Herr Chiesa, die SVP hat das Rahmenabkommen jahrelang bekämpft. Welche Verantwortung übernimmt Ihre Partei nun bei der Suche nach neuen Wegen im Verhältnis zur EU?
Marco Chiesa: Der Bundesrat hat klar gesagt, dass er das Abkommen nicht unterzeichnen konnte, weil seine berühmten roten Linien überschritten waren. Das sollten wir im Kopf behalten. Für die SVP ist aber viel wichtiger, dass die Schweiz nicht einfach EU-Recht übernimmt und sich dem Europäischen Gerichtshof unterstellen muss. Wir bleiben frei.
Frei in Ihrem Sinne vielleicht. Sind wir bald auch ärmer, wenn der Zugang zum europäischen Binnenmarkt mühsamer wird?
Ach was. Wenn wir über Alternativen sprechen, muss man sehen, dass wir einen bilateralen Weg haben, der funktioniert, und ein Freihandelsabkommen mit der EU. Das heisst nicht, dass wir die Beziehungen punktuell verbessern können. Aber das muss mit Respekt geschehen und auf Augenhöhe. Beides habe ich in der Vergangenheit beim Umgang der EU mit der Schweiz vermisst.
Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Die Medtech-Branche hat ihren privilegierten Marktzugang bereits verloren. Was sagen Sie diesen Unternehmen und deren Mitarbeitern, wenn die Geschäfte jetzt schwieriger werden?
Es braucht etwas Zeit, bis sich die erste Aufregung legt. Die Firmen der Medtech-Branche konnten sich vorbereiten und haben Lösungen gefunden. Dass die EU die Schweiz zu diskriminieren versucht, ist nichts Neues. Offenbar haben gewisse Leute in Brüssel Mühe, demokratische und souveräne Entscheidungen zu respektieren. Darum ist auch Grossbritannien ausgetreten.
Aber der Nadelstiche dürfte es mehr geben.
Bei der Börsenanerkennung haben wir eine intelligente Lösung gefunden. Die Schweizer Börse zuckte nicht mit der Wimper. Das muss uns auch in künftigen Fällen gelingen.
Das wird nicht in jedem Fall klappen.
Wir werden sehen. Ich sage ja, wir wollen gute Beziehungen mit der EU. Aber nicht nur mit der EU. Wir sind ein offenes Land, handeln mit vielen Märkten.
Wenn alles so problemlos weiterläuft, warum hat sich dann ein grosser Teil der Wirtschaft für das Abkommen starkgemacht?
Niemand ist gegen einen gesicherten Marktzugang. Aber das Rahmenabkommen wollte viel mehr. Nämlich EU-Recht und EU-Richter, wir hätten Sozialleistungen für EU-Bürger zahlen müssen, die nie in der Schweiz gearbeitet haben! Letztlich standen unsere Souveränität und direkte Demokratie auf dem Spiel, und das geht weit über Wirtschaft und Handel hinaus. Darum war der Abbruch der Verhandlungen der einzig richtige Entscheid für unser ganzes Land.
Wie souverän ist es, wenn der Bundesrat nun selbständig Schweizer Recht an das europäische Recht anpasst? Das hat mit Selbstbestimmung nicht mehr viel zu tun.
In gewissen Bereichen ist das so. Aber wir haben noch viel Spielraum, besser zu sein als andere. Der bilaterale Weg wird weitergehen.
Warum sollte Brüssel dazu Hand bieten?
Die Interessen der Schweiz und der EU werden sich treffen, davon bin ich überzeugt. Wir sind und bleiben Partner.
Der Bundesrat will die Kohäsionsmilliarde rasch freigeben. Im September entscheidet das Parlament. Ist die SVP bereit, dieses Geld schnell zu überweisen?
Nein. Dieses Geld ist mit der gegenseitigen Börsenanerkennung direkt verknüpft. Solange diese oder andere Diskriminierungen seitens EU bestehen, wäre es eine Heuchelei, wenn das Parlament plötzlich zahlt! Ich habe kein schlechtes Gewissen, das ich mit einer grosszügigen Überweisung nach Brüssel beruhigen müsste.
Was, wenn eine Mehrheit im Parlament die Kohäsionsmilliarde freigibt?
Treffen die anderen Parteien Entscheide, die gegen die Interessen der Schweiz verstossen, ist die SVP immer bereit zu kämpfen. Unsere Position ist klar: Es gibt keine Kohäsionsmilliarde ohne Gegenleistungen oder Garantien der EU.
Feiert die SVP eigentlich das Ende des Rahmenabkommens?
(Lacht) Wir organisieren gerade eine Feier. Am 26. Juni zünden wir in allen Kantonen ein Höhenfeuer an und dann gibts einen zentralen Anlass in Morschach gegenüber dem Rütli.
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