Xenia Schlegel von Stiftung Kinderschutz Schweiz
«Das ist verheerend»

Ein interner Bericht des Bundes zeigt, dass die Schweiz zu wenig tut im Kampf gegen pädosexuelle Internetkriminalität. Das erstaunt Xenia Schlegel von der Stiftung Kinderschutz Schweiz nicht. Der Schutz von Kindern habe weder für Bund noch für die Kantone Priorität.
Publiziert: 25.08.2019 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 26.08.2019 um 07:32 Uhr
Xenia Schlegel, Geschäftsführerin Stiftung Kinderschutz Schweiz: «Wir überlassen Sexualstraftätern das Internet.»
Foto: Alessandra Leimer
Aline Wüst
Aline WüstReporterin SonntagsBlick

Frau Schlegel, ein Bericht des Bundesamts für Polizei Fedpol zeigt: Es gibt in der Schweiz grosse Defizite beim Kampf gegen Kinderpornografie. Erstaunt Sie das?
Nein. Die Bekämpfung von Pädokriminalität im Internet und somit der Schutz der Kinder hat weder beim Bund noch bei den Kantonen Priorität.

Warum nicht?
Weil die Pädokriminalität im Internet unterschätzt wird. Deshalb werden bei der Zuteilung von Ressourcen andere Interessen höher gewertet. Wirtschaftsinteressen beispielsweise werden über den Schutz der Kinder gestellt.

Können Sie das belegen?
In der Bekämpfung der digitalen Kriminalität wurde in den letzten Jahren bei der Bundespolizei die Wirtschaftskriminalität viel stärker gewichtet und konsequenter verfolgt – beispielsweise Internetbetrügereien. Beim Fedpol stagnieren die Mittel seit längerem, die zur Bekämpfung von Pädokriminalität eingesetzt werden. Zudem wurden die zuständigen Bereiche durch Umstrukturierungen und Weggänge geschwächt.

Gefordert sind aber vor allem die Kantone. In der Schweiz obliegt ihnen die Strafverfolgung.
Auf kantonaler Ebene ist das Problem, dass die kleineren Kantone kaum die Expertise haben, gegen Pädokriminalität im Internet vorzugehen, und die grösseren Kantone gehen zu wenig konsequent dagegen vor.

Die Polizeikorps klagen über zu geringe Ressourcen für diese aufwendigen Ermittlungen. Hier ist die Politik gefragt.
Absolut. Pädokriminalität im Internet muss auch auf politischer Ebene konsequent bekämpft werden. Hier geht es einerseits um Geld, das gesprochen wird, aber auch um Gesetze. Denn ein weiterer Grund für die mangelnde Bekämpfung von Pädokriminalität im Netz liegt in den fehlenden gesetzlichen Grundlagen.

Woran denken Sie dabei?
Es ist zum Beispiel nicht strafbar, wenn ein Erwachsener mit einem Kind einen Chat mit sexuellen Inhalten führt und das Kind online sexuell belästigt. Das sollte zwingend von Amtes wegen verfolgt werden, nur so können potenzielle Täter abgeschreckt und Kinder geschützt werden. Kinder melden sich kaum selber bei der Polizei.

Ein Beispiel aus dem Fedpol-Bericht zeigt, dass ein Polizist, der sich in einem Chatroom als 13-jähriges Mädchen ausgab, in kürzester Zeit von Erwachsenen mit sexueller Absicht angeschrieben wird. Verdeckte Ermittlungen wie diese wurden aber sowohl auf Bundes- wie auch auf Kantonsebene in den letzten Jahren kaum noch durchgeführt.
Das ist verheerend. Solche verdachtsunabhängigen, verdeckten Ermittlungen müssen systematisch durchgeführt werden. Dafür muss die Strafverfolgung ausgebaut werden und die Polizei sowie Staatsanwaltschaften mit den nötigen technischen, personellen und finanziellen Mitteln ausgestattet werden.

Welches Bild gibt die Schweiz auf diesem Gebiet ab?
Dass Sexualstraftäter sich ungestört und in relativer Sicherheit im Netz tummeln können. Wir überlassen ihnen damit das Internet. Und nehmen in Kauf, dass unsere Kinder massiv belästigt oder im schlimmsten Fall missbraucht werden.

Anzeigen von pädosexuellen Internet-Delikten in der Schweiz sind rückläufig.
Die Zahl der Anzeigen vermittelt ein falsches Bild. Es kann nicht sein, dass amerikanische Behörden der Schweiz im vergangenen Jahr 9000 Fälle von mutmasslicher Kinderpornografie melden und in der Schweiz selber kaum Meldungen anfallen. Wir brauchen darum eine Meldestelle für Kinderpornografie und andere Formen von Pädokriminalität im Internet, die der breiten Bevölkerung bekannt werden sollte. Auch die privaten Internet-anbieter müssten einbezogen werden.

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