Vertraulicher Bericht des Bundes zeigt
Bei Pädokriminellen schaut die Polizei weg

Ein interner Bericht des Bundesamtes für Polizei stellt massive Versäumnisse im Kampf gegen Pädokriminelle im Netz fest. Verschiedene Polizeikorps haben über Jahre keine solchen Fälle bearbeitet und befinden sich in einem kaum mehr aufzuholenden Rückstand.
Publiziert: 25.08.2019 um 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2021 um 17:02 Uhr
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Der Polizei fehlen die Ressourcen, um gegen die Straftäter im Netz vorzugehen. Die Täter vernetzen sich weltweit und lernen voneinander, wie sie unbemerkt bleiben können.
Foto: Igor Kravarik
Aline Wüst
Aline WüstReporterin SonntagsBlick

Fahnder auf der ganzen Welt warnen: Die Verbreitung von Kinderpornografie nimmt besorgniserregende Ausmasse an. Die Opfer werden jünger. Die Täter brutaler. Laut offiziellen Schätzungen suchen 750 000 Personen weltweit nach Kinderpornografie. Jede Sekunde.

Hinter jedem Foto, hinter jedem Video steht ein realer Missbrauch: Mädchen und Buben von den Philippinen, aus Rumänien – aus der Schweiz.

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Die Täter bewegen sich zunehmend in verborgenen Teilen des Internets, tauschen sich auf speziellen Plattformen aus. Auch ein Handbuch kursiert. Es erklärt, wie Kinder zu penetrieren sind, wie posttraumatische Belastungen herbeigeführt werden, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass sich das Opfer Hilfe sucht. Mit sogenannten «Shitlists» wird vor «Hackern, Polizisten und anderem Abschaum» gewarnt – die Täter sind immer besser organisiert.

So steht es einer internen Analyse des Bundesamts für Polizei (Fedpol) zur Pädokrimi­nalität im virtuellen Raum, die SonntagsBlick vorliegt. Sie ist verstörend zu lesen.

Erschreckend sind aber auch die Passagen, die von der Arbeit der Schweizer Polizei handeln. Sie gehen aus einer Fedpol-Umfrage unter den Polizeikorps hervor und zeigen: Die Schweiz tut im Kampf gegen die Internet-Pädokriminalität viel zu wenig. In dem Bericht steht wörtlich, dass mehrere Polizeikorps bekannt gaben, dass sie «aufgrund der lokalen Prioritätensetzung über mehrere Jahre sämtliche pädokriminellen Internetfälle zurückstellen mussten und sich bei der Bearbeitung von Anzeigen in einem kaum mehr aufzuholenden Rückstand befänden».

Opfer im Stich gelassen

Das Perfide: Nur die Betroffenen merken, dass die Polizei wenig tut. Anders als bei einem Einbruch melden sich die Opfer nicht bei der Polizei. Sie schweigen. Aus Angst. Aus Scham. Weil sie Kinder sind. Oder so klein, dass sie noch nicht sprechen können. Oft zeigt sich die Zerstörungskraft der sexuellen Gewalt, die ihnen angetan wurde, verzögert: Die Kinder entwickeln schwere Traumata, kommen teilweise mit so schweren Krankheitsbildern in die Psychiatrie, dass Ärzte überfordert sind.

Wer solches Leid verhindern will, muss alles tun, um die Täter zu stoppen, bevor es zum Missbrauch kommt. Eines der wichtigsten Instrumente wären aktive, verdachtsunabhängige Ermittlungen im Netz. In der Fedpol-Analyse steht allerdings: «Aktive verdachtsunabhängige Internet­recherchen auf Bundes- oder Kantonsebene finden seit Jahren kaum oder gar nicht statt.»

In einem der wenigen Fälle, in denen Polizisten solche Ermittlungen anstellten, zeigt sich ihre Wirksamkeit. Der Fedpol-Bericht schildert diesen Fall aus dem Jahr 2017: Ermittler des Bundes loggten sich unter dem Decknamen «Nina_13» in Chats ein – es dauerte oft nur zehn Minuten, bis die vermeintlich 13-jährige Nina von bis zu 15 erwachsenen Männern angeschrieben wurde. Sie lenkten das Gespräch schnell in eine sexuelle Richtung. In mehr als der Hälfte der Fälle wollten sie Nina begegnen. Bei einem solchen Treffen hatte ein 34-Jähriger ein betäubendes Mittel dabei. Bei einem ­anderen zeigte die Hausdurch­suchung, dass der 60-Jährige eine Kamera neben seinem Bett installiert hatte.

