Die PMEDA AG des deutschen Neurologen Dr. Henning Mast (70) steht seit Jahren im Verdacht, Gefälligkeitsgutachten auszustellen. In der Vergangenheit erklärte sie auffällig viele Menschen für gesund – und ersparte Versicherungen damit Zahlungen in Millionenhöhe.
Vergangene Woche gab das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) bekannt, dass die kantonalen IV-Stellen in Zukunft nicht mehr mit der PMEDA zusammenarbeiten werden. Die Behörde folgte einer Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für die Qualität bei der medizinischen Begutachtung (EKQMB), die in einer Evaluation zum Schluss gekommen war, dass «die überwiegende Mehrheit» der untersuchten PMEDA-Gutachten «gravierende formale und inhaltliche Mängel» aufweist.
Bei hängigen IV-Verfahren, in die Masts Firma involviert war, sollen die Gutachten laut BSV einer «erneuten Qualitätskontrolle» unterzogen werden. Bereits entschiedene IV-Fälle jedoch will der Bund nicht neu aufrollen: «Rechtskräftige Leistungsentscheide bleiben bestehen», hält das Amt fest.
Experte verwundert
Michael E. Meier (36), Oberassistent für öffentliches Recht an den Universitäten Zürich und Luzern, überrascht diese Haltung. Es gebe gute Gründe dafür, sämtliche IV-Entscheide, die auf Grundlage von PMEDA-Gutachten gefällt wurden, nochmals neu zu bewerten.
Der Rechtsanwalt begründet das insbesondere mit einem Präzedenzfall aus dem Jahr 2018. Damals gab das Bundesgericht einer Frau recht, die verlangt hatte, dass ihr rechtskräftig abgelehnter IV-Antrag erneut geprüft wird.
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Der Grund: Die Genfer Klinik Corela, wegen deren Gutachten ihr 2017 eine Rente verweigert worden war, hatte in verschiedenen Fällen Gutachten angepasst – zu Ungunsten der Betroffenen. Der Klinik wurde deshalb im März 2018 die Betriebsbewilligung entzogen. Kurze Zeit später reichte die Frau ihr Revisionsgesuch ein – und hatte Erfolg.
«Es ist durchaus möglich, dass ein Gericht bei IV-Anträgen, die wegen eines PMEDA-Gutachtens abgelehnt wurden, ähnlich urteilen würde», sagt Meier.
BSV sieht wenig Handlungsbedarf
Das BSV dagegen hält den Corela-Fall nicht für massgebend: «Damals hat der medizinische Leiter eine nicht bekannte Anzahl Gutachten eigenmächtig abgeändert und unterzeichnet, notabene ohne die Betroffenen je gesehen zu haben», sagt ein Sprecher. Bei den Gutachten der PMEDA gehe es nicht um Manipulation: «In den rechtskräftigen Entscheiden der IV-Stellen wie auch der Gerichte wurden die Gutachten mittels den gängigen Anforderungs- und Qualitätskriterien geprüft und als beweiskräftig erachtet.»
Laut BSV hätten die IV-Stellen und die Gerichte deshalb keineswegs wie bei den Gutachten der Corela «in Unkenntnis der tatsächlichen Sachlage» entschieden. Dass die EKQMB nun in einigen Gutachten der PMEDA «formale und inhaltliche Mängel» festgestellt hat, ändere daran nichts. Das BSV hält fest: «Es liegen keine nachträglichen erheblichen Tatsachen vor, welche die Versicherten erst jetzt erfahren haben oder Beweismittel, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnten.»
Jurist Meier indes hält die Sachlage keineswegs für eindeutig: «Die entscheidende Frage ist, wie die Mängel genau aussehen, die bei der Evaluation der Kommission festgestellt wurden und ob diese geeignet erscheinen, das Vertrauen in die PMEDA als unabhängige und unparteiliche Gutachterinstitution zu erschüttern.» Dafür gelte es, den detaillierten Überprüfungsbericht abzuwarten.
Prozesslawine droht
Meier geht davon aus, dass letztlich vom Bundesgericht geklärt werden muss, ob durch die EKQMB-Evaluation «nachträglich erhebliche Tatsachen» geschaffen wurden. Er rät deshalb allen Versicherten, bei denen ein PMEDA-Gutachten zur Verweigerung von Leistungen geführt hat, bei ihrem damaligen Anwalt vorzusprechen. «Die Frist für eine Revision oder Wiedererwägung beträgt 90 Tage nach dem Auftauchen neuer Tatsachen – in diesem Fall frühestens seit Feststellung der Qualitätskommission, wonach PMEDA-Gutachten ‘gravierende Mängel’ hätten.»
Auch Rémy Wyssmann (56), Patientenrechtsanwalt und SVP-Kantonsrat in Solothurn, rät Betroffenen, vorsorglich Revisionsgesuche zu stellen, um die Frist zu wahren. Er mahnt dabei zur Konzentration der Kräfte: «Mit einem Pilotfall soll ein einzelner Fall bis an die oberste Instanz gelangen, um abschliessend zu klären, ob alle abgelehnten IV-Anträge, bei denen PMEDA involviert war, neu aufgerollt werden müssen.»
Diese Strategie könnte eine Prozesslawine auslösen: Nach Schätzungen von SonntagsBlick hat PMEDA alleine für die IV um die 2500 Gutachten ausgestellt.