkeit einer guten Gesundheit für alle. Und genau das wird durch Abweichungen gefährdet, sei es durch das Fehlen einer klaren Strategie, durch strukturelle Mängel, die ihre Umsetzung verhindern, oder, schlimmer noch, durch die Ausnutzung von Schwächen des politischen Systems durch private Interessengruppen.

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