Während die Täter weltweit agieren, denkt die Schweiz kantonal. Der Autor des Fedpol-Berichts schreibt, wie föderalistisches Kleinklein dazu beiträgt, dass Ermittlungen gar nicht erst aufgenommen werden: «Warum sollte ein Kanton seine Ressourcen aufwenden, um einen nicht lokalisierten Verdächtigen zu ermitteln, der mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht im eigenen Zuständigkeitsgebiet operiert?»

Priorität hat der Kampf gegen Kinderpornografie jedenfalls nicht. Einzelne Korps, auch grösserer Kantone, gaben gegenüber dem Fedpol an, «nicht proaktiv tätig gewesen zu sein auf diesem Gebiet, über keine Spezialeinheiten zu verfügen und lediglich die Fälle zu bearbeiten, die vom Bund übermittelt werden».

Solche Fälle werden den Schweizer Behörden aus den USA gemeldet: 2014 gab es 480 solcher Hinweise, 2018 kamen bereits 9000 Meldungen. Auch diese Ermitt­lungen sind aufwendig. Für die ­pädosexuelle Internetkriminalität setzen die einzelnen Schweizer Polizeikorps laut Bund im Schnitt 15 Stellenprozente ein.

Ausreden von Verantwortlichen

Den Verantwortlichen kommt es ungelegen, dass diese Ermittlungsdefizite an die Öffentlichkeit gelangen. Sie verweisen SonntagsBlick zunächst an den Bund. Der verweist ihn an die Kantone. Schliesslich ist man sich einig, was gesagt werden soll. Und das Bundesamt für Polizei schreibt dann tatsächlich, die eigene Analyse sei nicht mehr aktuell – dabei wurde sie erst im Sommer 2019 fertiggestellt. Die Umfrage beziehe sich auf den Zeitraum 2015 bis 2017, sagt der Fedpol-Sprecher. Der Präsident der Schweizer Polizeidirektoren, Urs Hofmann, kennt den Bericht noch gar nicht. Doch auch er schlägt in die gleiche Kerbe: «In dieser Welt verändert sich in zwei Jahren sehr viel.»

Alle beteuern, dass sie die ­Pädokriminalität ernst nähmen.

Im sogenannten Stabilisierungsprogramm des Bundes für die Jahre 2017 bis 2019 allerdings ist festgehalten, wo das Fedpol in diesem Zeitraum gespart hat – ausgerechnet im Bereich Pädokriminalität.

Dennoch spricht auch der Präsident der Konferenz der Schweizer Polizeikommandanten, Stefan Blättler, von einer «ausgezeichneten» Zusammenarbeit zwischen Kantonen und Bund. So sei etwa das Netzwerk Ermittlungsunterstützung zur Bekämpfung der digitalen Kriminalität aufgebaut worden.

Die einzelnen Korps hätten nun Kompetenzen aufgebaut und können damit sowohl den Meldungen nachgehen, als auch eigene Ermittlungen tätigen.

Was so nicht stimmt. Die Zürcher Stadtpolizei ist eines der schlagkräftigsten Korps in diesem Bereich. Ermittler Thomas Werner, Leiter der Abteilung Kinderschutz, sagte Ende 2018 gegenüber SonntagsBlick: «Wir kratzen nur an der Oberfläche.» Für eigene aktive Ermittlungen fehlten die Ressourcen.

Das Gleiche lassen auf Anfrage jetzt auch die Stadtpolizei Basel, Appenzell Ausserrhoden und die Aargauer Kantonspolizei verlauten.

Die ungeliebte Fedpol-Analyse hat also nach wie vor Gültigkeit. Treffend hält das 39-Seiten-Papier fest: «Das Phänomen der pädosexuellen Gewalt wird nicht von allen beteiligten Stellen in seiner ganzen Tragweite erkannt.»

Für Kinder ist das eine verheerende Nachricht.

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