Verkehrskollaps auf den Strassen
«Eine Schweiz ohne Stau gibt es nicht»

Trotz hohem Benzinpreis staut sich der motorisierte Verkehr auf Rekordniveau. Abhilfe schaffen könnten neue Verkehrsmodelle. Doch es harzt bei der Umsetzung.
Publiziert: 19.06.2022 um 19:49 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2023 um 17:37 Uhr
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Nach knapp zwei Jahren coronabedingtem Rückgang staut der motorisierte Verkehr auf Rekordniveau. 32'481 Staustunden zählte das Bundesamt für Strassen Astra 2021.
Foto: keystone-sda.ch
Sven Zaugg

Im vergangenen Jahr zählte das Bundesamt für Strassen (Astra) auf Schweizer Strassen 32'481 Staustunden – mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Rekordniveau! Gestern Samstag bot die landesweit günstigste Tankstelle den Liter Bleifrei für zwei Franken an – doch selbst der aktuell hohe Spritpreis hält Herrn und Frau Schweizer nicht vom Autofahren ab.

Schleichverkehr durch Dörfer, stehende Kolonnen in Agglomerationen und Städten, Blaulichtfahrzeuge kommen nicht mehr durch – das Nationalstrassennetz ist vielerorts so stark belastet, dass bereits kleine Störungen zu Staus führen, konstatiert das Astra (SonntagsBlick berichtete vergangene Woche).

Die Zahl der motorisierten Fahrzeuge steigt in der Schweiz jedes Jahr um 30'000 bis 40'000. Zwischen 1990 und 2020 ist die Schweizer Bevölkerung um 28 Prozent gewachsen, die Anzahl der Autokilometer dagegen um beinahe 40 Prozent.

12,7 Milliarden für Nationalstrassen

Für den Dauerstau sorgen die Pendler – in einer durchschnittlichen Gemeinde fahren 75 Prozent der Erwerbstätigen zur Arbeit, mehr als die Hälfte im eigenen Wagen. Die noch grösseren Stauverursachen aber sind Tourismus und Freizeit. Sie verursachen über 10'000 Staustunden pro Jahr.

Die Fahrt zu Spitzenzeiten führt zu höherem Treibstoffverbrauch und volkswirtschaftlichen Kosten. Das Bundesamt für Raumentwicklung rechnet mit 1,9 Milliarden Franken pro Jahr.

Als Gegenmassnahme will der Bundesrat bis 2027 rund 12,7 Milliarden Franken in die Nationalstrassen buttern. 8,4 Milliarden sind für Betrieb, Unterhalt und Ausbau des bestehenden Netzes vorgesehen, die restlichen 4,3 Milliarden für die Finanzierung von Erweiterungsprojekten. Der Ausbau des Strassennetzes soll dort forciert werden, wo der Staudruck am stärksten ist.

Verkehrsexperte Frank Bruns, der Bund und Kantone berät, warnt: «Ein besseres Strassenangebot wird automatisch eine höhere Nachfrage nach sich ziehen.» Zudem könnten in der kleinen Schweiz nicht beliebig neue Strassen gebaut werden.

«Mobility Pricing»

Um die bestehende Infrastruktur besser auszunützen, wird an Tempolimits gedacht oder die Nutzung von Pannenstreifen. Rechtsüberholen soll teilweise nicht mehr verboten sein. Städte liebäugeln auch mit dem Roadpricing, Gebühren für die Nutzung von bestimmten Strecken in Stosszeiten.

Auch bei einer Umsetzung aller Vorhaben wird das Strassennetz an seine Grenzen stossen. Frank Bruns fordert, «alle Verkehrsmittel zu bündeln». Sein Favorit heisst «Mobility Pricing»: Je nachdem, wann man unterwegs ist und wie viel man fährt, kostet die Benützung von Strasse oder Schiene mehr oder weniger. So will es auch der Bundesrat. Als weitere Möglichkeiten zur Entzerrung empfiehlt Bruns flexible Arbeitszeitmodelle, angepasste Unterrichtszeiten, Homeoffice oder Fahrgemeinschaften.

Doch die Städte sehen das Hauptproblem bei den täglichen Staus hauptsächlich auf den Strassen. Einige Pilotversuche sind deshalb auf Eis gelegt. Verkehrsplaner Bruns mahnt zur Eile: «Wir dürften schon einen Zacken zulegen.»

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